Deutschland hat gewählt«Olaf Scholz kennt man in der Schweiz schon gut»
Anne Funk
28.9.2021
Olaf Scholz oder Armin Laschet? Laut der Luzerner Politologin Lena Maria Schaffer macht das für die Schweiz kaum einen Unterschied. Dass Rot-Rot-Grün bereits jetzt ausgeschlossen werden könne, sorge hierzulande aber für Erleichterung.
Anne Funk
28.09.2021, 00:00
28.09.2021, 15:09
Anne Funk
Deutschland hat gewählt. Mit einem hauchdünnen Vorsprung konnte die SPD das Rennen gewinnen, doch auch die zweitplatzierte Partei, die CDU/CSU, versucht nun, eine Koalition zu finden und so die Regierungsbildung zu übernehmen. Das bedeutet: Noch ist unklar, wer der neue Kanzler oder die neue Kanzlerin in der Bundesrepublik wird.
Allerdings liegt es nahe, dass der neue Bundeskanzler Olaf Scholz heissen wird. Das bestätigt auch Lena Maria Schaffer, Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft an der Universität Luzern, im Gespräch mit «blue News».
«Ich würde stark davon ausgehen, dass es wohl Herr Scholz wird, einfach, weil es gang und gäbe ist, dass die grösste Partei auch den Regierungschef stellt.» Betrachte man die gesamteuropäische Landschaft, sei es eher unwahrscheinlich, dass die grösste Fraktion nicht an der Regierung beteiligt sei. Doch wäre Scholz tatsächlich auch der deutsche Wunschkanzler der Schweizer?
Ein Verbündeter in Deutschland
«Aus Sicht der Schweiz kennt man zumindest den derzeitigen Finanzminister Scholz bereits ganz gut», so Schaffer, CDU-Kandidat Armin Laschet dagegen eher weniger. Entscheidende Unterschiede seien für die Schweiz aber nicht zu erwarten.
«Für die Schweiz ist es vor allem wichtig, wie innerhalb der EU reagiert wird, wie es jetzt nach dem gescheiterten Rahmenabkommen weitergeht», erklärt die Politikwissenschaftlerin weiter. Man wünsche sich in Deutschland einen Verbündeten, der vielleicht eine alternative Option aufzeige oder «Fürsprecher ist aufgrund der sehr engen wirtschaftlichen Beziehungen». Das wäre für die Schweiz durchaus wichtig. Allerdings sehe sie in dieser Hinsicht keinen der beiden Kandidaten in der Pole Position.
Inwiefern sich nun das Verhältnis Deutschlands zur Schweiz verändern wird, nachdem Angela Merkel den Chefposten verlässt, sei zum jetzigen Zeitpunkt eher schwierig einzuschätzen. Klar ist allerdings: Einen Links-Ruck hätte man hierzulande nicht gern gesehen. «Das, was die Schweiz vielleicht am wenigsten gern gehabt hätte, nämlich Rot-Grün-Rot, das ist rechnerisch nicht mehr möglich», erklärt Schaffer. Aus diesem Grund hätten Beobachter in der Schweiz durchaus aufgeatmet. Doch wie sich die Politik einer Ampel- oder Jamaika-Koalition ausgestalten wird, könne man aktuell noch nicht beurteilen.
Keine Aussagen zur Aussenpolitik
Gerade auch, weil das Thema Aussenpolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat. «Wir haben von keinem ein wirklich klares Statement zur Aussenpolitik bekommen», so Schaffer. Der nächste Schritt sei nun, dass vor allem die kleineren Parteien, die zuletzt nicht in der Regierungsverantwortung waren und somit auch keine Stellung bezogen, sich positionieren. Aussenpolitik werde sicherlich in den Vorsondierungen zwischen den Parteien zur Sprache kommen, wie und ob sich das Verhältnis zur Schweiz ändern wird, lasse sich allerdings noch kaum vorhersagen. «Ich denke eher, es bleibt wie es ist – gut.»
Ein weiteres Problem, auch in Bezug auf das Verhältnis zur EU: die Hängepartie Koalitionsverhandlungen. Bis tatsächlich eine neue Regierung gebildet wird und Deutschland einen neuen Kanzler hat, können Monate vergehen. So lange wird Angela Merkel als geschäftsführende Kanzlerin amten, wichtige Richtungsentscheidungen sind weder aussen-, noch europapolitisch zu erwarten. Und im nächsten Jahr stehen bereits in einem weiteren grossen EU-Mitgliedstaat Wahlen an: Frankreich.
Wird Frankreich zum Problem?
«Wenn in grösseren Staaten Wahlen sind, ist die EU auch eher nicht so entscheidungsfreudig in manchen Dingen», erklärt die Politikwissenschaftlerin das Dilemma. Im Hinblick auf die abgebrochenen Verhandlungen zum Rahmenabkommen werde die EU nun erst mal nicht auf die Schweiz zukommen. Dabei wäre genau das im Schweizer Interesse. «Je länger das dauert, je länger dieser Ausschluss vor allem im Bereich Bildung und Forschung ist, desto mehr Unsicherheit herrscht.» Und das wolle man auf keinen Fall.
Frankreich könnte ausserdem zu einem weiteren Problem werden: Der französische Präsident Emanuel Macron dürfte versuchen, das aktuell herrschende Vakuum in der EU zu füllen. Schon kurz nach seiner Wahl 2017 hatte er Gestaltungswillen gezeigt und in seiner Rede an der Universität Sorbonne skizziert, wie es mit der EU seiner Meinung nach weitergehen soll.
Ein erstarktes Paris dürfte es der Schweiz jedoch bei ihrer Beziehung mit der EU nicht einfacher machen. Bei den Querelen zwischen Bern und Brüssel beim institutionellen Rahmenabkommen hatte Frankreich dem Vernehmen nach oft eine härtere Position gegenüber der Schweiz vertreten als Deutschland – etwa bei der Ablehnung der Äquivalenz für die Schweizer Börse.
Hinzu kommt: Im ersten Halbjahr 2022 hat Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft inne und präsidiert damit sämtliche Arbeitsgruppen und Ministertreffen. Deutsche Diplomaten mit klaren Anweisungen aus Berlin wären sicher nicht schlecht für Bern.
Deutschland «gehandicapt»
Doch nicht nur im Hinblick auf die Schweiz wären ausschweifende Koalitionsverhandlungen nicht wünschenswert. Auch was die Positionierung zum Klimaschutz betrifft, ist Deutschland erst mal ausgebremst. Das könnte laut Lena Maria Schaffer vor allem auch bei der anstehenden Klimakonferenz, die vom 31. Oktober bis 12. November 2021 in Glasgow stattfinden wird, zum Problem werden.
An solchen Veranstaltungen erwarte man besonders von Nationen wie Deutschland «grosse Aussagen», wie zum Beispiel ein früherer Kohleausstieg oder ein Verbrennerverbot. Allerdings werde es bis zur Konferenz wohl noch keinen Koalitionsvertrag geben, geschweige denn eine neue Regierung. «Die Welt wartet auf klare Aussagen, da will man auch von Deutschland etwas hören», so Schaffer. Stattdessen sei Deutschland nun «gehandicapt».
Ob nun Olaf Scholz oder Armin Laschet die Geschicke des Landes übernehmen werden, ein besonderes Verständnis für die Situation der Schweiz darf man nicht erwarten. Beide Kandidaten sind bekennende Europäer. Während sich Bern vielleicht von einem Kanzler Scholz etwas mehr Verständnis für die «flankierenden Massnahmen» erhoffen könnte, könnte ein Kanzler Laschet möglicherweise bei Steuerthemen näher an der Position Berns sein.