Kann ein Tunnel Brienz GR retten? Nun muss dem Rutsch das Schmiermittel entzogen werden

Von Fabienne Berner und Gil Bieler, Brienz GR

14.8.2023

Kann ein Tunnel Brienz GR retten? Nun wird der Rutschung das Schmiermittel entzogen

Kann ein Tunnel Brienz GR retten? Nun wird der Rutschung das Schmiermittel entzogen

Unterhalb von Brienz GR kämpfen Fachleute gegen die Zeit – und mit der Natur: Um das Abrutschen des Dorfes zu bremsen, soll dem Untergrund Wasser entzogen werden. Einblick ins Innenleben eines Gebirges.

14.08.2023

Unterhalb von Brienz GR kämpfen Fachleute gegen die Zeit – und mit der Natur: Um das Abrutschen des Dorfes zu bremsen, soll dem Untergrund Wasser entzogen werden. Einblick ins Innenleben eines Gebirges.

Von Fabienne Berner und Gil Bieler, Brienz GR

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ein Entwässerungsstollen soll das Abrutschen des Bergdorfs Brienz im Bündner Albulatal verlangsamen.
  • Das Vorhaben stellt die Fachleute vor weltweit einzigartige Herausforderungen, wie die Experten am Montag vor Ort erklärten.
  • Ein 635 Meter langer Sondierstollen erlaubt es den Geologen, erste Testbohrungen durchzuführen.
  • Die Ergebnisse seien ermutigend. Ab März 2024 wird der Stollen zu einem 2,3 Kilometer langen Entwässerungsstollen ausgebaut. 

Es ist angenehm kühl rund 30 Meter unterhalb der Erdoberfläche. Und feucht. Ein Rinnsal fliesst links und rechts an den Gummistiefeln vorbei. Genau darauf haben die Geologen wohl gehofft.

635 Meter misst der Sondierstollen, der unterhalb von Brienz GR ins Bergmassiv gegraben wurde. Er ermöglicht den Fachleuten einen Blick in den Untergrund unter jenem Bündner Bergdorf, das stetig talwärts rutscht. Seit dem immensen Bergsturz von Mitte Juni verschiebt sich wieder alles mit «normalen» 1,05 Metern pro Jahr.

Das Ziel: Den Hang stabilisieren

Denn auch wenn 1,2 Millionen Kubikmeter Fels hinabgestürzt sind: «Für die Menschen in Brienz ist das Problem noch nicht gelöst», sagt Geologe Reto Thöny an einer Medienorientierung am Montagmorgen auf der Grossbaustelle.

Das Ziel: Der Hang, auf dem Brienz steht, muss stabilisiert werden. Das würde gleichzeitig Ruhe in den Berg oberhalb des Dorfes bringen – und verhindern, dass sich erneut ein ganzer Teil davon abkoppelt.

Die Lösung: Wasser aus den verschiedenen Gesteinsschichten unterhalb von Brienz entziehen und in die Albula einleiten. Denn das Wasser im Gestein wirkt wie ein Schmiermittel, auf dem alles abrutscht.

Karg sieht der Tunnel aus. Bis auf das Wasser, das hier und dort aus Röhren fliesst, sticht kaum etwas ins Auge. Unspektakulär. Doch das täuscht laut den Fachleuten: Es gebe auf der ganzen Welt kein vergleichbar komplexes Entwässerungsprojekt. Allein schon wegen der nach wie vor grossen Rutschgeschwindigkeit seien die Arbeiten ein Wettlauf gegen die Zeit.

Mit dem Sondierstollen ging es darum, die Gegebenheiten vor Ort auszuleuchten. Denn alles lasse sich nicht mit Modellen prognostizieren, erklärt der Geologe Daniel Figi beim Rundgang durch den dunklen Stollen. Lässt sich dem Stein überhaupt Wasser entziehen? Und wirkt sich das Bauen überhaupt bremsend aus?

Im März 2024 startet das «richtige» Bauprojekt

Die gewonnenen Erkenntnisse hätten «das bestmögliche Szenario» bestätigt, heisst es. Wo der Sondierstollen durchführt, konnte die Rutschgeschwindigkeit um gut die Hälfte gedrosselt werden. «Das erfüllt uns mit Zuversicht», erklärt Geologe Thöny.

Jetzt startet das eigentliche Bauprojekt: Der Sondierstollen wird zu einem 2,3 Kilometer langen Entwässerungsstollen ausgebaut, die Bauarbeiten starten im März 2024. Kostenpunkt: 40 Millionen Franken. Die Gemeindeversammlung von Albula/Alvra, zu der Brienz gehört, hat diesen Kredit kürzlich genehmigt, ohne Gegenstimme.

Wobei: 90 Prozent der Kosten tragen Bund und Kanton. Anders wäre das für das beschauliche Bergdorf gar nicht zu stemmen.

Lohnt sich ein solch riesiger Aufwand für einen Ort, in dem 85 Menschen dauerhaft leben? Absolut, erklärt Gemeindepräsident Daniel Albertin. Mit der RhB-Linie und Stromleitungen seien auch über Brienz hinaus bedeutsame Infrastruktur-Projekte von der Rutschung bedroht. 

Gemeindepräsident von Brienz: Lösung für Gebäudeschäden ist noch nicht gefunden

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Rund zwei Monate sind seit dem Bergsturz bei Brienz vergangen. Das Leben sei wieder ins Dorf zurückgekehrt, sagt Gemeindepräsident Daniel Albertin – aber viele Fragen sind noch offen. Etwa zu Gebäudeschäden.

14.08.2023