Pilot und Nationalrat über Luftpolizei-Einsätze«Dann steigen wir natürlich auf»
Von Andreas Fischer
26.5.2021
Ein Linienflug wird grundlos zur Zwischenlandung gezwungen: Der Vorfall in Belarus wirft Fragen auf. Wie sicher ist es heutzutage, in die Ferien zu fliegen? Antworten von einem Piloten, der bei der Swiss im Cockpit sitzt und früher Kampfjets flog.
Von Andreas Fischer
26.05.2021, 06:50
27.05.2021, 09:53
Andreas Fischer
Stell dir vor, du fliegst in die Ferien – und plötzlich taucht ein Kampfjet neben deiner Maschine auf. Er zwingt dein Flugzeug zu einer Landung in einem anderen Staat. Bis zum Wochenende irgendwie undenkbar, zumindest in Europa. Dann passierte genau das in Belarus.
Zahlreiche Politiker in Europa haben die erzwungene Landung einer Passagiermaschine, die auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius war, als Akt staatlicher Luftpiraterie bezeichnet. Diktator Alexander Lukaschenko hatte die Aktion unter dem Vorwand einer Bombendrohung an Bord angeordnet, um den Oppositionellen Roman Protassewitsch festnehmen zu können.
«Staaten sind gehalten, Luftfahrzeuge in Not zu unterstützen», heisst es beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) auf Anfrage von «blue News». Aber «Das Luftfahrzeug entscheidet selbst, welche Hilfe es benötigt. Massnahmen können nicht oktroyiert werden, ausser der Staat ist selbst bedroht», stellt BAZL-Sprecher Christian Schubert unmissverständlich fest.
Behörden prüfen Überflugverbot für die Schweiz
In seltener Einmütigkeit und Geschwindigkeit hat die EU Sanktionen verhängt, dazu gehört ein Verbot für belarussische Airlines den Luftraum der Staatengemeinschaft zu nutzen. Zahlreiche Fluggesellschaften umfliegen ihrerseits Belarus, dazu gehört auch die zur Lufthansa-Gruppe gehörende Swiss, wie die Airline bestätigt.
Ein Überflugverbot für Belarus ist laut BAZL noch nicht für Schweizer Maschinen verhängt worden. Schubert sagt aber: «Die zuständigen Schweizer Behörden stehen diesbezüglich im Austausch.» Gemäss Luftfahrtgesetz sei dies möglich, «wenn die Sicherheit gefährdet ist oder politische Gründe dafür sprechen».
Allerdings können die Behörden den Airlines gar nicht untersagen, bestimmte Gebiete zu überfliegen, räumt Schubert ein. «Die nationalen Behörden können immer nur ihren eigenen Luftraum sperren.» Die Schweiz habe ihren Luftraum zuletzt für die Boeing 737 Max-8 gesperrt.
Airlines überfliegen bisweilen Konfliktgebiete
Wer in die Ferien fliegt, kann durchaus Gebiete in Konfliktzonen überfliegen. Denn die «Verantwortung für das Überfliegen liegt bei den Airlines selbst», so Schubert. Zwar werden Konfliktzonen «regelmässig aus Sicht Sicherheit für die Zivilluftfahrt überprüft».
Dies sei ein europäisch koordiniertes Vorgehen mit Massnahmen der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA) zur Wahrung der Flugsicherheit: Die Ergebnisse werden auf dem «Conflict Zone Information Bulletin» der EASA veröffentlicht – haben allerdings nur Empfehlungscharakter. Über die Flugrouten entscheiden die Airlines letzten Endes selbst. Sie gehen – wie etwa beim 2014 über der Ostukraine abgeschossenen Flug MH17 – bisweilen das Risiko ein, um zusätzliche Kosten für Ausweichrouten zu sparen.
Die Sicherheit ist dabei häufiger gefährdet, als man sich bewusst ist, wenn man in den Ferienflieger steigt. Die Anzahl der Krisen- und Kriegsgebiete hat in den letzten Jahren nicht gerade abgenommen. Wer von Mitteleuropa etwa in die Golfemirate fliegt, kommt kaum um eine Risikoregion herum: Die EASA stuft derzeit grosse Teile der arabischen Halbinsel, sowie den Iran und den Irak als Konfliktzone ein. Routen nach Südostasien führen in der Regel über Afghanistan oder Pakistan.
Für einen Piloten ein eigenartiges Gefühl
Anruf bei Thomas Hurter. Der Schaffhauser Nationalrat (SVP) ist selbst seit vielen Jahren Pilot, sowohl in der Zivilluftfahrt als Kapitän bei der Swiss als auch in der Luftwaffe. Hurter kennt also beide Seiten, und er hat selbst einschlägige Erfahrungen gemacht, flog in den 1990er-Jahren während des Jugoslawienkrieges über den Balkan. «Das muss ich schon sagen: Es war ein eigenartiges Gefühl, an einem Gebiet vorbeizufliegen, in dem Krieg herrscht.»
Auch der Übergang der Lufträume zwischen der Türkei und Zypern sei immer sehr speziell gewesen, und ist es aufgrund der Spannungen in der Region immer noch. «Diese Region kennt jeder Pilot bestens», sagt Hurter. Dort erfolge etwa die Übergabe der Funkunterstützung nicht automatisch, wie es sonst üblich ist, sondern «man muss sich selbst darum bemühen und aktiv die vorgängige Kontaktaufnahme herstellen».
Dass ein Land das Abfangen eines Zivilflugzeuges missbraucht, um ein politisches Ziel zu erreichen, wie jetzt in Belarus geschehen, ist für Hurter ein Unding: «Dahinter darf eigentlich nur der Gedanke stecken, dass jemand Hilfe benötigt, sei es technisch oder medizinisch, etwas passiert ist, oder dass man etwas Schlimmes verhindern möchte.»
Abfangen erlaubt, aber nur aus gutem Grund
Dabei dürfen Zivilflugzeuge grundsätzlich, so erklärt der Pilot, abgefangen werden: «Wenn sie sich nicht an die Regeln halten, wenn sie nicht angemeldet sind oder wenn sie aufgrund einer Notsituation oder Bedrohungslage begleitet werden müssen.» Damit sollte man aber auf keinen Fall «politisch spielen». Sonst müsse man als Pilot jederzeit mit staatlicher Willkür rechnen.
Dass der Vorfall Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von zivilen Pilotinnen und Piloten haben wird, glaubt Hurter nicht: «Man kennt die Manöver, man weiss wie man reagieren muss. In der Regel wird man eine solche Situation in der beruflichen Laufbahn allerdings nie erleben. Dennoch stellt man sich selbstverständlich die Frage: Wurde dieses Manöver aufgrund einer falschen Information ausgeführt? Hat man die Piloten bewusst falsch informiert?»
«Es muss ein ganz klares Zeichen gesetzt werden, dass derartige Manöver nur aus Sicherheits- und Hilfeleistungsgründen geflogen werden dürfen», fordert Hurter. «Es dürfen auf keinen Fall erfundene Gründe vorgeschoben werden.»
Mehr Konfliktregionen, bessere Informationen
Der Luftpolizeidienst der Schweiz führe Kontrollen «nie bei zivilen Passagierflugzeugen durch, sondern bei Militärflugzeugen, Transportflugzeugen oder Staatsluftfahrzeugen», erklärt Hurter. Eskorten zu Trainingszwecken werden in Friedenszeiten und wenn es keine konkrete Not- oder Bedrohungssituation gibt, dabei immer vorgängig angefragt.
Die verantwortliche Person im Cockpit habe immer das Recht, die Massnahme, falls sie Trainingszwecken dient, abzulehnen. Hurter selbst hätte vor einigen Jahren den US-Präsidenten in der Luft begleiten sollen: «Wir hatten bereits alle Bewilligungen, dann aber hat der Pilot der Präsidentenmaschine gesagt, dass er das nicht will. Also haben wir die Übung angebrochen.» Anders sähe es aus, wenn es eine konkrete Bedrohungslage gibt: «Dann steigen wir natürlich auf. Aber dann ist in der Regel auch der Pilot einverstanden.»
Aus Pilotensicht hat sich die Sicherheitslage im internationalen Luftverkehr in den letzten Jahren «sicherlich nicht entspannt. Heute nimmt man als Pilot sehr viel mehr wahr, ist über die Konflikte besser informiert. Auch bei den Airlines ist das Bewusstsein in dieser Hinsicht geschärft», sagt Hurter. Deswegen sei auch der Informationsaustausch zwischen den Fluggesellschaften und den internationalen Organisationen sehr intensiv, sodass man schnell reagieren könne.
Passagiere von Ferienflügen – nach Dubai und Südostasien etwa führt der Weg zwangsläufig über Konfliktregionen im Nahen und Mittleren Osten – müssten sich keine Sorgen machen. «Konfliktzonen werden ständig im Auge behalten und wenn notwendig eher umflogen», sagt Hurter.