Late Night USA Wer in Texas Nachbarn wegen Abtreibung denunziert, gewinnt

Von Philipp Dahm

8.9.2021

Nach zwei Wochen Unterbrechung ist «The Late Show with Stephen Colbert» wieder da.
Nach zwei Wochen Unterbrechung ist «The Late Show with Stephen Colbert» wieder da.
Screenshot: YouTube

«The Late Show with Stephen Colbert» ist wieder da: Nachdem die Ereignisse der letzten zwei Wochen überflogen werden, stellt der Gastgeber Texas' neues Abtreibungsgesetz vor, das Denunzianten fördert.

Von Philipp Dahm

«The Late Show with Stephen Colbert» war zwei Wochen offline – «und während wir weg waren, ist die Plage weitergegangen. Es gab Krieg, Feuer und Überflutungen. Es ist wie das Ende der Zeit. Und ich weiss, dass alle, die jetzt zuschauen, nur eine Frage haben», sagt der Gastgeber: «Was zur Hölle ...

... ist mit meiner Oberlippe los?» Colbert streicht sich über seinen neuen Oberlippenbart: Er wüsste schon, was die Leute denken. «Sie fragen sich ‹Warum?› Und: ‹Echt?› Und: ‹Echt? Warum???›» Bis jetzt sei die Neuerung nicht gut angekommen. Der Produzent der Show, Chris Licht, sei zum Beispiel «Fast sauer», sagt der 57-Jährige.

«Ich mag, wie ich aussehe», meint Colbert. Er imitiert My-Pillow-Chef und Trump-Fan Mike Lindell, bevor er an die Kamerascheibe klopft und einen auf Sheriff macht: «Fahrzeugpapiere und Führerausweis! Sie wissen, warum ich Sie rausgewunken habe?» Dann darf das Publikum via Applaus abstimmen, ob der Bart wieder ab muss. Das endet in einer Niederlage für den Moderator.

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Enten in Australien

Colbert lässt es langsam angehen und berichtet zuerst über sprechende Enten in Australien, die allerlei Unfug ihrer Besitzer nachplappern. «Das sind grosse Neuigkeiten für alle, die noch nie was von Papageien gehört haben», witzelt der Gastgeber. Die Ente sage Sachen wie «You bloody fool», also: «Du verdammter Trottel».

Late Night USA – Amerika verstehen
Blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Die Enten könnten ausserdem rotzende Ponys, hustende Männer und zuknallende Türen nachmachen, erzählt Colbert. Zuknallende Türen sind eigentlich auch der ideale Übergang zum Hurrikan Ida, der die Ostküste gerade heimgesucht hat. Dort werden die Menschen zum Teil noch Wochen ohne Strom leben.

In New Yorks Central Park kamen in einer Stunde 51,5 Milliliter Regen vom Himmel. Das hat den früheren Top-Wert von 49,2 Milliliter getoppt – der erst elf Tage vorher von Hurrikan Henri aufgestellt worden war.

Ivermectin – die Medizin für den A...

Was war noch? Ach ja, die Pandemie: Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Hospitalisierungen in den USA durch die Delta-Variante mehr als verdoppelt, weiss Colbert. Gleichzeitig erlahmt die Impf-Bereitschaft: Zuletzt wurden in seiner Heimat 15 Millionen Dosen verworfen, die abgelaufen waren.

Colbert ist wieder da: Obwohl das Publikum geimpft sein muss, sind auch Masken nun wieder verpflochtend.
Colbert ist wieder da: Obwohl das Publikum geimpft sein muss, sind auch Masken nun wieder verpflochtend.
Screenshot: YouTube

Impf-Skeptiker müssten sich aber keine Sorgen machen – «denn sie haben ein neues Medikament gefunden, das auch nicht hilft»: Gemeint ist Ivermectin, das eigentlich bei der Entwurmung von Pferden verwendet wird. «Ivermectin ist gegen Covid wirkungslos, und wenn man es falsch benutzt, kann es einen töten», warnt Colbert. Es soll zudem nicht besonders schmackhaft sein.

Doch potenzielle Konsumenten finden im Internet gut gemeinte Tipps, wie man schlecht bekömmliche Mittel trotzdem relativ locker einnehmen kann. Etwa, indem man es mit Süssigkeiten einnimmt – oder auf ein Sandwich träufelt. «Ich nehme es, indem ich es in einer Banane verstecke», zitiert Colbert einen jener Schlaufüchse.

Verrücktes Abtreibungsgesetz

Auf Facebook hat ein Williger gar gefragt: «Kann ich die Paste anal einführen statt in den Mund?» Der Geschmack muss also wirklich – mit Verlaub – für den Arsch sein.

Am Allerwertesten sind auch jene Frauen aus Texas, die abtreiben wollen oder müssen, seitdem dort ein strenges entsprechendes Gesetz erlassen worden ist. «Was die Gesetzgeber hier gemacht haben, ist verrückt», meint Colbert und erklärt, dass die Regelung am 1. September in Kraft getreten ist. Nach der sind Abtreibungen an der sechsten Woche strafbar – doch zuvor würden viele Frauen gar nicht bemerken, dass sie schwanger seien.

Zu komplex: die obersten Bundesrichter der USA.
Zu komplex: die obersten Bundesrichter der USA.
Screenshot: YouTube

«Normalerweise würde so ein breites Verbot vom Präzedenzfall Roe vs Wade kassiert werden, der, auch wenn er immer kontrovers diskutiert worden ist, über 50 Jahre lang geltendes Recht war», erklärt der Gastgeber. Im Fall Roe gegen Wade fällte der Oberste Gerichtshof 1973 ein Grundsatz-Urteil zur Abtreibung.

Anreiz zum Denunzieren

Doch Texas habe sein neues Gesetz so geschrieben, dass eine juristische Prüfung verunmöglicht wird, so Colbert. Nun hat der Supreme Court mit 5 zu 4 Stimmen zwar «mit Blick auf die Verfassung ernsthafte Fragen zum Gesetz in Texas», doch fürs Erste lassen die Bundesrichter den Staat wegen der «komplexen und neuen Prozeduren» gewähren.

«Aber zahlen wir euch Schwachköpfe nicht dafür, Fragen über komplexe und neue Prozeduren zu beantworten?», fragt der Washingtoner süffisant. «Was glaubt Ihr, was euer Job ist?» Das Perfide an dem Gesetz: Die Politik fordert die Bürger explizit auf, selbst zu klagen, wenn ihnen das Thema unterkommt.

Colbert zitiert einen Experten, der «Newsweek» sagte: «Wenn die Serviertochter hört, wie du über deine Abtreibung sprichst, die nach sechs Wochen vorgenommen wurde, darf die Serviertochter das Spital und alle, die dir geholfen haben, verklagen.» Es sei offensichtlich cool, Texaner zu bespitzeln: Wer seinen Prozess gewinne, bekäme nicht nur die Gerichtskosten erstattet, sondern zudem auch noch 10'000 Dollar.

«Sie schaffen einen Anreiz für Nachbarn, sich für Geld zu verklagen», fasst der Late-Night-Host zusammen.