50 Jahre Frauenstimmrecht... und der Kampf geht weiter
Von Anna Kappeler
28.12.2021
50 Jahre Frauenstimmrecht – die Plakate zur Abstimmung
Die Wut ist gross: 500'000 Frauen gingen am 14. Juni 2019 für den Frauenstreik hierzulande auf die Strasse. Das Bild stammt aus Lausanne.
Bild: Keystone
«Different Year, Same Shit»: Frauen demonstrieren auch ein Jahr später wieder, hier in Zürich am 14. Juni 2020.
Bild: KEYSTONE
49 Jahre vorher: Ausgerechnet die zweitälteste Demokratie der Welt gewährte erst 1971 als eines der letzten Länder weltweit Frauen ihre vollen Bürgerrechte. Der Abstimmungskampf der Gegner wurde jahrzehntelang mit heftigen Plakaten geführt.
Bild: Keystone
1920 machte Mann sich in der Deutschschweiz vor allem Sorgen um das Erscheinungsbild der Frauen – ein schrecklicher Abstimmungskampf in den Kantonen Basel-Stadt und Zürich. Das Frauenstimmrecht wurde dereinst mit sehr grosser Mehrheit abgelehnt.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Damals hatten sich einige Frauen noch selbst gegen die vollen Bürgerrechte gewehrt. «Zürcher Bürgerinnen, welche ihren Männern vertrauen», baten die Herren der Schöpfung, sie vor der Politik zu bewahren. «Unsere Welt ist unser Heim und sie soll es bleiben.»
Bild: KEYSTONE/Photopress-Archiv/Str
Das Zürcher Kantonalkomitee gegen das Frauenstimmrecht führte 1946 ein scheinbar schlagkräftiges Argument ins Feld: Mit der Sauberkeit im Haushalt hätten Frauen genug zu tun. Bei den kantonalen Volksabstimmungen 1947 wurde das Frauenstimmrecht im Kanton Zürich abgelehnt.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Und was machten die Frauen in den Abstimmungskämpfen? Sie führten ganz einfach sachliche Argumente ins Feld, wie ein Plakat für eine vom Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht im Juni 1950 organisierte Matinée in Zürich zeigt. Nützte nur nichts.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Vergleichsweise harmlos warb dieses Abstimmungsplakat 1966 in Zürich: Ein «Nein» bei der Abstimmungsvorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts verhindere die «Verpolitisierung» des Lebens. Das überzeugte die stimmberechtigten Männer, die der Nein-Parole mehrheitlich folgten. In kommunalen Belangen durften sie ab 1969 trotzdem abstimmen.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Das Ja-Komitee im gleichen Jahr hatte trotz des Aufrufs «Manne, s isch Zyt ...» keine Chance.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Grunder
Von Zürich nach Basel: Die armen Babys, so befürchtete Mann 1946, würden verwahrlosen und nicht mal mehr den Nuggi bekommen. Der renommierte Basler Grafiker Donald Brun hatte das Plakat mit der Nein-Parole gestaltet – und war erfolgreich. Das Frauenstimmrecht wurde damals mit grosser Mehrheit abgelehnt.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Schon 1927 hatte Mann sich Sorgen um das Wohl der Kinder gemacht, sollten sich Frauen am politischen Leben beteiligen. Ernst Keiser, der Lehrer von Donald Brun, gestaltete sein Abstimmungsplakat für den Kanton Basel-Stadt ziemlich drastisch.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Und in der Romandie? Im Jahr 1952 durften die Genferinnen erstmals an die Wahlurne und darüber abstimmen, ob sie selbst die Ausübung der politischen Rechte auf kantonaler und kommunaler Ebene wünschten. Das Ergebnis: ein klares «Mais oui» mit 35'133 Ja- gegen 6346 Nein-Stimmen.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Margrit Baeumlin
In Vaduz stand es 1971 an den Häuserwänden, dass «etwas nicht stimmt». Aber es wird noch bis 1984 dauern, ehe auch das Fürstentum Liechtenstein das Frauenstimmrecht einführt.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Piloten und Flugbegleiterinnen, die damals noch Stewardessen genannt wurden, positionierten sich vor der Eidgenössischen Abstimmung am 7. Februar 1971 gemeinsam für ein klares (und herzliches) Ja zum Frauenstimmrecht.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Bei der nationalen Abstimmung am 7. Februar 1971 hatten die Frauen ihr Ziel erreicht und durften ihr Leben politisch aktiv mitgestalten. Zumindest auf Bundesebene: In Appenzell-Innerhoden schlossen die Männer noch bis 1990 Frauen von der Landsgemeinde aus.
Bild: KEYSTONE/Str
50 Jahre Frauenstimmrecht – die Plakate zur Abstimmung
Die Wut ist gross: 500'000 Frauen gingen am 14. Juni 2019 für den Frauenstreik hierzulande auf die Strasse. Das Bild stammt aus Lausanne.
Bild: Keystone
«Different Year, Same Shit»: Frauen demonstrieren auch ein Jahr später wieder, hier in Zürich am 14. Juni 2020.
Bild: KEYSTONE
49 Jahre vorher: Ausgerechnet die zweitälteste Demokratie der Welt gewährte erst 1971 als eines der letzten Länder weltweit Frauen ihre vollen Bürgerrechte. Der Abstimmungskampf der Gegner wurde jahrzehntelang mit heftigen Plakaten geführt.
Bild: Keystone
1920 machte Mann sich in der Deutschschweiz vor allem Sorgen um das Erscheinungsbild der Frauen – ein schrecklicher Abstimmungskampf in den Kantonen Basel-Stadt und Zürich. Das Frauenstimmrecht wurde dereinst mit sehr grosser Mehrheit abgelehnt.
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Damals hatten sich einige Frauen noch selbst gegen die vollen Bürgerrechte gewehrt. «Zürcher Bürgerinnen, welche ihren Männern vertrauen», baten die Herren der Schöpfung, sie vor der Politik zu bewahren. «Unsere Welt ist unser Heim und sie soll es bleiben.»
Bild: KEYSTONE/Photopress-Archiv/Str
Das Zürcher Kantonalkomitee gegen das Frauenstimmrecht führte 1946 ein scheinbar schlagkräftiges Argument ins Feld: Mit der Sauberkeit im Haushalt hätten Frauen genug zu tun. Bei den kantonalen Volksabstimmungen 1947 wurde das Frauenstimmrecht im Kanton Zürich abgelehnt.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Und was machten die Frauen in den Abstimmungskämpfen? Sie führten ganz einfach sachliche Argumente ins Feld, wie ein Plakat für eine vom Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht im Juni 1950 organisierte Matinée in Zürich zeigt. Nützte nur nichts.
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Vergleichsweise harmlos warb dieses Abstimmungsplakat 1966 in Zürich: Ein «Nein» bei der Abstimmungsvorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts verhindere die «Verpolitisierung» des Lebens. Das überzeugte die stimmberechtigten Männer, die der Nein-Parole mehrheitlich folgten. In kommunalen Belangen durften sie ab 1969 trotzdem abstimmen.
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Das Ja-Komitee im gleichen Jahr hatte trotz des Aufrufs «Manne, s isch Zyt ...» keine Chance.
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Von Zürich nach Basel: Die armen Babys, so befürchtete Mann 1946, würden verwahrlosen und nicht mal mehr den Nuggi bekommen. Der renommierte Basler Grafiker Donald Brun hatte das Plakat mit der Nein-Parole gestaltet – und war erfolgreich. Das Frauenstimmrecht wurde damals mit grosser Mehrheit abgelehnt.
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Schon 1927 hatte Mann sich Sorgen um das Wohl der Kinder gemacht, sollten sich Frauen am politischen Leben beteiligen. Ernst Keiser, der Lehrer von Donald Brun, gestaltete sein Abstimmungsplakat für den Kanton Basel-Stadt ziemlich drastisch.
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Und in der Romandie? Im Jahr 1952 durften die Genferinnen erstmals an die Wahlurne und darüber abstimmen, ob sie selbst die Ausübung der politischen Rechte auf kantonaler und kommunaler Ebene wünschten. Das Ergebnis: ein klares «Mais oui» mit 35'133 Ja- gegen 6346 Nein-Stimmen.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Margrit Baeumlin
In Vaduz stand es 1971 an den Häuserwänden, dass «etwas nicht stimmt». Aber es wird noch bis 1984 dauern, ehe auch das Fürstentum Liechtenstein das Frauenstimmrecht einführt.
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Piloten und Flugbegleiterinnen, die damals noch Stewardessen genannt wurden, positionierten sich vor der Eidgenössischen Abstimmung am 7. Februar 1971 gemeinsam für ein klares (und herzliches) Ja zum Frauenstimmrecht.
Bild: KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str
Bei der nationalen Abstimmung am 7. Februar 1971 hatten die Frauen ihr Ziel erreicht und durften ihr Leben politisch aktiv mitgestalten. Zumindest auf Bundesebene: In Appenzell-Innerhoden schlossen die Männer noch bis 1990 Frauen von der Landsgemeinde aus.
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1971 wurde das Frauenstimmrecht angenommen. Historisch gesehen ist das nicht lange her. Und: Noch immer ist der Weg zur Gleichberechtigung lang. Ein Rück- und Ausblick.
Der Kampf war lang. Gezeichnet von Rückschlägen. Die Forderung? Nichts Anmassendes, sondern schlicht Gleichheit. Gleiche politische Rechte für die Frau wie für den Mann. Eine Selbstverständlichkeit, aus heutiger Sicht.
Das Beste von 2021
Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 3. Februar 2021.
Gleichwohl wurde in der Schweiz 16-mal über das Stimm- und Wahlrecht für Frauen abgestimmt, bis es auch auf nationaler Ebene ein Ja dazu gab. Das war am 7. Februar 1971 – und die Schweiz somit eines der letzten Länder, das damit aufhörte, der Hälfte der Menschen ihr Mitbestimmungsrecht zu verwehren.
Beginnen wir deshalb mit Aussagen von drei Frauen mit unterschiedlichen Lebensläufen und verschiedenen politischen Einstellungen, geeint im Kampf für mehr Gleichberechtigung.
«Ich war 25, als das Frauenstimmrecht endlich national eingeführt wurde. Drei Brüder durften abstimmen, meine Schwester und ich jedoch nicht. Das empfand ich als unerhörte Zumutung.»
So erinnert sich Elisabeth Joris an den historischen Tag. Sie ist Historikerin in Zürich mit Forschungsschwerpunkt Frauen- und Geschlechtergeschichte der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert.
«Das Frauenstimmrechts-Jubiläum ist ein Grund zur Freude, wir feiern nichts anderes als 50 Jahre Demokratie. Im Vergleich zu anderen Ländern bleibt aber noch einiges zu tun.»
Das sagt Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin von Alliance F und Nationalrätin (GLP/BE). Alliance F ist ein überparteilicher Verein und die politische Stimme der Frauen in der Schweiz.
«Wir Frauen brauchen viel Ausdauer für Gleichberechtigung. Ich feiere mich nicht dafür, Feministin zu sein. Aber ich muss einfach eine sein. Wenn ich die Zustände ändern will, habe ich gar keine andere Wahl.»
Diese Haltung vertritt Christine Bühler, ehemalige Präsidentin des Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes. Unter Bühler hat der Verband 2011 beim Frauenstreik mitgemacht. Den Aufschrei gab’s gratis dazu.
Als Frauen «Mannsweiber» geschimpft wurden
Blenden wir also 50 Jahre zurück. Frauen, die sich für politische Mitsprache einsetzten, wehte damals ein rauer Wind entgegen. Historikerin Elisabeth Joris arbeitete 1969/70 als Sekundarlehrerin in Visp. Das Wallis führte das kantonale Frauenstimmrecht 1970 und somit ein Jahr vor dem Bund ein. Das Oberwallis allerdings sei bis kurz vor 1970 «vehement gegen das Frauenstimmrecht gewesen – und zwar sowohl Männer wie Frauen».
Joris erinnert sich: «Meine Mutter war Mitglied im Staatsbürgerlichen Verband katholischer Schweizerinnen (Staka). Sie setzte sich stark für das Frauenstimmrecht ein. Und somit starkem Gegenwind aus.» Die Frauen der Staka habe man im Oberwallis «schon etwas komisch» gefunden damals, einige seien als «Mannsweiber» verunglimpft worden.
Auch in Joris’ Familie polarisierte das Thema: «Mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, war ein extremer Frauenstimmrechts-Gegner, was zu hitzigen Diskussionen führte. Ich weiss noch, dass er mich bedauerte, weil ich für das Stimmrecht war.»
Provokantes Manifest
KEYSTONE
Porträt der Schweizer Juristin, Journalistin und Frauenrechtlerin Iris von Roten von 1959. Ihr Buch «Frauen im Laufgitter» (1958) gab zu denken.
Zu Joris’ Kindheitserinnerungen gehört «natürlich auch das Ehepaar von Roten», da sie neben deren Anwaltskanzlei aufgewachsen ist. Iris von Rotens Buch «Frauen im Laufgitter» sei nach Erscheinung 1958 auch in der Auslage des Kiosks aufgelegen. Es sei stark zur Kenntnis genommen worden, aber man habe eher darüber gelacht als darüber diskutiert. Joris: «Peter von Roten wurde ja als Nationalrat nicht wiedergewählt, galt als ‹Frauenknecht›.»
«Es geht nicht um links oder rechts, es geht ums Prinzip»
Tempi passati? Leider nein, sagt die ehemalige Landfrauen-Präsidentin Christine Bühler. «Als Bäuerin ist die Gleichberechtigung auch 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts noch nirgends. Wenn Bäuerinnen nicht aktiv werden, haben sie im Alter keine soziale Absicherung.» Und also keinen Lohn. Das gehe nicht. «Als der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband deshalb 2011 beim Frauenstreik mitgemacht hat, gab es einen Riesenwirbel. Bäuerinnen dürfen sich offensichtlich nicht mit linken Frauen solidarisieren.» Für Bühler unverständlich: «Es geht doch nicht um links oder rechts, es geht ums Prinzip.»
Für die dreifache Mutter kommt ein weiteres Ärgernis dazu: «Wir Bäuerinnen haben noch immer keinen gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschaftsurlaub. Das, obwohl das Volk letztes Jahr endlich auch den Vaterschaftsurlaub angenommen hat.» Eine Bäuerin müsse sich aktiv wehren, damit sie Mutterschaftsentschädigung bekomme. «Sie muss sich entweder als Mitbewirtschafterin oder bei ihrem Mann als Angestellte registrieren lassen, um Geld zu bekommen», sagt Bühler. «Und: Der Mann muss in beiden Fällen dazu seine Zustimmung mittels Unterschrift geben.»
Gleichberechtigung ist für Bühler «ein stetiger Kampf». «Ich war die erste Vizepräsidentin im Bauernverband. Ja, da kamen ab und zu Bemerkungen», sagt sie. «Gerade in der Landwirtschaft ist das Denken weit verbreitet, dass etwas gut ist, einfach weil es schon ewig so gemacht wird.» Sie aber findet: «Auch Fortschritt kann gut, manchmal sogar noch viel besser sein.»
«Kind oder Karriere? Oft geht für Frau nicht beides»
Immerhin, sagt Bühler: «Für eine kinderlose Frau hat sich viel getan und verbessert.» Eine Frau könne heute die gleiche Ausbildung und auch Karriere machen wie ein Mann. Selbst in der Lohngleichheit gehe es «in ganz kleinen Schritten» in die richtige Richtung. «Aber», sagt Bühler: «Sobald eine Frau ein Kind bekommt, wird sie zurückgeworfen. Noch heute müssen sich die meisten Frauen zwischen Karriere oder Kindern entscheiden. Das kann es doch nicht sein. Ein Vater hat ja auch beides.»
Forderung: Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch Nationalrätin Bertschy von Alliance F ein Anliegen. Da müsse auch heute noch einiges gehen. «Zahlreiche Gesetze und Rahmenbedingungen setzen Anreize, damit Paare das Familien-Ernährermodell der Nachkriegszeit ‹wählen›», sagt Bertschy. Dies geschehe aber nicht aus freien Stücken, sondern weil sich eine Erwerbstätigkeit für das kleinere der beiden Einkommen fast nicht rentiere. Und dieses sei in den allermeisten Fällen immer noch jenes der Frauen.
Konkret fordert Bertschy Verbesserungen sowohl beim Steuergesetz – Stichwort Individualbesteuerung –, bei der Altersvorsorge wie auch bei der spärlichen Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung. «Null Verständnis dafür, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht endlich besser wird», hat auch Historikerin Joris. «Warum gilt diese immer noch ausschliesslich als Frauenthema? Als ob Männer nicht auch Väter wären.»
«Gleichstellung ist ein Kampf. Und wir kämpfen weiter»
Das bringt uns zur Frage, warum es in der Schweiz bei der Gleichberechtigung so langsam vorwärtsgeht. Dazu Bundesrätin Simonetta Sommaruga: «Natürlich ist es für mich kaum zu glauben (…), dass die Schweiz bis vor 50 Jahren eigentlich keine Demokratie war», sagte Sommaruga in der aktuellen «Annabelle». «Dies ist mit ein Grund dafür, dass wir in unserem Land betreffend Gleichstellung auch heute noch sehr grosse Defizite haben.»
Sommaruga will das Jubiläumsjahr nutzen, um in der Gleichstellungspolitik «nochmals einen grossen Schritt vorwärtszumachen – und zwar zusammen mit den Männern». Die Frauenquote in den rund 250 börsenkotierten Firmen in der Schweiz war eines ihrer zentralen Themen als Justizministerin. Da Firmen ohne Quote jedoch nicht sanktioniert werden, wird das Gesetz als zahnlos kritisiert.
Bitter nötig ist das Gesetz, auch wenn Frauenquoten umstritten sind: Laut Schillingreport 2020 hat es in den Geschäftsleitungen der hundert grössten Schweizer Arbeitgeber gerade einmal zehn Prozent Frauen. Und: In knapp der Hälfte der Firmen hat es dort keine einzige Frau.
«Warum die Mehrheit immer noch so kämpfen muss, um nicht diskriminiert zu werden, ist, sagen wir mal, schon sehr speziell», sagt Sommaruga. «Gleichstellung ist ein Kampf. War immer ein Kampf. Und wir kämpfen weiter.»
Frauenanteil in Politik steigt – langsam
Auf Bundesebene trägt dieser Kampf langsam Früchte: Der Frauenanteil in der Politik steigt. Seit der «Frauenwahl 2019» sitzen im Nationalrat 42 Prozent Frauen, im Ständerat 26 Prozent. Zum Vergleich: 2015 waren es laut Zahlen vom Bundesamt für Statistik BFS erst 32 beziehungsweise sogar erst 15 Prozent gewesen.
Ebenfalls aus Daten des BFS geht hervor: 50,4 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen sind weiblich – mehr als die Hälfte also. Zudem werden 57 Prozent aller Maturitätsprüfungen von Frauen abgelegt, sowie 53 Prozent der Bachelor- und 51 Prozent der Masterabschlüsse.
Das Ziel von Alliance F ist eine gleiche Vertretung von Frauen und Männern. Nüchtern festgestellt: Dahin bleibt es ein langer Weg.
Ist die Frauenwahl 2019 spürbar?
Ist von diesem erhöhten Frauenanteil in der Politik bereits etwas zu merken? Davon abgesehen einmal, dass es neben dem ausschliesslich männlichen FC Nationalrat seit Herbst mit dem FC Helvetia nun endlich auch ein Frauen-Fussballteam gibt.
Historikerin Joris ist kritisch. «Die eidgenössischen Wahlen von 2019 als ‹historische Frauenwahl› zu bezeichnen, finde ich Stand heute etwas übertrieben. Zumindest hat sich das noch nicht als wahrnehmbare Frauenpower niedergeschlagen.» Natürlich helfe die Corona-Pandemie nicht dabei, dass sich die Frauen vernetzen. «Unabhängig davon zeigen sich zu viele Politikerinnen auch heute noch bei Frauenthemen loyaler zur Parteilinie.»
«Doch, die Frauenwahl ist spürbar», sagt dagegen Co-Präsidentin Bertschy von Alliance F. National- und Ständerat haben, so Bertschy, das Legislaturprogramm des Bundesrates um ganz zentrale Forderungen ergänzt. «Der Bundesrat wurde verpflichtet, in dieser Legislatur eine Botschaft zur Einführung der Individualbesteuerung vorzulegen. Sowie eine Botschaft, wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Zusammenarbeit mit den Kantonen erleichtert werden kann.»
Weiter gebe es einen Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen. Und die Revision des Sexualstrafrechts steht bevor. «Das sind elementare Bausteine auf dem Weg zur Gleichstellung», sagt Bertschy.
Erbe der Grossmütter hat an Sprengkraft verloren
«Es geht voran beim Frauenrecht, wenn auch langsam», sagt auch Joris bilanzierend. Trotzdem: Auch heute noch gehen Frauen im Schnitt weniger wählen und stimmen als die Männer. Dazu kommt, dass das Endlich-auch-Wählen-Dürfen für junge Frauen von heute an Sprengkraft verloren hat. «Dass wir Frauen mitreden dürfen, ist für mich heute selbstverständlich», sagt beispielsweise Sarah Bünter, Präsidentin Junge Mitte Schweiz, im BlickTV. «Mich beeindruckt aber schon, wie die Generation meines Grosis gekämpft hat.»
Damals mittendrin: Eine junge Sekundarlehrerein, die erfuhr, dass ihr gleichaltriger und -qualifizierter männlicher Kollege deutlich mehr verdiente als sie. «Da hat es mir den Deckel gelupft», sagt Elisabeth Joris. Sie fügt an: «Heute – und somit 50 Jahre später – ist die Lohngleichheit noch immer ein Thema. Leider. Das ist ein Problem.»
Auch habe Joris immer dagegen gekämpft, dass die Frauen normiert auszusehen haben. «Durch Social Media beobachte ich, dass junge Frauen heute wieder vermehrt unter Druck sind, sich einem gleichgeschalteten Schönheitsideal anzupassen.» Das Machtmonopol der jungen Männer gegen junge Frauen steige wieder.
Joris schweigt kurz – und fragt dann:
«Und warum eigentlich werden Wissenschaftlerinnen oder Politikerinnen – Frauen, die sich exponieren – noch immer so oft zur Zielscheibe für Sexismus und Hass?»