Integration der Ukraine-Flüchtlinge «Einige Kantone, Städte und Gemeinden sind massiv überlastet»

Red.

21.4.2022

Verteilschlüssel zählt mehr bei Zuteilung von Geflüchteten

Verteilschlüssel zählt mehr bei Zuteilung von Geflüchteten

Einige Kantone haben weit mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen als sie auf Grund des Verteilschlüssels müssten. Der Bund will deshalb bei der Zuweisung der neu ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainer den Schlüssel stärker und individuelle Wünsche weniger berücksichtigen.

21.04.2022

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine vor acht Wochen sind bereits mehr als 38'000 Menschen in die Schweiz geflüchtet. Inzwischen habe sich die Lage normalisiert, sagen Bund und Kantone. Verbesserungspotenzial gebe es bei der Verteilung auf die Kantone. 

Red.

Bislang haben einige Kantone weit mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen als sie aufgrund des Verteilschlüssels müssten. Der Bund will deshalb bei der Zuweisung der neu Ankommenden den Schlüssel stärker und individuelle Wünsche weniger berücksichtigen.

Derzeit gingen weiterhin rund 800 Gesuche von Geflüchteten täglich beim Staatssekretariat für Migration (SEM) ein, sagte David Keller, Leiter Krisenstab Asyl im SEM. Im selben Takt würden sie verarbeitet. Gut 43'000 Gesuche seien bisher eingegangen, und gut 37'000 verarbeitet. 31'500 Personen hätten mittlerweile den S-Status erhalten.

In der stark beanspruchten Region Zürich normalisiere sich die Situation, ebenso in den anderen fünf Asylregionen, sagte Keller. «Inzwischen haben wir die Lage im Griff.» Auch bei den normalen Asylgesuchen, die im Einzelfall geprüft werden müssten, müsse nun wieder angesetzt werden.

Probleme gebe es aber bei der Verteilung der Geflüchteten auf die Kantone, sagte Keller. Einige Kantone hätten 50 oder gar 100 Prozent mehr Menschen aufgenommen als sie auf Grund des Proporzes – entsprechend ihrer Einwohnerzahl – aufnehmen müssten. Auch einige Städte und Gemeinden seien stark belastet.

Vergleichbare Zahlen zur Belastung der Kantone durch den Zuzug von Geflüchteten liegen dem Staatssekretariat für Migration (SEM) indes noch nicht vor. Sehr belastet seien jedoch städtische Kantone wie Basel, Bern, das Tessin und Zürich, namentlich die Stadt Zürich, sagte Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), am Donnerstag vor den Medien in Bern. Stark belastet ist aber auch der kleine Kanton Appenzell Ausserrhoden, der Waisenkinder beherbergt.

Weniger stark belastet sei bisher hingegen ein Teil der Westschweizer Kantone. Der Grund sei technischer Natur, führte David Keller vom SEM aus. Die Romandie sei die grösste der sechs Asylregionen - 25 Prozent der Bevölkerung lebten dort. Weil nun aber in allen sechs Bundesasylzentren auf die Schnelle dieselben Aufnahmestrukturen geschaffen worden seien, seien in der Westschweiz anteilsmässig weniger Menschen aufgenommen worden als in den kleineren Asylregionen.

Unterdessen rechnen Kantone und Gemeinden in den kommenden Wochen und Monaten mit einem starken Anstieg der Nachfrage nach Integrationsangeboten. Wartezeiten und auch Enttäuschungen bei den betroffenen Geflüchteten aus der Ukraine seien wohl nicht zu vermeiden.

Zentral sei in einem ersten Schritt das Erlernen einer Landessprache, sagte Nina Gilgen, Co-Präsidentin der Konferenz der kantonalen, kommunalen und regionalen Integrationsdelegierten (KID). Denn der Spracherwerb sei der Schlüssel dazu, dass jemand arbeiten könne. Die Schweiz stehe vor einer grossen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, so Gilgen, Grundsätzlich stünden die entsprechenden Integrationsprogramme bereit. Dies, da die Schweiz in den letzten 30 Jahren mehrfach grosse Gruppen von Schutzsuchenden aufgenommen habe, beispielsweise wegen der Balkankriege oder infolge des Syrien-Kriegs.

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  • 15.14 Uhr

    Die Medienkonferenz ist beendet

    Wir danken für das Interesse.

  • 15.12 Uhr 

    Kommt man bei den Sprachkursen an die Grenzen?

    Gilgen sagt, man gehe davon aus, dass es in verschiedenen Kantonen Engpässe hinsichtlich der Sprachkurse gebe. Man werde die Gruppengrössen wohl anpassen und womöglich auch an Onlinekurse denken müssen. Auch sei man auf Kurse von zivilgesellschaftlichen Anbietern angewiesen.

  • 15.10 Uhr 

    Haben russische Deserteure auch Anspruch auf den Schutzstatus S?

    David Keller verneint. Nur Vertriebene, die in der Ukraine gelebt haben, können den Schutzstatus S beantragen. Da das auf einen russischen Deserteur nicht zutreffe, müsse dieser ein reguläres Asylgesuch stellen, so Keller. 

  • 14.56 Uhr

    Sind die Kantone darauf vorbereitet, dass sie einen Teil der privat Untergebrachten übernehmen müssen?

    «Die Kantone sind darauf vorbereitet, dass sie einen Teil der momentan noch privat untergebrachten Personen aufnehmen werden müssen», bestätigt Szöllösy. Viele Menschen hätten am Anfang aus dem Impuls zu helfen, Flüchtlinge aufgenommen. Dabei hätten sie nicht überlegt, ob die Infrastruktur zu Hause ausreicht, um über längere Zeit Menschen bei sich aufzunehmen. Daher sei es nachvollziehbar, dass nicht alle Unterbringungen funktionieren und diese aufgelöst werden. Kurze Aufenthalte bei Private hätten sich nicht bewährt. 

  • 14.52 Uhr 

    Ist die Westschweiz weniger belastet?

    Das sei so, sagt Keller. Die Westschweiz sei für gewöhnlich die grösste Region bei der Aufnahme von Flüchtlingen. In diesem Fall habe man aber die Strukturen für die rasche Aufnahme erst entsprechend aufbauen müssen, weshalb etwa das Tessin im Verhältnis mehr Geflüchtete aufgenommen habe.

  • 14.45 Uhr

    Die Fragerunde beginnt

    Eine Journalistin will wissen, welche Kantone besonders überlastet sind und ob es Zahlen dazu gibt.

    Gaby Szöllösy antwortet, dass die Behörden keine konkreten Zahlen nennen können. Stark belastet seien aber besonders die Kantone Bern, Tessin und Basel-Stadt. «Der Kanton Zürich war es lange, die Stadt ist es immer noch», so Szöllösy. Die Last werde momentan aber ausgeglichen. Verteilbare Flüchtlinge werden auf die Kantone verteilt, die im Soll stehen. 

    David Keller fügt hinzu, dass auch der Kanton Appenzell Ausserrhoden sehr stark belastet sei. Momentan könne jedoch noch keine detaillierte Liste mit Zahlen herausgegeben werden. 

  • 14.44 Uhr

    Zum Bildungsniveau der Geflüchteten

    Gilgen spricht über das Bildungsniveau der Flüchtlinge, das teils sehr unterschiedlich ausfalle. Da viele Geflüchtete in ihren angestammten Berufsfeldern arbeiten wollten, könne das bei ihnen aber zu Frustration führen. Deshalb komme der Motivation und dem Erwartungsmanagement «eine zentrale Rolle zu».

  • 14.40 Uhr

    Förderung der Sprachkenntnisse

    Gilgen führt aus, dass der Bund die Kantone finanziell unterstütze, um etwa die Sprachkenntnisse der Geflüchteten zu fördern. Ohne Sprachkenntnisse sei zudem die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit schwer.

    Zugleich wirbt Gilgen für Verständnis, dass die «Angebote nicht beliebig schnell hochgefahren werden», denn dafür müssten auch Personal und Strukturen erst entsprechend eingerichtet werden.

  • 14.36 Uhr 

    Bedeutung der Aufenthaltssicherheit

    Bedeutsam sei vor allen die Aufenthaltssicherung, die mit der raschen Ingangsetzung des Schutzstatus S gewährleistet wurde, so Gilgen. Zudem habe der Bund den Schutzsuchenden 3'000 Franken als finanzielle Hilfe angeboten. 

  • 14.34 Uhr

    Zu den Integrationsmassnahmen

    Nina Gilgen, Präsidentin der Kantonalen Integrationsdelegierten KID und Leiterin Fachstelle Integration, Kanton Zürich, berichtet über die Unterstützungsmassnahmen. Die spezifischen Integrationsmassnahmen seien seit dem Jahr 2014 weiterentwickelt worden. Alle Kantonen verfügten mit Integrationsprogramme (KIP) nun über Strategien und Angebote für die Geflüchteten.

  • 14.31 Uhr 

    Viele Behördengänge notwendig

    Man müsse bedenken, dass die Geflüchteten sehr viele unterschiedliche Leistungen erhalten würden, für die viele verschiedene Behörden in der Schweiz verantwortlich seien. «Das sind dann viele Behördengänge, das sehen wir ein», sagt Szöllösy. Daran lasse sich aber schwer etwas ändern. Auch seien es jetzt bereits mehr Geflüchtete als im Jahr 2015. Deshalb sei es verständlich, dass es zu Beginn etwas «harzt».

  • 14.29 Uhr 

    Privatengagement als Coach oder in Familienprojekten

    Szöllösy wirbt noch einmal dafür, dass private Gastfamilien den Weg über die Behörden nehmen und ihr Engagement auf mindestens drei Monate hin auslegen. Wer eine Familie nicht längerfristig aufnehmen könne oder wolle, solle sich womöglich als Coach oder in Familienprojekten engagieren, so Szöllösy. «All diese Engagements helfen den Schutzsuchenden und sind extrem wertvoll», sagt Szöllösy. Man schätze die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sehr hoch ein. 

  • 14.25 Uhr 

    Versorgung stimmt auch in ländlichen Regionen

    Die kurze Unterbringung Geflüchteter bei Privaten würde sich nicht rentieren, meint Szöllösy. Es bringe Aufwand für die Behörden, aber auch Unruhe und Unsicherheit für die Geflüchteten. Man müsse den Schutzsuchenden wohl auch besser kommunizieren, dass in der Schweiz auch in ländlichen Gebieten die Versorgung gut sei und man mit dem ÖV rasch bei Verwandten und Freunden in anderen Regionen sei. 

  • 14.22 Uhr 

    Kantone müssen solidarisch verfahren

    Für entsprechende Kantone sei es nicht möglich, die Überbelastung langfristig zu stemmen, denn es ginge ja nicht nur um die Unterbringung, sondern beispielsweise auch um Einschulung. «Deshalb ist es wichtig, dass wir hier solidarisch verfahren», sagt Szöllösy. 

  • 14.20 Uhr

    Kantone froh über neue Zuweisungspraxis

    Gaby Szöllösy, Generalsekretärin, Konferenz der kantonalen Sozialdirektor*innen SODK, sagt, man sei «glücklich darüber», dass man nun wieder zur proportionalen Zuweisungspraxis zurückkehre. Das bedeute, dass Einzelne nun aber eben auch keinen Anspruch mehr hätten, dort hinzukommen, wo sie wollten. Das sei teils auch fair gegenüber den Flüchtlingen, die es sich wegen fehlender Verwandten etc. keinen Ort hätten aussuchen können.

    Gaby Szöllösy spricht an einem Point de Presse am 21. April über die Situation im Ukrainekonflikt.
    Gaby Szöllösy spricht an einem Point de Presse am 21. April über die Situation im Ukrainekonflikt.
    Keeystone/Peter Schneider
  • 14.15 Uhr 

    Kein «Hopping» in der Unterbringung

    In der Privatunterbringungen können nicht mehr alle Wünsche berücksichtigt werden. Die Behörden müssten restriktiver werden, sagt Keller. Verwandte, die nicht zur Kernfamilie gehören, hätten keinen Anspruch, in einem gewissen Kanton untergebracht zu werden, wenn in diesem der Verteilschlüssel bereits verletzt sei. Auch wolle man das Wechseln nach kurzer Zeit in andere Familien verhindern, denn dies sei nicht sinnvoll und aufwendig für die Behörden. Von allen Seiten bestehe jedoch das Interesse, dass man Erwerbsfähigkeit begünstige, so Keller.

    Keller verweist auf Interessenkonflikte, etwa, wenn eine Person jemanden aufnehmen wolle, aber niemanden aufgrund der Proportionalität zugewiesen bekomme. Hier müssten nun eben alle mitmachen, dass es funktioniere.

  • 14.12 Uhr 

    Familien und vulnerable Personen bleiben zusammen

    Kantone und SEM würden erstens empfehlen, allen Privatpersonen empfehlen, die Geflüchtete aufnehmen wollten, das über die offiziellen Stellen zu tun. So werde auch die Flüchtlingshilfe ab Montag wieder auf die Proportionalität achten.

    Trotzdem werde man auch künftig auf die Bedürfnisse der Geflüchteten achten, sodass auch weitere Familienangehörige zusammenbleiben könnten. Das gelte auch für vulnerable Personen, die ebenfalls in Zukunft bei ihren Verwandten bleiben könnten. 

    Andere Gruppen könnten nicht darauf setzen, dass sie zusammenbleiben könnten, gleichwohl man natürlich auch hier darauf achtet, dass sie möglichst zusammenbleiben. Das betreffe etwa Verwandte und Bekannte im weiteren Kreise, die keinen Anspruch mehr hätten. 

  • 14.09 Uhr

    Grosse Unterschiede bei Belastung der Kantone

    Probleme würden hinsichtlich der Aufteilung in den Kantonen bestehen, sagt Keller. Man wolle die Last der Unterbringung und Versorgung auf die Kantone gerecht verteilen. Es gebe hier jedoch beträchtliche Differenzen hinsichtlich der Verteilung in den Kantonen, konstatiert er. Es gebe Kantone, die fast 100 Prozent mehr Flüchtende aufgenommen hätten, als sie vom Anteil her hätten aufnehmen müssen. Auch Städte und Gemeinden seien teils erheblich belastet. Nun sei es wichtig, wieder zu einer proportionalen Verteilung zu gelangen. 

  • 14.06 Uhr 

    Gut aufgestellt

    Zur Verteilung: Mit dem neuen S-Status unter Krisenbedingungen sei man vor einer neuen Situation gestanden. Inzwischen habe man 9'000 Betten – zu Beginn sei es nur die Hälfte gewesen. Man habe zudem keine sichere Prognose abgeben können, ob die Kantone die Situation meistern würden.

    Inzwischen seien die Strukturen gut aufgestellt, um die aktuellen Zahlen zu bewerkstelligen, sagt Keller. Die Lage normalisiere sich. 

  • 14.03 Uhr

    Normale Gesuche wieder im Blick

    «Wir müssen uns jetzt auch den normalen Asylgesuchen zuwenden.» Hier würden im Monat wieder 800 Gesuche verarbeitet und diese benötigten mehr Aufwand.

  • 14.01 Uhr 

    Zwischen 500 und 1'000 Gesuchen am Tag

    Keller nennt die Schlüsselzahlen zur Entwicklung. Die Gesuche würden sich weiterhin zwischen 500 und 1'000 Gesuchen aus der Ukraine am Tag bewegen, aktuell seien es 700 bis 800. Diese würden auch an einem Tag bearbeitet, sagt er. Rund 31'500 Geflüchtete hätten bereits den Schutzstatus S erhalten. Die Situation habe sich an den Asylzentren weitgehend entspannt.

  • 14 Uhr 

    Die Medienkonferenz beginnt

    David Keller, Leiter Krisenstab Asyl, Staatssekretariat für Migration SEM, eröffnet die Medienkonferenz.

    David Keller vom SEM (rechts) und SODK-Generalsekretärin Gaby Szöllösy sprechen auf der Medienkonferenz in Bern.
    David Keller vom SEM (rechts) und SODK-Generalsekretärin Gaby Szöllösy sprechen auf der Medienkonferenz in Bern.
    Bild: Keystone

Schon mehr als fünf Millionen Menschen sind laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor dem Krieg in der Ukraine ins Ausland geflohen. In der Schweiz sind laut den aktuellen Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) bis Mittwoch offiziell 38'339 Flüchtlinge registriert worden. 31'413 von ihnen haben den Schutzstatus S erhalten.

Wie es um die Registrierung, Betreuung und Unterbringung der geflüchteten Menschen steht, darüber informieren ab 14 Uhr Expertinnen und Experten von Bund und Kantonen.

Folgende Expert*innen informieren

  • David Keller, Leiter Krisenstab Asyl, Staatssekretariat für Migration SEM
  • Gaby Szöllösy, Generalsekretärin, Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK
  • Nina Gilgen, Präsidentin der Kantonalen Integrationsdelegierten KID und Leiterin Fachstelle Integration, Kanton Zürich
Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren, SODK, spricht neben David Keller vom Staatssekretariat für Migration SEM zum Krieg in der Ukraine. (Archiv)
Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren, SODK, spricht neben David Keller vom Staatssekretariat für Migration SEM zum Krieg in der Ukraine. (Archiv)
Bild: Keystone