Verräter oder Volksheld? Prigoschins Abdankung stellt Putin vor ein Dilemma

twei

26.8.2023

Der Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, soll bei einem Absturz eines Privatflugzeugs nordwestlich von Moskau ums Leben gekommen sein.
Der Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, soll bei einem Absturz eines Privatflugzeugs nordwestlich von Moskau ums Leben gekommen sein.
Bild: Uncredited/Razgruzka_Vagnera telegram channel/AP

Letzte Ehre für einen Volkshelden oder stille Beerdigung für einen Verräter? Nach dem Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin steht Kreml-Chef Wladimir Putin vor einer heiklen Entscheidung. Und spielt wohl auf Zeit.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Mittwoch ist Jewgeni Priogschin, der Anführer der russischen Privatarmee Wagner, mutmasslich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.
  • Verräter oder Volksheld? Die Frage nach der Beerdigung des Söldner-Chefs stellt den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor ein Dilemma. 
  • Während der Kreml auf ein Statement warten lässt, geht ein russischer Oppositioneller von einer «stillen Beerdigung» aus.

Britische Geheimdienste halten Jewgeni Prigoschin «sehr wahrscheinlich» für tot. Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija hatte den Wagner-Chef bereits nach dem Flugzeugabsturz am Mittwoch in der Region Twer für tot erklärt. Erledigt ist die Causa aus russischer Sicht trotzdem dennoch nicht.

Nicht nur läuft die Untersuchung der Flugschreiber noch. Es stellt sich ausserdem die Frage, was mit den Überresten des Söldner-Chefs passiert – und wie mit seinem Erbe umgegangen wird.

Wie das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» berichtet, wird die Leichenhalle von Twer, in der die sterblichen Überreste von Prigoschin und den anderen neun Opfern des Absturzes liegen sollen, hermetisch von der Aussenwelt abgeschirmt. Selbst Angehörigen sei der Zugang von Sicherheitskräften verweigert worden.

Letzte Ruhe im «Pantheon»?

Die forensischen Untersuchungen Prigoschins und seiner Begleiter dürfte noch Zeit in Anspruch nehmen. Auch eine Zurschaustellung der Leichen wird wohl nicht möglich sein, hatte doch ein Wagner-Kämpfer nach der Identifizierung der Leichname berichtet, dass Prigoschin bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sei.

Dem Kreml dürften die andauernden Ermittlungen hingegen zupasskommen. Wladimir Putin steht beim Umgang mit dem Tod Prigoschins und dessen machtvollem Kommandeur Dmitrij Utkin vor einer schwierigen Abwägung. Gesteht man dem Wagner-Chef nach dessen versuchter Revolution vom Juni einen staatsmännischen Abschied zu oder behandelt man ihn als Verräter? Wer hält die Beerdigung ab? Und welches Protokoll wird eingeleitet?

Nach dem Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (oben) steht der russische Präsident Wladimir Putin vor einer heikle Entscheidung.
Nach dem Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (oben) steht der russische Präsident Wladimir Putin vor einer heikle Entscheidung.
Bild: AP/dpa

Wird Prigoschin der Heldenstatus verliehen, scheint seine letzte Ruhestätte im sogenannten «Pantheon der Verteidiger des Vaterlandes» im Norden Moskaus am wahrscheinlichsten – inklusive aller militärischer Ehren. In diesem Falle würden wohl auch ranghohe Staatsvertreter wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Walerij Gerassimow, der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte in der Ukraine, der Zeremonie beiwohnen. Dafür müssten beide allerdings über ihren Schatten springen, galten sie doch als Intimfeinde Prigoschins.

Oppositioneller tippt auf «stille Beerdigung»

Ganz anders sähe die Beisetzung aus, sofern Jewgeni Prigoschin als Verräter behandelt wird. Offizielle Verlautbarungen dazu fehlen bis dato, in den sozialen Medien wurden allerdings Spekulationen laut, der Wagner-Chef könne womöglich in der Zentralafrikanischen Republik seine letzte Ruhe finden. Diese Version läge dem Kreml am nächsten, prophezeit auch der russische Oppositionelle Sergej Udalzow: «Wahrscheinlich werden sie nun auf Zeit spielen und die Familie zu einer stillen und bescheidenen Beerdigung ohne jegliche Anzeichen von Protest überreden.»

Die Reaktion Putins auf den Tod seines langjährigen Verbündeten jedenfalls brachte keine Erkenntnisse. Der Machthaber bezeichnete den Verstorbenen bei einem öffentlichen Auftritt nach der Todesmeldung als «Mensch mit schwierigem Schicksal» und «ernsthaften Fehlern».

Im gleichen Atemzug würdigte Putin die Bereitschaft Prigoschins, für «die gemeinsame Sache» zu kämpfen. In diesem Zusammenhang habe er die «nötigen Resultate erreicht».

Putin: «Prigoschin hat schwere Fehler begangen»

Putin: «Prigoschin hat schwere Fehler begangen»

Nach dem wahrscheinlichen Tod Jewgeni Prigoschins bei einem Flugzeugabsturz hat der russische Präsident Wladimir Putin den Wagner-Anführer als «talentierten Geschäftsmann» gewürdigt. Er habe aber «schwere Fehler begangen in seine Leben».

25.08.2023

Hinter der Tatsache, dass der russische Präsidenten Prigoschin nicht sämtliche Verdienste aberkennt, könnte indes reines Kalkül stecken. Schliesslich ist Putin darum bemüht, eiserne Patrioten und all jene, die Prigoschins Kurs weiterfahren, hinter sich zu vereinen – und keinesfalls zu brüskieren.

«Sein Tod ist ein grosser Verlust für den ganzen Staat»

Ähnlich klangen die Worte, mit denen sich der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow von Prigoschin verabschiedete. Einerseits wies er auf die lange Freundschaft hin, betonte aber auf dem Nachrichtendienst Telegram auch, der Verstorbene habe zuletzt nicht alle Zusammenhänge des Krieges gesehen. Kadyrow schrieb zudem: «Sein Tod ist ein grosser Verlust für den ganzen Staat.»

Deutlicher wurde Wiktor Soboljow, Mitglied im Verteidigungs-Ausschuss der Duma. Im Gespräch mit Journalisten forderte er hinsichtlich Prigoschin: «Wenn er nach der Meuterei ein Held geblieben ist, dann sollte er auch als Held begraben werden.»

Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow spielte indes auf Zeit. Ob Putin bei der Beerdigung vor Ort sei, hänge von dessen Terminkalender ab, sagte er schmallippig.