Spiel auf Zeit Rahmenvertrag – selbst der letzte Optimist verliert die Zuversicht

tafi

9.8.2019

Auch Aussenminister Ignazio Cassis glaubt nicht mehr daran, dass sich beim Rahmenabkommen bis zum Abgang von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch etwas tut.
Auch Aussenminister Ignazio Cassis glaubt nicht mehr daran, dass sich beim Rahmenabkommen bis zum Abgang von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch etwas tut.
Bild: AP/Geoffroy Van Der Hasselt

Der Rahmenvertrag wird zur unendlichen Geschichte: Die Verhandlungen stocken, die EU zeigt sich wenig kompromissbereit, und die Schweiz spielt unverhohlen auf Zeit – und auf die Zeit nach Jean-Claude Juncker.

Jean-Claude Juncker ist EU-Kommissionspräsident auf Abruf. Im Herbst wird er sein Amt abgeben. Als Nachfolgerin hat das EU-Parlament Mitte Juli die deutsche CDU-Politikerin Ursula von der Leyen gewählt. Mit ihr an der EU-Spitze könnte endlich wieder Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zum Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union kommen. Davon geht zumindest die «Neue Zürcher Zeitung» aus.

Die Zeitung glaubt nicht daran, dass es vor der Machtübergabe von Juncker an von der Leyen eine Einigung zwischen Brüssel und Bern geben könnte. Zuletzt hatte auch Aussenminister Ignazio Cassis, der wohl letzte grosse Optimist in dieser Sache, ein früheres Ende der unendlichen Geschichte bezweifelt: «Eine Einigung mit der aktuellen Kommission wäre ein Wunder», sagte er erst am Wochenende in einem Interview mit dem «Sonntags-Blick». 



Dabei hatte der Bundesrat noch Anfang Juni einen Brief an die EU-Kommission geschrieben, in dem er betonte, mit der EU eine für beide Seiten befriedigende Lösung bei den Streitpunkten Lohnschutz, staatliche Beihilfen und Unionsbürgerrichtlinie finden will. Das soll letztlich dazu führen, dass das Rahmenabkommen doch noch unterzeichnet werden kann.

Brüssel bleibt hart

Doch diese Unstimmigkeiten sind bislang nicht ausgeräumt worden. Klärende Gespräche mit Schweizer Sozialpartner und Kantonen, wie denn Kompromisse aussehen könnten, blieben vor den am Montag endenden Bundesratsferien ergebnislos. Die EU hat ohnehin kein Interesse an Nachverhandlungen und hat als Zeichen ihrer Haltung mit dem Ende der Börsenäquivalenz Nachdruck verliehen.

Man sei unzufrieden mit den Fortschritten zum Rahmenabkommen, hiess es zur Begründung. Die Schweiz spiele auf Zeit, so die EU. Und das ist: richtig. In einem Gespräch mit SRF sagte Bundespräsident Ueli Maurer am 1. August, er erwarte nicht, dass beim Rahmenabkommen mit der EU bis zum Ende der Amtszeit der derzeitigen EU-Kommission Ende Oktober eine Lösung gefunden werden könne. Laut NZZ ein Indiz dafür, dass Maurer «hinter die Entscheide des Bundesrats vom Juni zurückging. Die Differenzen seien grösser, als viele meinten.»

Auch Cassis habe die Hoffnung auf eine baldige Lösung verloren. Laut NZZ machen «gut informierte Personen» negative Signale aus Brüssel dafür verantwortlich. Derweil geht die Mehrheit im Bundesrat davon aus, dass das Rahmenabkommen nur mit Zustimmung der Gewerkschaften eine Chance hat. Und die würden trotz Entgegenkommens der Regierung mit einer geplanten Überbrückungsrente verlangen, dass der Lohnschutz vom Rahmenabkommen ausgenommen werde. Für Brüssel ist das ein No-Go.

«Ohne Lohnschutz verliert die Schweiz an Wohlstand»

Beim Schweizer Lohnschutz hört der Spass allerdings auf, wie Gewerkschafter und SP-Nationalrat Corrado Pardini vor kurzen vehement unterstrich: «Ohne Lohnschutz verliert die Schweiz an Wohlstand, weil alle Schweizer Löhne ins Rutschen kommen.»



Pardini sieht es so: «Das Problem ist nicht die EU, das Problem liegt in der Schweiz.» Dem Freisinn und seinem Bundesrat Cassis würden die flankierenden Massnahmen schon lange missfallen. «Ein Aussenminister, der Beschlüsse des Parlaments missachtet, stellt sich selber infrage», stellte er indirekt sogar Cassis’ Abwahl in Aussicht.

«Bevor es beim Rahmenabkommen weitergeht, muss ohnehin zuerst die SVP-Kündigungsinitiative, welche die Personenfreizügigkeit beseitigen will, gebodigt werden», sagt der SP-Mann und äussert damit die Hoffnung, die Unterzeichnung des Rahmenabkommens sogar bis ins nächste Frühjahr hinauszögern zu können.

So weit geht Pardinis Parteikollege Adrian Wüthrich, Präsident des Gewerkschaftsverbands Travail Suisse, noch nicht. Er glaubt aber laut NZZ, dass es klüger sei, die Gespräche mit Brüssel erst wieder aufzunehmen, wenn Ursula von der Leyen an der EU-Spitze steht. «Sie ist unbelastet und kann eher Kompromisse machen, ohne befürchten zu müssen, das Gesicht zu verlieren.»

Bilder aus der Schweiz

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