Minigolf-Battle Ameti vs. Ledergerber «Bern ist ein Haifischbecken» – «Ich bekam eine Morddrohung»

Von Alex Rudolf, Fabienne Berner und Christian Thumshirn

30.9.2023

«Bern ist ein Haifischbecken» – «Ich kriegte eine Morddrohung»

«Bern ist ein Haifischbecken» – «Ich kriegte eine Morddrohung»

Wie soll die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU aussehen? Zwei, die das Heu diesbezüglich nicht auf derselben Bühne haben, duellieren sich erst im Minigolf, dann im Streitgespräch.

28.09.2023

Wie soll die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU aussehen? Sanija Ameti (GLP) und Domenik Ledergerber (SVP) liegen da komplett über Kreuz. Hier duellieren sie sich erst im Minigolf, dann im Streitgespräch.

Von Alex Rudolf, Fabienne Berner und Christian Thumshirn

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Sanija Ameti und Domenik Ledergerber wollen am 22. Oktober in den Nationalrat gewählt werden. Die beiden Jungpolitiker duellieren sich in der ersten Ausgabe des Minigolf Battles von blue News.
  • Im Video oben siehst du, wie sie gegeneinander im Minigolf antreten. Anschliessend führte blue News mit den beiden ein Streitgespräch zum Schwerpunktthema EU.

Auf einer Brache im Westen Zürichs ragt eine funkelnde Glas-Skulptur aus dem Boden. Sie besteht aus Spiegel-Scherben und lässt die paar Quadratmeter um sie herum funkeln. Sie ist Teil der Minigolf-Anlage Hard und hier trifft blue News zwei der wohl vielversprechendsten Jung-Politiker*innen der Schweiz: Sanija Ameti von der GLP und Domenik Ledergerber von der SVP.

blue News lädt zum Minigolf Battle. Wer als Sieger*in vom Platz geht, siehst du oben im Video. Im anschliessenden Streitgespräch schenken sich die beiden ebenfalls nichts. Besonders im EU-Dossier und bei den Krankassen-Prämien kämpfen sie mit harten Bandagen. Und dann sagt der SVP-Mann plötzlich: «Wir brauchen mehr Leute wie Sanija Ameti.»

Serie Minigolf-Battle

Das ist die erste Folge des blue News Minigolf-Battles. Politiker*innen verschiedener Parteien duellieren sich erst in einem Minigolf-Turnier und kreuzen anschliessend in einem vertieften Streitgespräch verbal die Klingen. Dieses Mal diskutieren GLP-Frau Sanija Ameti und SVP-Mann Domenik Ledergerber über die EU und die Aussenbeziehungen der Schweiz. 

Die Operation Libero lancierte jüngst eine Kampagne gegen die SVP. Werden Sie so nicht zur Wahlhelferin der Volkspartei, Frau Ameti?

Sanija Ameti: Nein. Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, wie die SVP in ihren Positionen, aber auch in ihrer Rhetorik extremer wurde. Sie sprach diesen Sommer muslimischen Armee-Angehörigen ihre Religionsfreiheit ab, hetzt auf rassistische Weise seit Jahren gegen Ausländer und die Junge SVP bezeichnete queere Menschen an der diesjährigen Pride als krank. Die SVP greift Menschen aufgrund ihrer Religion und Herkunft an. Das nennt sich Rassismus. Wir greifen die SVP aufgrund ihres Rassismus an. Das ist unsere demokratische Pflicht.

Sie werden hier als Rassist bezeichnet, Herr Ledergerber: Wie reagieren Sie darauf?

Ameti: Ich habe nicht Domenik Ledergerber als Rassisten bezeichnet, sondern gesagt, die SVP betreibt Rassismus. Das ist etwas anderes.

Domenik Ledergerber: Das sind haltlose Vorwürfe und es zeigt, dass wir mit unserer Themensetzung recht haben und die Finger in die Wunden legen. Ich nehme es genüsslich zur Kenntnis, dass nun alle gegen uns schiessen. All die Beispiele, die Frau Ameti aufgezählt hat, gehören der Vergangenheit an. Wir sind in diesem Wahlkampf so brav unterwegs wie schon lange nicht mehr. Die Operation Libero hat offenbar keine anderen Themen als gegen die SVP zu schiessen. Auch das nehme ich zur Kenntnis.

Ameti: Wir haben eine Europa-Initiative und eine Demokratie-Initiative – verfügen also sehr wohl über eigene Themen.

Sie stehen für ein diametral unterschiedliches Verhältnis zum Ausland. Herr Ledergerber möchte so viel Souveränität wie möglich und Frau Ameti so viel Zusammenarbeit wie möglich. Haben Sie auch gemeinsame Ziele?

«Kündigen wir die Personenfreizügigkeit, gehen wir zurück in die Zeit vor 1999, als die Schweiz wirtschaftlich stagnierte.»

Sanija Ameti

GLP-Politikerin

Ledergerber: Ja, ich glaube, die EU ist eine wichtige Handelspartnerin der Schweiz und dieser Verbindung müssen wir Sorge tragen, denn die Beziehungen funktionieren sehr gut. Der Schweiz geht es so gut wie noch nie. Ich sehe beispielsweise nicht ein, warum die Schweiz in die EU soll.

Ameti: Das verlangen wir auch nicht. Herr Ledergerber widerspricht sich. Denn die Beziehungen zur EU erodieren, seit das institutionelle Rahmenabkommen beerdigt wurde. Wir können weder Medikamente noch Strom importieren. Geht es so weiter, werden wir auch nicht mehr exportieren können. Die SVP beklagt, dass unser Wohlstand wegen der Einwanderung sinke, was nicht wahr ist. Seit den Bilateralen ist unser Wohlstand sogar gestiegen und steigt immer noch. Der Grund dafür ist die Personenfreizügigkeit mit der EU. Ein Abkommen, das die SVP kündigen will.

Sanija Ameti

Ameti ist 31 Jahre alt und ist Mitglied der GLP und wohnt in Zürich. Zudem ist sie Co-Präsidentin der Operation Libero. Beruflich ist sie Juristin mit Schwerpunkt Cybersecurity. So wurde sie auch im Abstimmungskampf gegen das Antiterrorgesetz Anfang 2020 politisch aktiv. Derzeit sitzt sie im Zürcher Gemeinderat und will an den Wahlen vom 22. Oktober den Sprung in den Nationalrat schaffen.

Domenik Ledergerber

Ledergerber ist 36 Jahre alt und kommt aus Herrliberg. Er ist seit dem vergangenen Jahr Präsident der Zürcher SVP. Der diplomierte Landwirt und Ingenieur Agronom sitzt auch im Zürcher Kantonsrat. Politisiert haben ihn die vielen politischen Diskussionen am Küchentisch in seiner Jugend und der Bauernstreik 1996. Ledergerber will an den Wahlen vom 22. Oktober den Sprung in den Nationalrat schaffen.

Ledergerber: In gewissen Jahren profitierte die Schweiz tatsächlich von der Personenfreizügigkeit, weil wir ein grosses Wirtschaftswachstum hatten. Dieses Wachstum schrumpfte in den vergangenen Jahren aber. Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf wächst praktisch nicht mehr. Die negativen Auswirkungen merkt wohl jeder in diesem Land. Gerade vergangene Woche knackten wir die 9-Millionen-Grenze. In den vergangenen zehn Jahren hatten wir ein Wachstum von einer Million Menschen. Wir wachsen 16 Mal schneller als Deutschland. Ich frage mich, wie Ihr die Probleme, die das verursacht, lösen wollt.

Ameti: Mit der Zuwanderung stieg auch der Wohlstand. Kündigen wir die Personenfreizügigkeit, gehen wir zurück in die Zeit vor 1999, als die Schweiz wirtschaftlich stagnierte.

Lügen der Bundesrat und Frau Ameti, wenn sie sagen, dass die die Verträge mit der EU erodieren?

Ledergerber: Davon spüre ich nichts.

Ameti: Ich spüre das sehr wohl, denn ich habe kürzlich in der Apotheke meine Medikamente nicht bekommen, weil wir kein Abkommen mit der EU haben. Im kommenden Jahr wird es uns mit dem Strom genauso gehen.

Sanija Ameti würde ich bei einer Wahl als Erstes für das EU-Dossier einsetzen.
Sanija Ameti würde ich bei einer Wahl als Erstes für das EU-Dossier einsetzen.
Foto: Fabienne Berner

Ledergerber: Ich glaube sehr wohl, dass wir den bilateralen Verträgen ein Stromabkommen anhängen können. Denn die EU ist ebenfalls an gesunden Beziehungen mit der Schweiz interessiert. Sie importiert mehr Güter in die Schweiz als wir in die EU exportieren – das weiss sie ganz genau. Wir können mit gestärktem Rücken hinstehen. Die EU hat ein Interesse daran, dass die Lastwagen durch den Gotthard fahren können und sie mit unseren angesehenen Universitäten zusammenarbeiten kann. Die direkte Demokratie und unsere Souveränität können wir doch nicht einfach opfern, nur damit man besser mit der EU zusammenarbeiten kann.

Ameti: Die Nichtumsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative zeigt sogar der SVP beispielhaft, wie unsere direkte Demokratie an ihre Grenzen kommt. Obwohl das Volk sie annahm, wurde sie aufgrund der ökonomischen Abhängigkeit nicht umgesetzt, weil die Personenfreizügigkeit mit der EU hätte gekündigt werden müssen. Deshalb wollen wir lieber mit am Tisch sitzen, an dem die wichtigen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Entscheide in Europa getroffen werden, als einfach nur wegen des ökonomischen Drucks Regeln zu übernehmen. Das könnten wir mit einem institutionellen Abkommen.

«Die EU hat ein Interesse daran, dass die Lastwagen durch den Gotthard fahren können und sie mit unseren angesehenen Universitäten zusammenarbeiten kann.»

Domenik Ledergerber

SVP-Politiker

Ledergerber: Was erhofft ihr euch denn noch? Es gibt doch derzeit kein Problem in der Schweiz? Wir können doch ein Strom-Abkommen abschliessen mit der EU.

Ameti: Das stimmt nicht, das Strom-Abkommen gibt es nur, wenn wir ein institutionelles Abkommen mit der EU haben. Die EU baut derzeit Hunderte von Kilometern Stromleitungen um die Schweiz herum, weil sie nicht auf uns angewiesen sein will.

In einem neuen EU-Bericht heisst es, dass im künftigen Verhältnis mit der EU ohne den Europäischen Gerichtshof nichts gehe. Beunruhigt Sie das Herr, Ledergerber?

Ledergerber: Genau bei diesem Punkt ist die SVP nicht bereit nachzugeben. Denn es gehört zum Erfolgsmodell der Schweiz, dass die Bevölkerung die Gesetze bestimmen kann und wir unsere eigenen Richter haben, die über die Einhaltung dieser Gesetze befinden. Wir dürfen nicht in die Abhängigkeit der EU verfallen.

Die Welt ist nun globalisiert und Eigenbrötler haben es schwerer.

Ledergerber: Wir sind ein sehr globalisiertes Land und verfügen etwa über einen der besten Flughäfen überhaupt. Wir haben internationale Unternehmen in der Schweiz, die überall hin exportieren. Wir brauchen die EU nicht, die uns vorschreibt, was wir zu tun haben.

«Asylsuchende geniessen von Tag eins an die vollen Leistungen, obwohl sie noch nie eine Krankenkassen-Prämie bezahlt haben.»

Domenik Ledergerber

SVP-Politiker

Ameti: Technische Abkommen mit der EU sind der Grund, warum der Flughafen Zürich überhaupt erst funktioniert.

Erst nach den Wahlen will der Bundesrat ein Verhandlungsmandat erlassen. Was sagt dies über den Bundesrat aus, Frau Ameti?

Ameti: Die FDP hat Angst vor der SVP. Denn das Dossier ist so toxisch, dass die FDP Wähler*innenstimmen an die SVP verlieren würde. Es ist ein strukturelles Problem. Alle vier Jahre ist die FDP auf Stimmen der SVP angewiesen, damit sie ihre Sitze im Parlament und im Bundesrat behalten kann. Deshalb auch die Listenverbindungen mit der SVP.

Domenik Ledergerber würde in Bern als erstes gegen die Zuwanderung ankämpfen.
Domenik Ledergerber würde in Bern als erstes gegen die Zuwanderung ankämpfen.
Foto: Fabienne Berner

Ledergerber: Es ist ein politisches Spiel. Kommt es so, wie wir denken, werden wir das Verhandlungsmandat ebenfalls bekämpfen.

Die Operation Libero wollten die Europa-Initiative, mit der die Beziehungen zur EU strukturiert werden sollten, schon lange lancieren. Warum läuft da nichts?

Ameti: Wir hatten die Hoffnung, dass Wirtschaftsverbände das Thema ebenfalls als so wichtig erachten wie wir. Economiesuisse spannt nun aber mit dem Bauernverband zusammen und hat in Sachen Europapolitik keine Aktionspläne. Das hat uns viel Zeit gekostet, aber die Europa-Initiative kommt trotzdem.

Ledergerber: Das ist der beste Beweis dafür, dass unsere Wirtschaft weder eure Initiative noch einen neuen Rahmenvertrag braucht.

Diese Woche kündigte Bundespräsident Alain Berset den Anstieg der Krankenkassenprämien um durchschnittlich 8,7 Prozent  an. Wie soll dem begegnet werden?

Ledergerber: Die Kosten liegen auf dem Sorgenbarometer der Schweiz ganz weit oben. Nebst dem, dass wir viele Leistungen in den Grundkatalog packen, ist auch die Zuwanderung einer der Gründe für den Kostenanstieg. Die Datenlage ist klar. Frau Ameti und ich zahlen seit über 30 Jahren Krankenkassenprämien und haben praktisch keine Leistungen bezogen. Asylsuchende geniessen von Tag eins an die vollen Leistungen, obwohl sie noch nie eine Krankenkassen-Prämie bezahlt haben. Besonders ältere Flüchtlinge müssen die Krankenkassen-Prämie in Anspruch nehmen, ohne dafür in jungen Jahren bezahlt zu haben.

«Wollt ihr die Pflege eurer SVP-Wähler etwa auch nach Afrika auslagern, so wie ihr es bei den Asylverfahren wollt?»

Sanija Ameti

GLP-Politikerin

Ameti: Auch Ausländer*innen zahlen Krankenkassen-Prämien und haben daher ein Anrecht auf medizinische Leistungen. Sprechen wir von Gesundheitskosten im Alter: Die Mehrheit des Pflegefachpersonals hat Migrationshintergrund. Zusätzlich fehlen uns Tausende von Pflegefachkräften in den kommenden Jahren. Wollt ihr die Pflege eurer SVP-Wähler etwa auch nach Afrika auslagern, so wie ihr es bei den Asylverfahren wollt? Ihr arbeitet gegen eure eigenen Wähler.

Ledergerber: Wir haben eine Rekord-Zuwanderung und trotzdem zu wenig Fachkräfte. Da stimmt doch etwas nicht. Im Vergleich zu vor 20 Jahren haben wir 54 Prozent mehr Ärzte in unserem Land – und es reicht noch immer nicht aus. Im Vergleich zu vor 15 Jahren haben wir 51 Prozent mehr Pflegefachkräfte in unserem Land – und auch das reicht nicht aus. Die Rechnung geht einfach nicht mehr auf, denn die Fachkräfte, die kommen, bringen ihre Familien mit, für die wir wiederum mehr Fachkräfte brauchen.

Ameti: Das nennt sich Wohlstand.

Frau Ameti, Sie sind eine der bekanntesten Grünliberalen der Schweiz, sind aber nur auf Platz 18 der Wahlliste der GLP. Warum?

Ameti: In der «NZZ» liess sich ein einflussreiches GLP-Mitglied anonym zitieren, dass man Mühe habe mit dem Phänomen Ameti. Was das konkret heissen soll und warum, weiss ich auch nicht.

Sie, Herr Ledergerber, sind schon so gut wie gewählt mit ihrem Listenplatz 11.

Ledergerber: Das würde ich nicht so sagen. Meine Chancen auf eine Wahl liegen wohl etwa bei 50 Prozent. Auf der SVP-Liste herrscht ein grosses Ellenbögeln.

Wie hoch ist Ihr Wahlkampf-Budget?

«Wir brauchen mehr Leute wie Sanija Ameti.»

Domenik Ledergerber

SVP-Politiker

Ameti: Meines beträgt nur 10'000 Franken.

Ledergerber: Meines beträgt 65'000 Franken.

Zum Schluss: Sagen Sie etwas Nettes über den jeweils anderen.

Ameti: Kommen Sie mal wieder mit mir zum Minigolf?

Das ist eine Frage und kein Kompliment.

Ledergerber: Ich schätze Ihren politischen Einsatz. Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand so viel Freizeit opfert. Wir brauchen mehr Leute wie Sanija Ameti.

Ameti: Ich wusste lange nicht, dass Sie Landwirt sind. Und ich habe den grössten Respekt vor Menschen, die um 5 Uhr morgens aufstehen und zu ihren Tieren und Pflanzen schauen. Danke Domenik Ledergerber!