Lehrermangel «Man fragt sich, ob man diese Person auf der Strasse gefunden hat»

Von Alex Rudolf

9.8.2022

Oberste Schweizer Lehrerin: «Ich als Mutter mache mir grosse Sorgen»

Oberste Schweizer Lehrerin: «Ich als Mutter mache mir grosse Sorgen»

Vor Beginn des neuen Schuljahres fordert das Deutsch- und Westschweizer Lehrpersonal von Bund und den Kantonen mehr Unterstützung. Der anhaltende Mangel an Lehrkräften sowie die zusätzlichen Herausforderungen durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg würden den Bildungserfolg gefährden.

08.08.2022

In den Kantonen gehen die Sommerferien zu Ende und noch immer sind Hunderte Lehrerstellen unbesetzt – Ungelernte müssen einspringen. Können Eltern noch ruhig schlafen?

Von Alex Rudolf

9.8.2022

Sie könnte nicht mehr ruhig schlafen, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter von unqualifiziertem Lehrpersonal unterrichtet wird. Das sagt die höchste Lehrerin des Landes, Dagmar Rösler. An einem Medienanlass blickte die Präsidentin des Schweizer Verbandes von Lehrpersonen in eine düstere Zukunft. Wenige Wochen vor Schulbeginn sind noch Hunderte von Stellen unbesetzt und viele Schulen müssen auf Lehrpersonal zurückgreifen, das keine klassische Ausbildung genossen hat.

Auf die Frage, ob sie von zahlreichen Eltern kontaktiert werde, die sich ebenfalls um die Bildungsqualität sorgen, verneinte Rösler. Man werde überraschend wenig aufgesucht.

Warum bleiben Eltern ruhig angesichts der grossen Herausforderungen? Gabriela Heimgartner ist Co-Präsidentin von Schule und Elternhaus Schweiz sowie im Vorstand des Vereins Elternbildung Schweiz. Zu blue News sagt sie, sie nehme durchaus eine grosse Unsicherheit bei den Eltern wahr.

«Eltern sind irritiert, wenn im August noch immer nicht feststeht, wer ihr Kind im kommenden Schuljahr unterrichten wird», sagt sie.

Oftmals wissen Eltern gar nicht, welche Ausbildung die Lehrperson ihrer Kinder genossen hat. Warum ist das so?

Gabriela Heimgartner ist Co-Präsidentin von Schule und Elternhaus Schweiz und fordert von den Schulen mehr Transparenz, was die Ausbildung der Lehrkräfte angeht.
Gabriela Heimgartner ist Co-Präsidentin von Schule und Elternhaus Schweiz und fordert von den Schulen mehr Transparenz, was die Ausbildung der Lehrkräfte angeht.

Ja, hier gibt es sehr wenig Transparenz. Die Eltern merken oft, dass etwas nicht stimmt, wenn Lehrerposten erst kurzfristig besetzt werden oder wenn es während des Schuljahrs zu vielen Wechseln kommt. Mir fielen beispielsweise unbefristete Stellenausschreibungen für Lehrpersonen auf, die seit einigen Tagen nicht mehr per Schulstart, sondern für nach den Herbstferien ausgeschrieben sind. Das legt die Vermutung nahe, dass man für die ersten fünf Wochen des Schuljahrs jemanden gefunden oder eine Zwischenlösung organisiert hat. Generell sind die Wechsel bei der Lehrerschaft viel grösser als früher.

Was fordern die Eltern?

Dass die Schulen transparent machen, welche Ausbildung die Lehrpersonen genossen haben. Und für den Fall, dass einer Lehrperson eine klassische Ausbildung fehlt, müssen die Eltern darüber informiert werden, in welchem Umfang sie von erfahrenen Kolleg*innen unterstützt und betreut wird. Bei Unsicherheiten braucht es eine Ansprechperson.

Was ist den Eltern bei Lehrpersonen wichtig?

Eine Ausbildung ist sicher wichtig, aber viel zentraler ist die Frage: Wer ist die Lehrperson überhaupt? Erfährt man erst zwei Wochen vor Schulstart, wer es wird, ist die Verunsicherung gross. Denn die Wahrscheinlichkeit, so kurzfristig Top-Personal zu finden, ist gering. Als Eltern fragt man sich dann, ob man diese Person auf der Strasse gefunden hat.

Wie verhalten sich die Eltern gegenüber der Schule?

Ich bin davon überzeugt, dass die Schulleitungen ihr Möglichstes tun, um gutes Personal zu rekrutieren. Wenn die Eltern merken, dass den unerfahrenen Lehrkräften Fachpersonal an die Seite gestellt wird, sind sie sicher sehr wohlwollend.

Was raten Sie den Eltern?

Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, welche Ausbildung die Lehrperson ihres Kindes hat – ich persönlich würde mich aber nicht gleich am ersten Schultag danach erkundigen. Man sollte erst abwarten. Wenn man aber merkt, dass etwas nicht gut läuft, sollte man ohnehin das Gespräch mit der Lehrperson oder der Schulleitung suchen.

Vorwiegend Wohlhabende können ihre Sprösslinge in Privatschulen unterrichten lassen.

Aktuell besteht kein verschärfter Trend hin zu Privatschulen, sondern viel eher hin zu Homeschooling. Denn je weniger Vertrauen die Eltern in die Volksschule haben, desto eher trauen Sie sich die Ausbildung ihrer Kinder selber zu. Wenn dies jemand ohne Ausbildung kann, könne man dies auch selber, denken viele.

Welchen Appell richten Sie an die Bildungspolitiker*innen?

Am absolut dringendsten ist, dass jene Personen ohne pädagogische Ausbildung eine gute Betreuung zur Seite gestellt bekommen. Damit meine ich nicht das bestehende Lehrpersonal, sondern externe Expert*innen.