Brisanter VorschlagBerset will eine Milliarde sparen – und rüttelt an freier Arztwahl
tjb/aka
19.8.2020
Ist die freie Arztwahl bald Geschichte? Ja, wenn es nach dem Willen des Bundesrates geht. Gesundheitsminister Berset hat darüber informiert, dass alle Menschen in der Schweiz zuerst eine Erstberatungsstelle wählen sollen.
13.09 Uhr: Pressekonferenz ist beendet
Das war's mit den Fragen, die Pressekonferenz ist vorbei. Wir danken für die Aufmerksamkeit
13.01 Uhr: Und die anderen 70 Prozent bekommen keine Reduktion?
Eine Antwort dazu sei Stand heute noch etwas schwierig , so die Antwort. «Die Prämien müssen einfach den tatsächlichen Kosten entsprechen.» Die Hauptprofiteure seien aber schon diejenigen, die heute noch eine freie Arztwahl hätten, also die andern 30 Prozent..
13 Uhr: Bekommen jene, die bis jetzt kein Hausarzt-Modell gewählt haben, nun Prämienrabatte?
Es wird schon einen Effekt auf die Prämien dieser Leute geben, sagt Berset. «Das ist schon das Ziel. Wir wollen Doppelspurigkeiten und unnötige Behandlungen vermeiden.»
12.55 Uhr: Nachfrage: Warum soll es jetzt anders sein als bei der abgelehnten Vorlage?
Die Diskussion heute sei eine andere als vor zehn Jahren. «Wir sind ja auch erst am Anfang der Vernehmlassung – wohin der Weg gehen wird, werden wir sehen», sagt Berset.
12.46 Uhr: Es gibt eine Ähnlichkeit mit der Managed-Care-Vorlage, die ja abgelehnt wurde: Warum soll das Paket jetzt auf weniger Widerstand stossen?
Angesprochen auf die Differenzen zur letzten Vorlage, sagt Berset: Die Anzahl der Versicherten, die ein solches Modell gewählt haben, steige stetig. Sie sei heute viel höher als bei der letzten Abstimmung. Das sei ein wichtiger Punkt, um hier das ganze System zu ändern.
Zudem kämen die Massnahmen ja nicht von ihm alleine, sondern von einer Expertengruppe. «Die Diskussion müssen wir jetzt einfach führen.» Kurz nach der Abstimmung damals sei ausserdem schon unbestritten gewesen, dass es eine bessere Koordination der verschiedenen Akteure brauche.
12.42 Uhr: Da die Kantone in der Pflicht sind: Keine Angst, dass gar nichts passiert?
Ja, gibt Berset zu, das könne ein mögliches Risiko sein. «Die Idee ist, keinen Automatismus zu haben. Das wäre eben auch falsch. Wir brauchen Flexibilität und Sinn für Verantwortung für alle Akteure.» Es gehe um erhöhte Transparenz und um Kostentransparenz.
12.40 Uhr: Zeit für Fragen der Journalisten
Was er sich mit der eingeschränkten Arztwahl erhoffe, wird Berset gefragt. «Mehr Effizienz», so die Antwort des Gesundheitsministers. Eine grosse Mehrheit der Leute habe schon heute den Weg der eingeschränkten Arztwahl gewählt. Eine bessere Koordination sei aber für alle Patienten ein Vorteil, gibt sich Berset überzeugt. Also: «Auch mehr Koordination ist ein Vorteil.» Und die Rabatte würden insgesamt nicht kleiner werden.
12.35 Uhr: «Es gibt nicht die heilende Massnahme»
Jetzt brauche es diese Gesetzesrevision. Die Prämienbelastung sei in den letzten 20 Jahren stetig gestiegen, und sie werde es in der aktuellen Wirtschaftskrise noch weiter tun. «Es gibt nicht die heilende Massnahme», stellt Berset klar. Deshalb brauche es viele kleine Schritte. Es brauche nun alle Akteure im Gesundheitssystem.
12.30 Uhr: «Sparpotenzial bei den Arzneimitteln»
Sparpotenzial sieht Berset auch bei den Arzneimitteln. Er erwähnt etwa Krebsmittel. Deshalb brauche man eine bessere rechtliche Grundlage. Andernfalls würden gewisse Länder schlicht darauf verzichten, gewisse Medikamente hier anzubieten. Nur so könne ein guter Zugang zu bestimmten Arzneimitteln hierzulande sichergestellt werden.
12.25 Uhr: Freie Arztwahl einschränken
Es ginge aber auch um eine bessere Koordination zwischen den verschiedenen Beteiligten im Gesundheitswesen, so Berset weiter.
Die freie Arztwahl sei ein entscheidendes Element. Alle Menschen in der Schweiz sollen eine Erstberatungsstelle wählen, an die sie sich bei gesundheitlichen Problemen zuerst wenden. Zum Beispiel eine Hausärztin oder einen Hausarzt oder eine HMO-Praxis. Diese würden die Patientinnen und Patienten entweder selber behandeln oder sie an spezialisierte Ärztinnen und Ärzte weiterverweisen. Mehrere hundert Millionen Franken könnten allein mit dieser Massnahme gespart werden, sagt Berset.
12.15 Uhr: Die Pressekonferenz beginnt
Gesundheitsminister Alain Berset ergreift das Wort: «Um Kosten zu sparen, hat der Bundesrat in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Massnahmen ergriffen.» Heute habe er das zweite grosse Massnahmenpaket verabschiedet, die Vernehmlassung sei damit eröffnet. Sie dauere bis zum 19. November 2020.
Es gelte, eine Milliarde Franken zu sparen. Es handle sich damit auch um einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» der CVP.
Der Hintergrund
Der Bundesrat fasst ein heisses Eisen im Gesundheitswesen erneut an: die freie Arztwahl. Diese soll fallen, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen in den Griff zu kriegen. Innenminister Alain Berset hat der Landesregierung einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Der Bundesrat informiert dazu heute um 12.15 Uhr. «Bluewin» überträgt die Pressekonferenz live.
Um was geht es genau? In Zukunft sollen Versicherte nicht mehr direkt zum Arzt gehen dürfen, sondern sich zuerst bei einer ärztlichen Erstberatungsstelle melden. So stehe es im Entwurf für einen Vernehmlassungsbericht, den Berset an der heutigen Bundesratssitzung präsentiere.
Die vorgesehenen Beratungsstellen entscheiden demnach, ob für die Kranken eine weitere Untersuchung oder Behandlung notwendig sei. Wer diese Erstberatung vornimmt, soll von den Kantonen festgelegt werden, nicht von den Krankenversicherern.
Arztwahl schon heute oft eingeschränkt
Beschränkungen bei der freien Arztwahl lässt das Krankenversicherungsgesetz bereits heute zu: Wählen Versicherte ein entsprechendes Modell, müssen sie beispielsweise zuerst den Hausarzt oder die Hausärztin aufsuchen oder sich an ein Beratungstelefon wenden, bevor sie zum Spezialisten gehen. Krankenkassen locken dafür mit Rabatten. Mehr als zwei Drittel aller Versicherten verzichten zugunsten tieferer Prämien auf die freie Wahl.
Nach dem Willen von Innenminister Berset soll dieses Modell nun für alle in der Grundversicherung zur Pflicht werden.
Eine ähnliche Lösung stand bereits früher zur Debatte, fiel aber beim Volk durch: Die sogenannte Managed-Care-Vorlage von Bundesrat und Parlament erlitt vor acht Jahren eine heftige Niederlage. 76 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sagten damals Nein zur Einschränkung der freien Arztwahl, in keinem einzigen Kanton fand sich bei der Abstimmung im Juni 2012 eine Mehrheit für die Gesetzesänderung.
Volk dürfte das letzte Wort haben
Der Entwurf jetzt sieht auch einige Ausnahmen vor, in denen Kranke nicht zuerst zur Beratungsstelle gehen müssten. In Notfällen sollen sich Betroffene auch weiterhin direkt an Ärzte wenden können, zudem sollen für einzelne Gebiete Ausnahmen gelten – der Bericht erwähne Augenärzte und Gynäkologen.
Von offizieller Seite ist bisher nichts zu dem Thema verlautet. Der Entwurf muss zuerst vom Gesamtbundesrat verabschiedet werden, anschliessend gehen die vorgesehenen Änderungen in die Vernehmlassung. Danach wird das Parlament über die tatsächlichen Gesetzesänderungen tagen, bevor dann schliesslich das Volk in der Sache das letzte Wort haben dürfte – denn ein Referendum darf bei einem solchen Reizthema als sicher gelten.