74 Tote und noch mehr Widersprüche Was über den Flugzeugabsturz in Belgorod bekannt ist

tafi / Agenturen

24.1.2024

Russland wirft Ukraine Abschuss von Flugzeug mit Kriegsgefangenen vor

Russland wirft Ukraine Abschuss von Flugzeug mit Kriegsgefangenen vor

Russland beschuldigt die Ukraine, bewusst ein Militärtransportflugzeug mit ukrainischen Kriegsgefangenen abgeschossen zu haben. Die Ukraine weist die Anschuldigungen von sich.

24.01.2024

Im bereits 700 Tage dauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat sich eine weitere Tragödie ereignet – eine mit vielen Rätseln. Was bislang über den Absturz eines russischen Militärflugzeuges bekannt ist.

tafi / Agenturen

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das russische Militär hat den Absturz eines Transportflugzeuges mit 74 Personen an Bord eingeräumt.
  • Als Absturzort der Maschine vom Typ Iljuschin IL-76 wurde die russische Region Belgorod nahe der Ukraine genannt.
  • Moskau behauptet, das Flugzeug sei von ukrainischen Raketen getroffen worden. An Bord seien 65 ukrainische Kriegsgefangene gewesen.

Dieser Artikel wurde zuletzt um 22:48 Uhr aktualisiert.

Ein russisches Militärtransportflugzeug ist am Mittwochvormittag in der Region Belgorod abgestürzt. Das ist gesichert. Russland und die Ukraine machen sich nun gegenseitig schwere Vorwürfe: Doch sowohl über die Herkunft der 74 Todesopfer als auch über die Ladung und die Absturzursache gibt es verwirrende Angaben. Hier findest du die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert?

Die ersten Meldungen kamen am Mittwochvormittag aus Russland: In der Nähe der Stadt Belgorod an der Grenze zur Ukraine sei ein russisches Militärflugzeug abgestürzt. Dabei habe es sich um eine Maschine vom Typ Iljuschin IL-76 gehandelt. Ukrainische Militärquellen in Kiew bestätigten den Absturz später, sodass zumindest als gesichert gilt, dass wirklich ein Flugzeug verunglückte. Bilder des Absturzes in sozialen Medien zeigten ein Flugzeug, das in einer verschneiten, ländlichen Gegend vom Himmel stürzte, und einen Feuerball, vermutlich beim Aufprall auf den Boden.

Was ist über die Insassen und Ladung bekannt?

Angaben zu Insassen und Ladung sind vage und zum Teil widersprüchlich. Unabhängig überprüfen lässt sich etwa nicht, wer sich im Flugzeug befunden hat und woraus die Ladung bestand.

Aus Kiew gab es dazu bis Mittwochabend keine offiziellen Angaben. «Derzeit haben wir keine verlässliche und umfassende Information darüber, wer genau und wie viele sich an Bord des Flugzeugs befanden», teilte der ukrainische Militärgeheimdienst HUR mit.

Russland hingegen hatte früh davon gesprochen, dass 74 Insassen an Bord gewesen seien und sich darunter 65 ukrainische Kriegsgefangene befunden hätten. Sechs Personen hätten zur Besatzung gehört und drei seien Begleitpersonen gewesen. Experten bezweifeln, dass die Gefangenen nur von drei Männern bewacht worden seien.

War ein Gefangenenaustausch geplant?

Kiew hat indessen einen geplanten Gefangenenaustausch bestätigt. Man habe alle Vereinbarungen eingehalten und die russischen Soldaten pünktlich zum Austauschort gebracht. Dass die ukrainische Seite dieses Mal nicht über die genauen russischen Transportmittel in Kenntnis gesetzt worden sei, «könnte auf vorsätzliche Massnahmen Russlands hinweisen, die darauf abzielen, das Leben und die Sicherheit von Gefangenen zu gefährden», hiess es beim ukrainischen Militärgeheimdienst.

Einige Experten halten es für unglaubwürdig, dass Kriegsgefangene mit dem Flugzeug transportiert werden. Sie werden üblich mit dem Zug oder per Bus zum Austauschort gebracht. Dies geschieht nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen. Das russische Oppositionsmedium «The Insider» zitierte eine ungenannte Quelle, Transportflüge zum Gefangenenaustausch würden üblicherweise angekündigt, um eine Feuerpause sicherzustellen. Dies könnte diesmal nicht passiert sein.

Was sagt Russland zur Absturzursache?

Auch darüber gibt es noch keine Klarheit, siehe auch den X-Post von Russland-Experte Nico Lange oben. Russland behauptet, zur Unglückszeit zwei ukrainische Raketen aus der ukrainischen Region Charkiw an der Grenze zu Belgorod mit dem Radar erfasst zu haben und nannte den Angriff «einen terroristischen Akt».

Zwei russische Abgeordnete erklärten noch vor der Mitteilung des russischen Verteidigungsministeriums – ohne Beweise vorzulegen – das Flugzeug sei von ukrainischen Raketen abgeschossen worden. Kurz vor dem Absturz hatte Regionalgouverneur Wjatscheslaw Gladkow auf seinem Telegram-Kanal erklärt, es sei Raketenalarm ausgelöst worden. Er rief Bewohner der Region auf, Schutzräume aufzusuchen.

Der Chef des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament, Andrej Kartapolow, behauptete, das Militärflugzeug wurde mit drei Flugabwehrraketen entweder des US-Systems Patriot oder des deutschen Systems Iris-T vom Himmel geholt.

Zumindest die Reichweite der Iris-T ist offiziell geringer als die Entfernung zur Absturzstelle. Experten bezweifeln zudem, dass die Ukraine die teuren Flugabwehrsysteme direkt an der Grenze aufgestellt hat, wo sie für Russland leicht zu bekämpfen sind.

Was sagt die Ukraine zur Absturzursache?

Aus Kiew kamen zunächst widersprüchliche Angaben. Aus einem ersten Bericht von Ukrajinska Prawda wurden Angaben zu einem Abschuss wieder herausgenommen. Es hiess, das ukrainische Militär habe in dem Flugzeug Nachschub von russischen Flugabwehrraketen S-300 vermutet.

Das ukrainische Koordinationshauptquartier für die Behandlung von Kriegsgefangenen warnte vor der Weitergabe «nicht verifizierter Informationen». Stunden nach dem Absturz ging der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte in einer Mitteilung nicht auf den Absturz ein. Er erklärte jedoch, dass die Ukraine russische Militärtransportflugzeuge ins Visier nehme, von denen angenommen werde, dass sie Raketen transportierten, insbesondere in Grenznähe.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte in seiner abendlichen Ansprache am Mittwoch eine internationale Aufklärung. Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR versuche derzeit mehr über das Schicksal der Dutzenden ukrainischen Kriegsgefangenen zu erfahren, die laut Moskauer Angaben an Bord der Maschine gewesen sein sollen.

«Unser Staat wird auf eine internationale Aufklärung bestehen», betonte er. Selenskyj sagte ausserdem: «Es ist offensichtlich, dass die Russen mit dem Leben von ukrainischen Gefangenen, mit den Gefühlen ihrer Angehörigen und mit den Emotionen unserer Gesellschaft spielen.»

Wie geht es nun weiter?

Das ukrainische Koordinationshauptquartier für die Behandlung von Kriegsgefangenen untersucht den Absturz. Die Behörde warnte aber vor der Weitergabe «nicht verifizierter Informationen».

Der russische Aussenminister Sergej Lawrow forderte derweil in New York eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Er sei ohne Sorge, dass die internationale Gemeinschaft den Vorwürfen Russlands Glauben schenken werde, sagte er.

In den USA wurde die Entwicklung beobachtet. «Wir haben die Berichte gesehen, aber wir sind nicht in der Lage, sie zu bestätigen», sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby.

Am Mittwoch ist in der Grenzregion Belgorod ein russischer Militärflieger abgestürzt. Über 70 Menschen sollen an Bord gewesen sein.
Am Mittwoch ist in der Grenzregion Belgorod ein russischer Militärflieger abgestürzt. Über 70 Menschen sollen an Bord gewesen sein.
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