Wahnsinn am Mount Everest Was einst einmalig war, ist heute Luxus-Tourismus und Geldmacherei

Samuel Walder

1.10.2024

Bergsteiger und Bergführer stehen am 21. Mai zwischen dem Südgipfel und der Hillary-Stufe des Mount Everest im Stau.
Bergsteiger und Bergführer stehen am 21. Mai zwischen dem Südgipfel und der Hillary-Stufe des Mount Everest im Stau.
Narendra Shahi Thakuri/dpa

Der Mount Everest spült Nepal durch den Tourismus Geld ein – und das immer mehr. Das Land will die Route zur Spitze für Tourist*innen noch attraktiver gestalten. Das schlägt vielen auf die Gemüter. 

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Everest-Tourismus hat sich von einer gefährlichen Expedition zu einer kommerziellen Herausforderung entwickelt.
  • Nepal übernimmt den Tourismus-Markt am Mount Everest und verdrängt ausländische Agenturen. 
  • Dank des Internets und sinkender Kosten für Materialtransport können nepalesische Firmen günstigere Preise anbieten.
  • Kritiker wie Alpinist Dani Arnold beklagen den Verlust der Bergsteigerkultur und sehen die zunehmende Kommerzialisierung des Mount Everest als problematisch.

Noch vor 20 Jahren galten die Bergsteiger, die den höchsten Berg der Welt bestiegen, als Pioniere. Heute könnte es kaum anders sein. Nepal profitiert hauptsächlich von den Tourist*innen, die mittlerweile den Aufstieg zum Mount Everest als Challenge sehen statt einer gefährlichen Expedition. 

SRF Dok schreibt: 2000 Personen im Basecamp, 421 Permits, 41 Expeditionen, 758 Personen auf dem Gipfel, davon 471 Sherpas, immer weniger professionelle Bergsteigerinnen, immer mehr Anfänger, Preise zwischen 45'000 Dollar bis 450'000 Dollar (rund 38'000 bis 380'000 Schweizer Franken) für eine Besteigung: Das Geschäft am höchsten Berg der Welt hat gigantische Ausmasse angenommen.

Konkurrenzkampf um den Everest

Nepal hat das finanzielle Potenzial des Ansturms auf den höchsten Berg erkannt und nutzt dieses auch. Denn: Ein heftiger Konkurrenzkampf tobt am höchsten Berg der Welt.

Nepalesische Anbieter dominieren den Markt für Expeditionen auf den Mount Everest und haben die ausländischen Agenturen verdrängt. Diese versuchen, sich nun mühsam zu behaupten. Die nepalesische Regierung plant, den Preis für das Everest-Permit im nächsten Jahr von 11'000 Dollar auf 15'000 Dollar zu erhöhen (ca. 9300 auf 12'700 Schweizer Franken), um den wachsenden Ansturm zu regulieren.

Für Kari Kobler, den ehemaligen Inhaber der Schweizer Expeditionsagentur «Kobler und Partner», ist der Wandel am Everest schwer zu verkraften. Als er im Frühjahr 2024 im Basecamp ankommt, zeigt er sich schockiert: «Das ist ja abartig», sagt der 69-Jährige, der zuletzt 2008 als Expeditionsleiter am Everest war. Zu seiner Zeit sei alles «klein und fein» gewesen, die Expeditionsleiter hätten sich gekannt, und keine Gruppe habe mehr als zwölf Mitglieder umfasst. Heute tummeln sich rund 2000 Menschen im Basecamp, damals waren es nur 1000.

Sherpas übernehmen das Zepter

Die Zeiten, in denen westliche Agenturen aus Neuseeland und Australien den Markt dominierten, sind vorbei. Inzwischen stammen rund 80 Prozent der Agenturen, die Everest-Expeditionen anbieten, aus Nepal. Eine der führenden Firmen ist «Seven Summit Treks», die von den Brüdern Tashi, Dawa und Mingma Sherpa gegründet wurde. Kari Kobler war früher ihr Arbeitgeber, doch die Sherpas haben das Geschäft weiterentwickelt und bieten heute einen Service an, der sowohl für erfahrene Bergsteiger als auch für extrem wohlhabende Kunden attraktiv ist.

Fernseher, Bett und Wi-Fi in einem Zelt auf dem Mount Everest. (Purbu Zhaxi/Xinhua via AP)
Fernseher, Bett und Wi-Fi in einem Zelt auf dem Mount Everest. (Purbu Zhaxi/Xinhua via AP)
Keystone

Eine Everest-Besteigung kostet bei «Seven Summit Treks» zwischen 45'000 Dollar im normalen Segment und bis zu 450'000 Dollar im Luxussegment. VIP-Gäste erhalten ein eigenes Zelt mit Bett und Heizdecke, Wi-Fi, mehrere persönliche Sherpas und sogar einen Helikopterservice, der ihnen ermöglicht, zwischendurch in Kathmandu ihre Geschäfte zu führen. Für Tashi Sherpa ist das ein Fortschritt: «Früher kamen nur Bergsteiger, heute haben wir auch sehr reiche Kundschaft aus den oberen Segmenten.»

Der Einfluss des Internets

Das Internet hat das Expeditionsgeschäft revolutioniert, erklärt Dawa Steven Sherpa von «Asian Trekking», einer der ältesten nepalesischen Agenturen. «Früher gingen die Kunden zu Agenturen in ihren Heimatländern. Heute können sie unser Angebot mit einem Klick checken und direkt bei uns buchen.» Der Wegfall von Zwischenhändlern erlaubt es den nepalesischen Anbietern, wettbewerbsfähigere Preise anzubieten. Auch die geringeren Kosten für den Materialtransport ins Basislager tragen dazu bei, dass die Gewinnmargen der nepalesischen Anbieter deutlich höher sind als bei westlichen Agenturen.

Doch während die Preise gesunken sind, hat sich die Motivation der Everest-Aspiranten geändert. «Früher waren es Bergsteiger, die einen Traum hatten, heute sind es mehrheitlich Trophäenjäger», sagt Kari Kobler. Viele Teilnehmer seien mehr daran interessiert, ihre Abenteuer über Social Media zu teilen, als den Berg wirklich zu erleben.

Helikopter statt Bergsteigen

Helikopter sind inzwischen ein fester Bestandteil des Geschäfts am Everest. Während der Bergsteigersaison im Frühjahr starten und landen die Maschinen im Minutentakt im Basecamp. Bergsteiger, die sich nach der Akklimatisationsphase ausruhen möchten, lassen sich in tiefere Regionen oder sogar bis nach Kathmandu fliegen, bevor sie den Gipfel in Angriff nehmen. Auch Trekker, die den mühsamen Rückweg vom Everest-Basecamp vermeiden wollen, buchen zunehmend Helikopterflüge.

Helikopter sind nicht mehr nur für Notfälle, sondern auch für bequeme Transporte von Touristen zuständig. 
Helikopter sind nicht mehr nur für Notfälle, sondern auch für bequeme Transporte von Touristen zuständig. 
Keystone

Maurizio Folini, ein Schweizer Pilot, der während der Everest-Saison für nepalesische Helikopterfirmen arbeitet, bestätigt: «Der Everest ist ein Luxusberg geworden.» Der nepalesische Pilot Siddhartha Gurung, CEO von «Simrik Air», ergänzt: «Heute verkaufen viele Trekkingagenturen ‹Oneway Trekking›: hochlaufen und herunterfliegen.» Die Kosten für einen solchen Flug liegen bei 5000 bis 7000 Dollar (rund 4200 bis 6000 Schweizer Franken).

Schweizer Bergsteiger sieht einen Schwund der Bergsteigerkultur

Der Schweizer Alpinist Dani Arnold (40) wurde im August mit dem Oscar der Bergsteigerszene ausgezeichnet. Er erhielt den Paul-Preuss-Preis, der zuvor nur an zwölf andere Bergsteiger verliehen wurde. Darunter auch einer der berühmtesten Bergsteiger, Reinhold Messner.

Arnold sieht die Veränderung Bergsteigerkultur am Mount Everest problematisch. «Es ist nicht mehr das, was es mal war. Schlussendlich geht es um die Erfolgsquote der einzelnen Agenturen, die einen auf den Berg bringen wollen», sagt Arnold. Das sollte aber nicht der Grund sein, einen Berg zu besteigen. Er sagt: «Es geht um das Abenteuer. Auch wenn man den Pilatus besteigt, kann man Fehler machen, oder vom Wetter überrascht werden. Dann muss man abbrechen.» Umso mehr sei es dann ein Erfolg, wenn man es bei zweiten, dritten oder vierten Anlauf schaffe.

Alpinist Dani Arnold sieht Probleme des Touristenansturms am Mount Everest. 
Alpinist Dani Arnold sieht Probleme des Touristenansturms am Mount Everest. 
Instagram: @daniarnold_alpinist

Es ist kein Abenteuer mehr

Arnold unterscheidet: «Es sind keine Bergsteiger mehr, sondern Touristen. Man braucht eine gewisse Grundkondition, um so eine Bergtour zu absolvieren. Das braucht man aber auch bei 6000er.» Und weiter: «Aber stellt man sich mal vor, dass es da Menschen gibt, die noch nie mit Steigeisen gelaufen sind und die trotzdem bis auf die Spitze kommen, sagt doch schon alles.»

Arnold findet, man solle den Weg nach oben nicht zu einfach machen, für Menschen, die keine Kompetenz haben. Denn: «Wenn man am Everest gewesen ist, hat man das Gefühl, dass man der grosse Bergsteiger ist. Das ist nur noch ein Mythos. Mittlerweile ist es nur noch eine Frage des Geldes.»

Trotzdem verstehe Arnold die Handlungen von Nepal. «Ich verstehe Nepal als Land, und dass die ein Geschäft draus machen. Das ist völlig logisch.» Für ihn ist es aber «störend», dass die einst so abenteuerliche Umgebung am höchsten Berg der Welt, so kommerzialisiert wird. 

Die Umwelt leidet am Mount Everest

Der Tourismus auf dem Mount Everest birgt aber auch noch ein anderes Problem. Schon in den frühen Nullerjahren waren die nepalesischen Behörden mit dem Einsammeln von Abfall beschäftigt. 

2022 titeln Medien «Der Mount Everest: die höchste Müllhalde der Welt». Denn wegen des Klimawandels kommen die Abfallberge auf der Tour zur Spitze zum Vorschein. Sauerstoffflaschen, alte Zelte, Schlafsäcke und Fäkalien, oft von westlichen Touristen und Alpinisten hinterlassen, belasten den Berg zunehmend.

Das Müllproblem am Mount Everest ist altbekannt. Durch den Klimawandel kommt immer mehr Unrat zum Vorschein. EPA/NARENDRA SHRESTHA
Das Müllproblem am Mount Everest ist altbekannt. Durch den Klimawandel kommt immer mehr Unrat zum Vorschein. EPA/NARENDRA SHRESTHA
Keystone

Seit Jahren versuchen Nepal und China, der Situation entgegenzuwirken, jedoch mit mässigem Erfolg. Bereits 2008 startete die erste Eco-Everest-Expedition, um den Müll zu beseitigen. Unterstützt von der nepalesischen Regierung und internationalen Organisationen wurden bis 2012 mehr als 13'500 Kilogramm Abfall, 450 Kilogramm menschliche Exkremente sowie die Überreste von fünf toten Bergsteigern geborgen.

Auch Touristen werden zunehmend in die Verantwortung genommen. 2018 berichtete China, dass bereits mehr als acht Tonnen Müll vom Everest entfernt wurden, darunter über zwei Tonnen menschliche Exkremente. In Tibet müssen Bergsteiger seit 2015 mindestens acht Kilogramm Müll auf ihrem Weg zum Gipfel sammeln. Für jedes nicht abgelieferte Kilogramm werden Rückkehrer mit einer Strafe von 100 Dollar belegt.


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