Lecks in Ostsee-PipelinesInfrastruktur vor «Sabotage fast überhaupt nicht geschützt»
Von Philipp Dahm
28.9.2022
Lecks an Nord-Stream-Pipelines: So brodelt die Ostsee
Die Bilder der schwedischen Küstenwache und des dänischen Militärs zeigen das Aufsteigen des Gases
Die beiden Pipelines waren mit hunderten Millionen Kubikmeter Gas gefüllt
Wie viel davon bereits ausgetreten ist, ist bisher nicht bekannt
28.09.2022
Nach der mutmasslichen Sabotage der Nord-Stream-Pipelines steht nur eines fest: Europas Energie-Netzwerk ist völlig ungeschützt. Das gilt auch für die Pipeline aus Norwegen, die die Schweiz mit Gas versorgt.
Von Philipp Dahm
28.09.2022, 12:09
28.09.2022, 13:05
Philipp Dahm
Schon die Tatsache, dass in der Nacht auf Montag gleich an drei verschiedenen Stellen ein Druckabfall auftritt, macht stutzig. Nun gehen Experten davon aus, dass die Lecks in den Pipelines Nord Stream 1 und 2 die Folge von Sabotage sind.
Die Störungen sind in rund 70 Meter Tiefe aufgetreten, was einen Unfall in der regulären Schiffsfahrt praktisch ausschliesst. Gleichzeitig hat ein Seismograf vor der dänischen Insel Bornholm die Ereignisse aufgezeichnet. Im zeitlichen Abstand erfasst der Sensor zwei Erschütterungen, die nach demselben Muster ablaufen.
«Es gab einen Anstieg und dann regelmässigen Lärm», erklärt Josef Zens der Nachrichtenagentur «Reuters» die Daten. Ob das Folgegeräusch ausströmendes Gas sein könnte, konnte der Sprecher des Deutschen Geoforschungszentrum nicht sagen.
CIA warnte bereits im Sommer vor Sabotage
Auch wenn Sabotage noch nicht bewiesen ist, wäre ein Anschlag gar keine Überraschung: Wie «Spiegel Online» unter Berufung auf deutsche Regierungskreise berichtet, hat der amerikanische Geheimdienst CIA Berlin bereits im Sommer vor möglichen Anschlägen auf Ostsee-Pipelines gewarnt. Ein Szenario, auf das Europa nicht vorbereitet zu sein scheint.
«Die weltweiten Netze unter Wasser sind für die Energieversorgung, aber auch für die Stabilität des Internets enorm wichtig», erklärt ein hochrangiger deutscher Militär. Aber: «Trotz ihrer Bedeutung sind sie bis heute gegen Angriffe oder Sabotageakte fast überhaupt nicht geschützt.»
Seismologen: Explosionen in Ostsee vor Nord-Stream-Leck
In der Ostsee sind in dem Gebiet, wo derzeit unkontrolliert Gas aus den Pipelines Nord Stream 1 und 2 austritt, schwedischen Forschern zufolge zwei Explosionen registriert worden. Für Explosionen würde die massive Freisetzung an Energie sprechen,
27.09.2022
Ins selbe Horn stösst auch der Inspekteur der deutschen Bundesmarine. Ausgerechnet am Tag, an dem die Lecks auftreten, sagt Jan Christian Kaack in der «Welt», «russische Unter- oder Überwasser-Einheiten» würden sich «über längere Zeit im Bereich dieser Kabel aufhalten».
«Ländern wie Estland das Licht ausschalten»
Es gehe dabei eben nicht bloss um Erdgas, verdeutlicht Kaack: «Auf dem Grund der Ostsee, aber auch im Atlantik gibt es einiges an kritischer Infrastruktur wie Pipelines oder Unterseekabel für IT. Da können sie Ländern wie Estland schnell das Licht ausschalten.»
Wer nun meint, dass eine Achillesferse in der Ost- oder Nordsee die Schweiz kaltlassen könnte, liegt richtig – und falsch: Weil die Europipe II Erdgas von Norwegen in den Nordwesten Deutschlands und von dort auch in die Schweiz gepumpt. Die 9000 Kilometer lange Abzweigung Baltic Pipe, die Polen und das Baltikum an dieses Netz anschliesst, ist erst am 27. September eröffnet worden.
Bei der Eröffnung der 1,5 Milliarden Franken teuren Pipeline lässt Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki durchblicken, dass Moskau hinter dem «Sabotageakt» stecken könnte, der «wahrscheinlich die nächste Stufe der Eskalation» sei, mit der «wir es in der Ukraine zu tun haben». Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wird nur dahingehend zitiert, dass ein Anschlag nicht ausgeschlossen werden könne.
Nato auf der Hut
Welches Motiv Moskau jedoch dafür haben sollte, die eigenen Pipelines zu sabotieren, ist bisher nicht ersichtlich. Obwohl durch Nord Stream 1 und 2 kein Gas nach Europa fliesst, zog der Gaspreis ob der Verunsicherung an. Dass die ukrainische Marine einen solchen Anschlag durchführen könnte, wird eher ausgeschlossen. Die Nato kündigt an, die Situation in der Ostsee genau beobachten zu wollen – in Absprache mit Schweden und Finnland.
Damage to Nord Stream 1 & 2 are not a coincidence and affect us all.
All available information indicates leaks are the result of a deliberate act.
Deliberate disruption of European energy infrastructure is utterly unacceptable and will be met with a robust and united response. https://t.co/p32qR8TzOb
Da eines der Lecks in schwedischen Hoheitsgewässern liegt, wurden sowohl in Schweden als auch Dänemark am Dienstag Krisenstäbe einberufen, an denen mehrere Ministerien und Behörden beteiligt seien. Die schwedische Aussenministerin Ann Linde sagte der Zeitung «Aftonbladet», sie werde deswegen ihren dänischen Amtskollegen Jeppe Kofod virtuell treffen, um das gemeinsame Vorgehen zu koordinieren.
Auch der Betreiber der Nord-Stream-1-Trasse will nicht untätig bleiben. Man veranlasse derzeit Untersuchungen, versichert ein Sprecher der zuständigen Nord Stream AG, die für Nord Stream 1 zuständig ist. Ein Experte für Unterwasserroboter geht nach eigener Aussage davon aus, dass sich die Behörden mit Tauchrobotern ein Bild von der Lage machen werden.