Covid-19 und Immunität Einmal impfen und das Thema ist erledigt? Nicht ganz

Von Gil Bieler

12.1.2021

In Sachen Pandemie die Füsse hochlegen: Das wünschen sich viele.
In Sachen Pandemie die Füsse hochlegen: Das wünschen sich viele.
Keystone

Spätestens mit der Corona-Impfung erhoffen sich viele eine Rückkehr zum Alltag vor der Pandemie. Ein Blick in die Forschung zeigt, warum das etwas kurz gedacht ist – dass es aber gleichwohl Grund zur Zuversicht gibt.

Wer eine Infektion mit dem Coronavirus überstanden hat, bekommt in seinem Umfeld häufig eine Variante des folgenden Satzes zu hören: «Immerhin hast du es jetzt hinter dir.» Oder häufig auch: «Jetzt musst du wenigstens nicht mehr so aufpassen.»

Der Gedanke dahinter: Nach einer Infektion ist man gegen das Virus immun und kann die Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen lockerer sehen. Ähnliche Hoffnungen dürften wohl auch viele hegen, die sich jetzt gegen das Virus impfen lassen: Zwei Spritzen in den Oberarm, endlich hat man sein gewohntes Leben zurück.

Ist es wirklich so einfach? Denn was die Immunität gegen das Coronavirus angeht – ob nach einer Infektion oder nach einer Impfung –, gibt es trotz all der Forschungsarbeit noch viele offene Fragen. Selbst zu ganz grundlegenden Aspekten.

Solidarität statt Eigenverantwortung

Zunächst kann man sich natürlich fragen: Wieso sollte man sich nach einer überstandenen Infektion oder der Impfung noch an die Schutzmassnahmen halten? Ganz einfach: den Mitmenschen zuliebe. Denn auch wenn man selbst nach einer Impfung oder Erkrankung ziemlich sicher gegen das Virus geschützt ist, könnte man es immer noch weiterverbreiten.

Bisher ist noch nicht geklärt, ob die Impfung auch eine Weitergabe des Virus verhindert. Das bestätigt Daniel Speiser, Immunologe an der Universität Lausanne und Mitglied der Corona-Taskforce des Bundes, auf Anfrage von «blue News».



Vergessen darf man auch nicht, dass sich nicht jede und jeder mittels Impfung schützen lassen kann. So sollten sich Schwangere aktuell nicht impfen lassen, da die gesundheitlichen Risiken noch nicht erforscht sind. Auch für Personen mit einem geschwächten Immunsystem oder bestimmten Allergien sowie Kinder unter 16 Jahren ist die Impfung keine Option. Der viel gehörte Begriff der «Eigenverantwortung» könne vergessen machen, dass es auch um Solidarität gehe, sagt Speiser. «Wir müssen diese Pandemie gemeinsam meistern.»

Man kann sich auch mehrfach infizieren

Doch auch der Eigennutz spielt mit: Denn es ist möglich, dass man mehrfach am Coronavirus erkrankt. Wie oft dies geschieht und ob eine zweite Infektion zu einem schwereren Krankheitsverlauf führt, ist aber ebenfalls noch unklar – das hielt Maria Van Kerkhove, eine der führenden Covid-19-Expertinnen der Weltgesundheitsorganisation WHO, vor dem Jahreswechsel in einem Podcast fest. «Wir versuchen mehr über jeden Fall einer Reinfektion zu lernen und darüber, wie die Antikörper-Reaktion des Körpers bei der ersten und bei der zweiten Ansteckung aussah.»

WHO-Expertin Maria Van Kerkhove klärt Fragen zur Coronavirus-Immunität (nur auf Englisch).

Youtube

Wie häufig Fälle solcher Reinfektionen sind, ist unklar. Immunologe Speiser zufolge dürften sie aber relativ häufig vorkommen: «Wenn man nach einer überstandenen Infektion erneut Symptome entwickelt, dürfte das wahrscheinlich eine Reinfektion sein.» Weil die Überprüfung anhand der Analyse von Virussequenzen aufwendig sei, werde das aber nur in den wenigsten Fällen auch gemacht.

Das BAG erklärt auf Anfrage von «blue News», man habe Kenntnis von Fällen mit mehreren positiven Testresultaten. «Jedoch ist dies keine Bestätigung für eine Reinfektion. Hierfür müssten detaillierte Studien, zum Beispiel Virussequenzierung, durchgeführt werden», hält BAG-Sprecher Daniel Dauwalder fest. Statistisch erfasst würden solche Fälle nicht.

Es ist nämlich auch möglich, dass sich eine Person mehrfach durch ein und denselben Erreger infiziert. Wie das geht, beschrieben Sehaam Khan und Saurabh Sinha von der Universität Johannesburg wie folgt: Das Coronavirus dringt in den Körper ein und löst eine Erkrankung aus, wird nach einer gewissen Zeit aber inaktiv – bis es später eine neue Erkrankung auslöst. Eine mögliche Erklärung für diesen zweiten Schub könnte sein, dass das Immunsystem nur eine gewisse Zeit lang gegen das Virus gewappnet sei. Was zur nächsten Frage führt: Wie lange hält die Immunität eigentlich an?

Vielversprechende Signale aus der Forschung

Zunächst zur Immunität nach überstandener Covid-Erkrankung: Wie lange diese wirkt und wie stark sie ist, ist noch nicht abschliessend geklärt, hält die WHO fest. Offen ist etwa, ob es einen Unterschied macht, ob eine infizierte Person starke, milde oder gar keine Symptome entwickelt. Eine gute Nachricht gibt es laut WHO aber: «Sogar Menschen ohne Symptome scheinen eine Immunantwort zu entwickeln.»

Auch beim BAG formuliert man vorsichtig: «Wahrscheinlich sind Sie vor einer erneuten Ansteckung geschützt, wenn Sie mit dem neuen Coronavirus infiziert waren und Antikörper entwickelt haben.» Wie lange dieser Schutz anhalte, müsse sich aber noch zeigen.

Und wie sieht es bei der Immunität nach einer Impfung aus? Auch hier können weder der Bund noch die Herstellerfirmen zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie lange die Schutzwirkung genau anhält. Das gilt auch für den Impfstoff von Pfizer/Biontech, auf den die Schweiz setzt. Daher schliesst das BAG nicht aus, dass beim Coronavirus für Risikogruppen eine jährliche Impfung – wie bei der Grippe – nötig sein wird.

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Daniel Speiser von der Universität Lausanne findet: «Man darf sich von solchen Unklarheiten nicht beunruhigen lassen.» So zeige sich bereits jetzt, dass die Abwehrkräfte des Immunsystems mehrere Monate nach einer Infektion anhielten. Und: «Die Wirkung der Impfung ist wahrscheinlich noch besser.» Ausserdem werde die Schutzwirkung genau überwacht, sodass man ein Nachlassen rechtzeitig erkennen und auch rasch darauf reagieren könnte – am ehesten mit zusätzlichen Impfungen.

Aus der Forschung gab es jüngst weitere positive Erkenntnisse: Ein Team von Wissenschaftler*innen aus den USA fand in einer Studie Anzeichen dafür, dass sich das Immunsystem bis zu acht Monate nach einer Infektion noch an das Virus erinnern kann. Das berichtet ein Team um Jennifer Dan am La-Jolla-Institut für Immunologie in Kalifornien im Wissenschaftsmagazin «Science».

Für ihre Studie untersuchten sie die Blutproben von 188 Probanden, die am Coronavirus erkrankt waren; 43 der Studienteilnehmer*innen wurden über sechs Monate und mehr begleitet. Dabei fanden sich die wichtigen Antikörper in 90 Prozent der Proben auch nach mindestens sechs Monaten. Jedoch zeigten sich zwischen den einzelnen Probanden erhebliche Unterschiede – die Werte variierten bis zum 200-Fachen. Was genau dies für die Immunität bedeutet, müsse in weiteren Studien erforscht werden.

Alle warten auf den Sommer

Auch wenn es noch so manche Unklarheit gibt, steht für Speiser «ausser Frage, dass sich möglichst viele Leute impfen lassen sollten». Eine Impfung verhindert gemäss Expert*innen das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs – und kann Leben retten: Denn auch wenn eine Erkrankung in den meisten Fällen milde verläuft, sind in der Schweiz schon über 7500 Personen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben. Die Impfung führt somit auch zu einer Entlastung des Gesundheitssystems.

Und: Eine Impfung trage dazu bei, «die negativen gesundheitlichen, psychischen, sozialen sowie wirtschaftlichen Auswirkungen» der Pandemie zu reduzieren, hält das BAG fest. Der Weg zurück zur ersehnten Normalität gelingt also kaum ohne Impfung.



In der Schweiz richten sich nun die Hoffnungen auf den Sommer: Bis dahin sollen alle, die das möchten, geimpft worden sein, so sieht es die Impfstrategie des Bundes vor. Zu welchem Grad dann Normalität möglich sein wird, müsse der weitere Verlauf der Pandemie zeigen, sagt Speiser.

Das optimale Szenario umreisst er wie folgt: 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung lassen sich impfen, und der Impfstoff erweist sich als wirksam, indem er ein Streuen des Virus verhindert. «Dann könnten wir vieles wieder lockern.»

Die Schweizer Impfkampagne sei gut angelaufen, auch wenn es in Sachen Logistik noch Verbesserungspotenzial gebe. Auch dürfte mit dem Moderna-Impfstoff demnächst ein zweites Vakzin bereitstehen, das ausserdem durch die Hausärzte verabreicht werden könnte. Denn der Moderna-Imfpstoff muss, anders als jener von Pfizer/Biontech, nicht bei minus 70 Grad gelagert werden. All dies dürfte dazu führen, dass die Zahl der schweren Krankheitsverläufe sowie die Todesfälle auf absehbare Zeit sinken werde. Speiser findet daher: «Es gibt Grund zu Optimismus.»

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