Attacken auf dem Meeresboden Wie sicher ist die Unterwasser-Infrastruktur?

Von Gabriela Beck

5.10.2022

Das Nato-U-Boot-Rettungssystems (NSRS) ist zwar nicht in erster Linie zur Kontrolle kritischer Unterwasser-Infrastruktur entwickelt worden, kann aber immerhin bis in 610 Meter Tiefe tauchen. (Archiv)
Das Nato-U-Boot-Rettungssystems (NSRS) ist zwar nicht in erster Linie zur Kontrolle kritischer Unterwasser-Infrastruktur entwickelt worden, kann aber immerhin bis in 610 Meter Tiefe tauchen. (Archiv)
Alexis Rosenfeld/Getty Images

Die auf dem Meeresboden verlegten Kabel und Pipelines sind das Rückgrat globaler Kommunikation und Energieversorgung – und höchst verwundbar. Europa muss sich gegen Angriffe feindlicher Staaten schützen.

Von Gabriela Beck

5.10.2022

Über 400 Seekabel mit einer Länge von rund 1,3 Millionen Kilometern liegen auf dem Meeresboden. 95 Prozent des internationalen Datenverkehrs laufen darüber, schneller als die Kommunikation per Satellit. Der Datentransfer durch den Atlantik verdoppelt sich alle zwei Jahre.

Gigantische Strom- und Gasleitungen liefern Energie von einem Kontinent zum anderen. Ohne sie läuft fast nichts mehr in der globalisierten Welt.

Wie verwundbar diese kritische Infrastruktur auf dem Meeresboden ist, haben die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines gezeigt. Offensichtlich können solche Leitungen beschädigt werden, ohne dass dabei grosses Aufsehen erregt wird. Nicht erst seit dem Vorfall in der Ostsee warnen Sicherheitsexperten der EU und der Nato, der Meeresboden sei längst in den Fokus von Cyberkriminellen und feindlichen Staaten gerückt.

Nato: «Wie ein bewaffneter Angriff“

Nach Einschätzung von David van Weel, bei der Nato zuständig für neue Bedrohungen, verwischen dabei die Grenzen zwischen Frieden, Krisen und Konflikten immer mehr. Angriffe auf die Infrastruktur seien besonders und könnten unter bestimmten Umständen als so gravierend bewertet werden «wie ein bewaffneter Angriff», sagte er der deutschen «Tagesschau».

Einem Bericht des Nachrichtenmagazins «Spiegel» zufolge hatte ein Forscherteam erst vor wenigen Monaten das EU-Parlament auf Missstände beim Schutz wichtiger Infrastruktur unter Wasser hingewiesen. Die EU hinke hier hinterher.

Gewarnt wurde unter anderem vor Angriffen mit Sprengladungen. Sowohl China als auch Russland seien als mögliche Gegner benannt worden. Auf EU-Ebene gebe es aber kaum Massnahmen oder Programme, die das Thema direkt angingen, zitierte das Magazin aus dem für den Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung angefertigten Bericht.

Auch das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) warnt vor Sabotageakten gegen die kritische Infrastruktur «in quantitativ und gegebenenfalls auch qualitativ gesteigerter Form», geht aus einem weiteren Bericht des «Spiegel» hervor. Auch Cyberattacken seien hier «in Betracht zu ziehen».

Es geht aber nicht nur um Sabotage, sondern auch um Spionage – wenn etwa Unterwasserkabel zum Abhören angezapft werden – und um die unterseeischen Horchposten zur U-Boot-Abwehr.

EU fehlt ein U-Boot für die Wartung

Während China und Russland ihren machtpolitischen Anspruch – häufig unter dem Deckmantel der Wissenschaft – immer aggressiver verfolgen, hat Europa dem wenig entgegenzusetzen. So fehlen zum Beispiel U-Boote, die in den enormen Meerestiefen Wartungen oder Kontrollen vornehmen könnten.

Die russische Marine dagegen besitzt mit der «Loscharik» ein Spezial-U-Boot, das auch in 1000 Metern Tiefe mit Greifarmen operieren kann, etwa um Unterseekabel zu durchtrennen. Mittels Spezialvorrichtung dockt es an einem «Mutter-U-Boot» an und ist damit bereit für den weltweiten Einsatz.

Erst ein Feuer an Bord brachte die Existenz der «Loscharik» im Sommer 2019 ans Tageslicht. Vor dem Unfall hatte es kein einziges Foto von dem Gefährt gegeben. Damals erklärte Moskau, es habe sich um ein «Unterseeforschungsschiff» gehandelt.

Das russische Forschungsschiff «Jantar» wiederum kann Mini-U-Boote und Tauchroboter absetzen. Im Sommer 2021 wurde die «Jantar» vor der Küste Irlands entdeckt, schreibt der «Spiegel». Und zwar nahe dem Glasfaserkabel AEConnect-1, das Europa und Nordamerika verbindet.

Bericht: Explosionen an Gas-Pipelines stark wie «hunderte Kilo» Sprengstoff

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Tiefsee-Drohnen als Späher

Die aktuellen technischen Entwicklungen beinhalten inzwischen auch Autonome Unterwasserdrohnen, sogenannte AUVs, die dem ungeheuren Wasserdruck in der Tiefsee standhalten können. China besitzt mit der «HSU-001» ein Modell, das mit einem grossen Sonar und zwei Schrauben ausgerüstet ist. Damit könnte es für weite Unterwasserfahrten und das Ausspähen von Unterwasserzielen ausgelegt sein, vermutet der «Spiegel».

Militärische AUV-Ausführungen unterscheiden sich kaum von Modellen, die zu Forschungszwecken eingesetzt werden. Je nach Einsatz können solche Geräte aber eben auch Haftminen anbringen oder andere Sprengsätze transportieren.

Neue Regeln sollen 2024 in Kraft treten

Laut EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat die Staatenunion die Problematik immerhin erkannt. Seit 2008 gibt es in der EU eine Direktive zur kritischen Infrastruktur, neue Regeln sollen 2024 in Kraft treten. Mitgliedsstaaten und Betreiber werden darin verpflichtet, ihre kritischen Infrastruktursysteme regelmässig zu überprüfen und etwaige Probleme zu beheben.

«Wir wissen, dass wir anfällig sind. Und deshalb hat die Kommission in der neuen Richtlinie ein viel, viel höheres Ziel vorgeschlagen», sagte Johansson  «Euronews». «Wir haben viel ehrgeizigere Ziele in Bezug auf die Art des Schutzes und auch die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, Strafen für Unternehmen zu verhängen, die sich nicht an die Gesetzgebung halten. Damit sind wir dann besser vorbereitet.»

Enorme Investitionen in Flotten nötig

Eine umfassende Überwachung der kritischen Unterwasser-Infrastruktur ist allerdings schwierig und würde enorme Investitionen in Flotten und militärische Hardware erfordern. Doch erste konkretere Ansätze zeichnen sich ab. So will die britische Marine bis 2024 ein «Multi Role Ocean Surveillance Ship» in Betrieb nehmen, das mit verschiedenen Sensoren ausgestattet werden sowie über ferngesteuerte Tauchboote verfügen soll.

Frankreich stellte im Februar 2022 ein neues Strategiepapier vor, in dem der Meeresboden als neue militärische Dimension neben Cyberspace und Weltraum betrachtet wird. Die Fähigkeiten, mit U-Booten und ferngesteuerten Unterwasserdrohnen tief zu tauchen, sollen ausgebaut, hydrografische Schiffe beschafft werden.

Nicht erst seit dem mutmasslichen Sabotageakt auf die Nord-Stream-Pipelines ist klar: Geopolitische Interessen werden in Zukunft auch auf dem Meeresboden ausgetragen.