Neues Stromgesetz wirft viele Fragen auf Muss ich jetzt Solar-Panels montieren?

Redaktion blue News

9.6.2024

Das Stromgesetz soll den Ausbau der Solarenergie in der Schweiz beschleunigen. 
Das Stromgesetz soll den Ausbau der Solarenergie in der Schweiz beschleunigen. 
KEYSTONE

Die Schweizer Stimmbürger*innen sagen deutlich Ja zum neuen Stromgesetz. Was bedeutet das jetzt? blue News beantwortet die drängendsten Fragen.

Redaktion blue News

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Schweizer*innen haben das neue Stromgesetz deutlich angenommen.
  • Was sich für dich nun konkret ändert, liest du im nachfolgenden Q&A.

Was ändert sich nun mit dem Mantelerlass?

Es gibt Mindestziele für den Ausbau der Stromversorgung mit Wind- und Solarenergie respektive mit Wasserkraft vor. Ebenso will die Vorlage den Energie- und Stromverbrauch pro Kopf drosseln, und sie enthält Vorschriften für eine Wasserkraftreserve. Nach dem Ja soll sie per Anfang 2025 in Kraft treten. Die Verordnungen waren bis vor Kurzem in der Vernehmlassung.

Ziel des Stromgesetzes ist es, mehr Strom aus einheimischen erneuerbaren Quellen zu gewinnen, die Stromversorgung im Winter zu sichern und weniger abhängig vom Ausland zu werden.

Woher hat die Schweiz heute ihren Strom?

Knapp 53 Prozent des produzierten Stroms kamen 2022 von Wasserkraftanlagen, etwa 3 Prozent aus thermischen Kraftwerken, und 7,7 Prozent wurden mit verschiedenen erneuerbaren Energien hergestellt. Atomkraftwerke trugen gut 36 Prozent zur Schweizer Stromversorgung bei. Mit dem Ja zur Energiestrategie 2050 entschied das Schweizer Stimmvolk 2017, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu stärken und den Bau neuer AKW zu untersagen.

Die bestehenden Kernkraftwerke – die Reaktoren in Beznau AG, Gösgen SO und Leibstadt AG – dürfen aber laufen, solange sie sicher sind. Vorsorglich bereitgestellte und mit Öl oder Gas betriebene Reservekraftwerke sowie Notstromgruppen sollen allfällige Engpässe überbrücken.

Ist die Versorgung gesichert?

Internationale Konflikte, Trockenperioden, vorübergehende Lieferengpässe wie zum Beispiel im Sommer 2022 in Frankreich und die Energiewende in Europa können besonders im Winter die sichere und konstante Stromversorgung gefährden. Wegen der Dekarbonisierung, etwa der steigenden Zahl von Elektroautos und Wärmepumpen, steigt zudem auch andernorts die Nachfrage nach ohne fossile Energien produziertem Strom.

Wie wird mehr Schweizer Strom produziert?

Die Vorlage regelt die Planung grosser Solar- und Windkraftanlagen, die mehr einheimischen Strom produzieren sollen. Sie fordert einen Zubau mit einer Leistung von mindestens 6 Terawattstunden – davon mindestens 2 Terawattstunden sicher abrufbar. In Eignungsgebieten, die die Kantone mit Rücksicht auf Natur- und Landschaftsschutz sowie die Landwirtschaft bezeichnen müssen, sollen grosse Solarpanels und Windturbinen grundsätzlich Vorrang haben. Mitspracherechte hat die Bevölkerung aber weiterhin.

Grosse Solaranlagen für mehr Winterstrom sollen vor allem in den Bergen gebaut werden. Für 16 explizit genannte Wasserkraftprojekte gibt es planerische Erleichterungen mit gegenüber heute weniger Mitsprachemöglichkeiten, weil die Nutzungsplanung wegfällt. In Biotopen von nationaler Bedeutung und in Wasser- und Zugvogelreservaten dürfen wie schon heute keine neuen Stromproduktionsanlagen gebaut werden.

Gibt es jetzt mehr Solarpanels auf Hausdächern?

Der Bau kleiner Solaranlagen auf Dächern und an Fassaden will das Stromgesetz ebenfalls vorantreiben, denn dort wird das grösste Potenzial für den Ausbau der Solarstrom-Produktion gesehen. Für Solaranlagen an Gebäuden gibt es weiterhin Förderbeiträge und harmonisierte Mindesttarife für ins Netz abgegebenen Solarstrom. Neu können lokale Elektrizitätsgemeinschaften gebildet werden, um im Quartier mit selbst produziertem Solarstrom zu handeln. Eine generelle Pflicht, das eigene Haus mit Solarzellen auszurüsten, bringt die Vorlage nicht.

Werden Solar-Panels auf dem Dach jetzt obligatorisch?

Eine Solarpflicht bringt das Stromgesetz nur für Neubauten mit 300 oder mehr Quadratmetern anrechenbarer Fläche. Zum Vergleich: Die typische Solaranlage auf einem Einfamilienhaus hat weniger als 10 Quadratmeter Fläche. 

Die Grünen wollen die Solarpflicht ausdehnen. Ab dem kommenden Dienstag sollen Unterschriften gesammelt werden. Das Volksbegehren verlangt, dass grundsätzlich bei jedem Neu- und Umbau eine Solaranlage mitgeplant wird. Im Kanton Schaffhausen wurde eine Solar-Initiative am Sonntag abgelehnt, mit knapp 61 Prozent Nein-Stimmen.

Werden jetzt grössere Reserven für den Winter angelegt?

Die Betreiber von grossen Wasserkraftwerken sind verpflichtet, in ihren Speicherseen eine Reserve für die Stromproduktion im Winter zurückzuhalten. Sie werden dafür entschädigt.

Zwingt dich das Stromgesetz auch zum Energiesparen?

Der durchschnittliche Energieverbrauch pro Kopf und Jahr muss bis 2035 gegenüber dem Stand vom Jahr 2000 um 43 Prozent und bis zum Jahr 2050 um 53 Prozent sinken. Und der Stromverbrauch muss gegenüber 2000 pro Kopf und Jahr im Schnitt bis 2035 um 13 Prozent und bis zum Jahr 2050 um 5 Prozent zurückgehen. Die Energieversorger müssen Private und Unternehmen beim Stromsparen unterstützen, zum Beispiel bei der Wahl von möglichst stromeffizienten Geräten.

Kommen neue Gebühren auf dich zu?

Neue Gebühren für die Konsumentinnen und Konsumenten bringt die Vorlage nicht. Der Netzzuschlag zur Förderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien bleibt bei 2,3 Rappen pro Kilowattstunde.

Was ist der Beschleunigungserlass?

Im Parlament hängig ist zurzeit der Beschleunigungserlass. Er soll der Planung und Bewilligung von grossen Solar-, Wind- und Wasserkraftwerken Schub geben, damit die Energiewende Fahrt aufnehmen kann. Bewilligungsverfahren und Rechtsmittelverfahren für grosse Anlagen sollen gestrafft und der Planungsprozess für den Ausbau des Stromnetzes vereinfacht werden.

Der Beschleunigungserlass ist als Ergänzung gedacht für den Energie-Mantelerlass und als Nachfolgelösung für den «Solarexpress» für mehr Strom im Winter und den «Windexpress». Die beiden «Express»-Vorlagen sind befristet.

Könnten in Zukunft doch wieder AKW gebaut werden?

Die im Februar 2024 eingereichte Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» fordert eine Aufhebung des mit der Energiestrategie 2050 beschlossenen AKW-Bauverbots. Sie will, dass sämtliche umwelt- und klimaschonenden Arten der Stromerzeugung zulässig sind. Im Komitee sitzen Vertreterinnen und Vertreter von SVP, FDP, Mitte sowie von Wirtschaftsverbänden. Der Bundesrat hat noch nicht Stellung genommen dazu.

Im Parlament scheiterten bisher Anträge, das AKW-Verbot aufzuheben. Doch der Ständerat forderte kürzlich mit einem Postulat vom Bundesrat, zur Sicherung der Stromversorgung neue AKW als «mögliches Szenario» zu prüfen.

Es gibt auch zwei Windkraft-Initiativen. Was wollen sie?

Zurzeit werden für zwei Volksinitiativen zu Windkraftwerken Unterschriften gesammelt. Die eine fordert, dass grosse Windturbinen nicht mehr in Wäldern gebaut werden dürfen. Und die zweite verlangt, dass über Windkraft-Projekte die Bevölkerung der betroffenen Region abstimmen können muss. Lanciert hat sie die Vereinigung Freie Landschaft Schweiz, die schon den Energie-Mantelerlass bekämpft hat. Die verlangten Bestimmungen sollen rückwirkend angewendet werden können. Die Initiantinnen und Initianten stören sich auch am Beschleunigungserlass, den das Parlament zurzeit berät. Der Bund greife mit diesen Gesetzesanpassungen in die kantonale Hoheit ein, und die Erlasse hebelten den Waldschutz aus.

Was will die Initiative «Jede einheimische Kilowattstunde zählt»?

Unterschriften gesammelt werden für die Volksinitiative mit dem Titel «Jede einheimische und erneuerbare Kilowattstunde zählt!». Sie will den Ausbau von erneuerbaren Energien vorantreiben, ohne aber die Nachhaltigkeit zu vernachlässigen. Im Auge hat das Komitee die Stromproduktion im Winter.

Lanciert wurde die Initiative während der parlamentarischen Beratungen zum Stromgesetz als Plan B, falls dieses scheitern sollte. Das Komitee ist jedoch grundsätzlich der Ansicht, dass die Energiewende Eingang in die Verfassung finden muss. Im Komitee vertreten ist Swiss Small Hydro, eine Interessenvertretung der Kleinwasserkraft. Sie erwägt nach dem Ja zum Energie-Mantelerlass, den Abbruch der Unterschriftensammlung zu beantragen. Die Sammelfrist dauert bis zum 14. August 2024.