Neues Nachrichtendienst-Gesetz «Eine Drohung gegen eine Person reicht nicht»

red.

19.5.2022

Nachrichtendienst soll potenziell gewalttätige Extremisten abhören

Nachrichtendienst soll potenziell gewalttätige Extremisten abhören

Gewaltbereite Rechts- und Linksextreme werden in der Schweiz laut dem Nachrichtendienst des Bundes immer aktiver. Nun soll der NDB schärfere Instrumente bekommen. Der Bundesrat hat die Vernehmlassung für eine Revision des Nachrichtendienstgesetz.

19.05.2022

Das Nachrichtendienst-Gesetz soll revidiert werden. Weil Extremistin in der Schweiz immer aktiver würde, brauche der Nachrichtendienst des Bundes weitreichendere Mittel.

red.

19.5.2022

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bundesrat will das Nachrichtendienst-Gesetz anpassen. Dazu hat er am Mittwoch die Vernehmlassung gestartet.
  • Eine wesentliche Änderung betrifft die Früherkennung und Verhinderung von gewalttätigem Extremismus. Konkret sollen Organisationen und Personen, die die demokratischen Grundlagen ablehnen und Gewalt befürworten, besser überwacht werden. 
  • Eine weitere Neuerung betrifft die Abklärungen über finanzielle Transaktionen, zum Beispiel bei der Finanzierung von Terrorismus oder Spionagenetzwerken.
  • Zugleich stellt Bundesrätin Viola Amherd den neuen Chef des Nachrichtendienstes vor, Christian Dussey.

Gewaltbereite Rechts- und Linksextreme werden in der Schweiz laut dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) immer aktiver. Nun soll der NDB schärfere Instrumente bekommen. Der Bundesrat hat die Vernehmlassung für eine Revision des Nachrichtendienstgesetzes eröffnet.

Vor drei Jahren hatte der NDB-Lagebericht festgehalten, dass die Entwicklung beim gewalttätigen Extremismus äusserst bedenklich sei. Verteidigungsministerin Viola Amherd zog damals in Betracht, potenziell gewalttätige Extremisten abhören zu lassen. Ursprünglich war eine Vernehmlassungsvorlage für Sommer 2020 geplant.

Nun handelt der Bundesrat zwei Jahre später. Er plant schärfere Instrumente für die Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus. Es geht um zusätzliche Massnahmen zur Früherkennung und Verhinderung, wie es in einer Mitteilung vom Donnerstag heisst.

Bundesrat reagiert auf Erfahrungen

Konkret sollen die genehmigungspflichtigen Massnahmen neu auch zur Aufklärung von schweren Bedrohungen angewendet werden können, die von gewalttätig-extremistischen Aktivitäten ausgehen. Davon betroffen sein können gemäss dem Vernehmlassungsentwurf «Organisationen und Personen, welche die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten befürworten, fördern oder verüben».

Mit den Anpassungen reagiere der Bundesrat auf die seit der Inkraftsetzung des Nachrichtendienstgesetzes gemachten Erfahrungen sowie auf die Entwicklung der Bedrohungslage der vergangenen Jahre, schreibt der Bundesrat. Laut früheren Angaben des Bundesrats ist beim gewalttätigen Linksextremismus eine Verschärfung erkennbar. Beim Rechtsextremismus besteht mittelfristig eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Anschlag durch einen entsprechend inspirierten Einzeltäter.

Das Abhören von Telefongesprächen und das Eindringen in Computer ist dem Nachrichtendienst erst seit September 2017 erlaubt. Diese genehmigungspflichtigen Massnahmen darf er heute aber nicht im Bereich des gewalttätigen Extremismus anwenden.

Dass die Möglichkeiten des Nachrichtendienstes bei Extremismus heute eingeschränkt sind, ist eine Folge des Fichenskandals, der Ende der 1980er-Jahre die Schweiz erschütterte. Damals wurde bekannt, dass der Nachrichtendienst Hunderttausende aufgrund ihrer politischen Gesinnung überwachte.

Finanzflüsse analysieren

Eine weitere Neuerung betrifft die Abklärungen über finanzielle Transaktionen, zum Beispiel bei der Finanzierung von Terrorismus oder Spionagenetzwerken. Der NDB hat heute keine Möglichkeit, Informationen von Finanzintermediären über die Finanzierung von sicherheitsrelevanten Personen oder Gruppierungen zu erhalten.

Die Gesetzesrevision sieht dies neu vor: Bei schweren Bedrohungen der Sicherheit der Schweiz kann der NDB künftig auch Finanzflüsse aufklären, indem er bei Finanzintermediären Auskünfte zu Transaktionen anfordern kann. Infrage kommt dies gemäss Mitteilung beispielsweise bei kommerziellen Unternehmen, ideellen Organisationen oder religiösen Einrichtungen, über die begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass sie an der Finanzierung von terroristischen, nachrichtendienstlichen oder gewalttätig-extremistischen Umtrieben beteiligt sind.

Neue Regeln für Datenbearbeitung

In die geplante Revision des Nachrichtendienstgesetzes flossen auch Forderungen der Aufsichtsbehörden zu den NDB-Datensammlungen ein. Unter anderem die Aufsichtsbehörde über den Nachrichtendienst des Bundes (AB-ND) ortete in ihrem zweiten Tätigkeitsbericht im März 2020 Verbesserungspotenzial in der Datenbearbeitung. Heute würden gelegentlich zu viele Daten zu lange aufbewahrt oder Berichte unsorgfältig verfasst. Der NDB müsse transparent erklären können, welche Informationen zu Personen weshalb in seinen Datenbanken gesammelt und verwendet würden. Das sei heute zu wenig der Fall.

Das will der Bundesrat ändern. Die Vernehmlassungsvorlage sei beim Datenschutz erheblich fortschrittlicher, heisst es im erläuternden Bericht. «Sie ist gegenüber der jetzigen Regelung technologieneutral, prozessorientiert und deutlich weniger komplex.»

Das Risiko, dass der NDB über nach Gesetz nicht relevante Personen Daten bearbeitet, werde durch die Einführung einer detaillierten Eingangsprüfung entschärft. Dabei würden sämtliche Inhalte anonymisiert, welche entweder keinen Aufgabenbezug aufweisen oder unter die Datenbearbeitungsschranke fallen.

Die Vernehmlassung dauert bis am 9. September 2022. Über die Gesetzesänderungen wird später das Parlament und je nachdem das Volk zu befinden haben.

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  • 11:22 Uhr

    Die Medienkonferenz ist vorüber

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  • 11.18 Uhr 

    In der Vergangenheit gab es Kritik, dass in der Datenbank Informationen über nicht relevante Personen zu lange gespeichert werden. 

    Dussey antwortet, dass seine Mitarbeiter bei einem Gesuch tatsächlich in die Datenbank schauen müssen. Allerdings erhalten sie pro Tag von offenen Quellen rund eine Million A4-Seiten. Um eine Analyse zu machen, müssen es sehr schnell gehen. Mit dem neuen System werde die Analyse einfacher. Dussey versichert, dass kein Interesse bestehe, gezielt Informationen von Personen, die kein Risiko darstellen, zu analysieren und unnötig lange aufzubewahren. Dazu fehle auch die Zeit. 

  • 11:14 Uhr

    Rechtens und ethisch Handeln sind nicht dasselbe

    Innerhalb des Rechts und ethisch zu Handeln seien nicht dasselbe, sagt Dussey. Seine Angestellten müssten teils innerhalb weniger Sekunden folgenschwere Entscheide treffen und es sei ihm wichtig, die Angestellten auf genau solche Entscheidungen zu sensibilisieren. Hier gebe es verschiedene Weiterbildungen.

  • 11:09 Uhr

    Was ist der Unterschied zu heute?

    Banken müssen bei Verdacht auf kriminelle Hintergründe bereits heute Meldung beim Bund erstatten. Was ist der Unterschied zu heute, will ein Journalist wissen. Es gehe darum, die Finanzierung von Terrorismus zu verhindern und so gehe es beim neuen Gesetz darum, dass der Nachrichtendienst bei Verdachtsfällen Informationen erhalten kann. Doch dazu müssen ihm erst Hinweise vorliegen. Hinweise, die den Banken allenfalls nicht vorliegen.

  • 11.06 Uhr

    Wann hat der Nachrichtendienst mit einem Angriff von Russland auf die Ukraine gerechnet? 

    Amherd erklärt, der Nachrichtendienst mache regelmässig Lageanalysen. In diesen Lageanalysen sei schon vor den Olympischen Spielen darauf hingewiesen worden, dass in der Ukraine ein Einmarsch von Russland möglich sei. Wurde auch darauf hingewiesen, dass dieser voraussichtlich nach den Olympischen Spielen stattfinden soll. Das EDA habe eine eigene Beurteilung gemacht und diese diskutiert. Daher sei auch die Evakuierung des Botschaftspersonals diskutiert worden. Ein genaues Datum konnte nicht vorausgesagt werden. 

  • 11:01 Uhr

    «Eine Drohung gegen eine Person reicht nicht»

    Wie qualifiziert sich eine Person, damit die neuen Instrumente zur Gewinnung von Informationen über sie eingesetzt werden dürfen, will ein Journalist wissen. «Eine Drohung gegen eine Person reicht nicht,» sagt Amherd. Es müsse eine Bedrohung für die Staatsordnung dahinterstecken.

  • 10:57 Uhr

    Es gehe um die Prävention von Gewalt

    Hätte der Geheimdienst auch das Recht Informationen über Staatskritiker*innen zu erhalten, will ein Journalist wissen. Es gehe  um die Prävention von gewalttätigen Akten, so Dussey. Das neue Gesetz werde helfen einzuschätzen, von welchen Personen solche Gefahren ausgehen. «Dies sei aber ein sehr heikles Thema, wo es um die öffentliche Sicherheit und das Recht auf persönliche Freiheit gehe», so Dussey.

  • 10:54 Uhr

    Frühestens 2026 in Kraft treten

    Auch war im Parlament der Ruf laut geworden, die Kompetenzen hinsichtlich der Überwachung von Verdächtigen zu klären. Auch dies sei im revidierten Nachrichtendienstgesetz der Fall. Nun gehe es darum, die Vernehmlassung – sie dauert rund vier Monate – durchzuführen. Frühestens wird die Revision 2026 in Kraft treten.

  • 10:54 Uhr

    Grundrechte seien weiterhin garantiert

    Seit der letzten Anpassung des Nachrichtendienstgesetzes seien im Parlament mehrere Vorstösse zum Thema Sicherheit vor extremistischen Anschlägen und Cyber-Sicherheit eingegangen. Diese seien teils in die Revision eingeflossen. So habe das FEDPOL neu auch die Möglichkeit Ausreiseverbote gegen Verdächtige zu erlassen. «Das Ausüben von Grundrechten ist aber weiterhin garantiert.»

  • 10:47 Uhr

    Dussey: «Wir haben nicht den Luxus, uns nur auf die Ukraine zu konzentrieren»

    Dussey arbeitet in verschiedenen Positionen, die in verschiedenen Aspekten mit der Sicherheitspolitik zu tun haben. Er sagt, dass die Spionage in der Schweiz auch eine Gefahr für die Schweiz. «Wir haben nicht den Luxus, uns nur auf die Ukraine zu konzentrieren.» Auch die Cyber-Sicherheit sei ein wichtiges Thema, wie der Ukraine-Konflikt zeige. Noch seien wir zwar nicht das Ziel eines solchen Angriffs geworden, so Dussey weiter.

  • 10:46 Uhr

    Unabhängige Aufsichtsbehörde

    Der Nachrichtendienst werde jährlich 15 bis 20 Mal von einer unabhängigen Aufsichtsbehörde kontrolliert, so Amherd. Gerade in Zeiten von «Fake News» sei das notwendig, jedoch sehr komplex, da sich alles wegen technologischen Entwicklungen sehr schnell verändere. 

  • 10:43 Uhr

    Auskünfte über Finanz-Transaktionen

    Neu soll der Nachrichtendienst auch Auskünfte über Geldflüsse erhalten, in dem er Informationen von Institutionen zu Transaktionen verlangt. Bedrohungen können so verifiziert werden und wichtige Hinweise an andere Behörden wie etwa das EJPD weitergegeben werden. Diese Möglichkeit hat der Nachrichtendienst bisher nicht. Er konnte Bundesmitarbeiter auf Organisationen und Einzelpersonen sensibilisieren, von denen potenzielle Gefahren ausgehen. Dieses Instrument ermögliche eine unabhängige Lagebeurteilung, so Amherd. «Sie helfen uns, eine Flut von Informationen zu analysieren.» 

  • 10:42 Uhr

    Neue genehmigungspflichtige Massnahmen

    Das heutige Nachrichtendienstgesetz trat 2017 in Kraft. «Obwohl es sich in den letzten vier Jahren bewährt hat, braucht es Anpassungen», so Amherd. In seiner Bedrohungsanalyse stellte der Bundesrat fest, dass der gewalttätige Extremismus weltweit zunimmt. Die genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen seien ein wirkungsvolles Instrument, um Angriffe auf kritische Infrastrukturen zu verhindern. Neu sollen solche Massnahmen auch erhoben werden können, wenn es um Personen oder Organisationen gehe, die die Rechtsstaatlichkeit ablehnen und eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen.

  • 10:39 Uhr

    Christian Dussey, neuer Chef des Geheimdienstes, wird vorgestellt

    Als Christian Dussey für sein neues Amt vom Bundesrat ernannt wurde, hätte Amherd ihn gern der Öffentlichkeit vorgestellt, doch hielten sie starke Grippesymptome davon ab. Dussey verfüge über die Kompetenzen, die Direktion eines Amtes zu übernehmen, das vor grossen Herausforderungen stehe, so Amherd. 

    Christian Dussey ist bereits seit 1. April Chef des Nachrichtendienstes des Bundes. 
    Christian Dussey ist bereits seit 1. April Chef des Nachrichtendienstes des Bundes. 
    Bild: Keystone
  • 10:35 Uhr

    Der Nachrichtendienst spielt eine zentrale Rolle

    Mit dem Ukraine-Konflikt habe man grosse Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheitspolitik, sagt Verteidigungsministerin Viola Amherd (Die Mitte). Gefahren müssten frühzeitig identifiziert werden. Der Nachrichtendienst des Bundes spiele hierbei eine zentrale Rolle. In den vergangenen Jahren seien mehrere Anpassungen am Nachrichtendienstgesetz gemacht worden, nun folge eine weitere. So würden die Anstrengungen verschärft, bei denen es darum gehe, ein Gleichgewicht zwischen der Staatssicherheit und der individuellen Freiheit zu finden.

  • 10:31 Uhr

    Die Medienkonferenz beginnt

    Verteidigungsministerin Viola Amherd (Die Mitte) betritt den Saal.

    Bundesrätin Viola Amherd, Mitte, spricht an der Seite von Christian Dussey, Direktor Nachrichtendienst des Bundes (NDB), links, und Vizekanzler Andre Simonazzi Bundesratssprecher, rechts, am Donnerstag, 19. Mai 2022, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. 
    Bundesrätin Viola Amherd, Mitte, spricht an der Seite von Christian Dussey, Direktor Nachrichtendienst des Bundes (NDB), links, und Vizekanzler Andre Simonazzi Bundesratssprecher, rechts, am Donnerstag, 19. Mai 2022, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. 
    KEYSTONE/Anthony Anex