206-Millionen-MarktWas Brasiliens Wahl mit Umwelt und Schweizer Firmen zu tun hat
mmi
2.10.2022
Über 156 Millionen Bürger wählen am Sonntag in Brasilien einen neuen Präsidenten. Der Ausgang dürfte entscheidend dafür sein, ob die Schweiz Zugang zu einem Markt mit 206 Millionen Konsument*innen bekommt.
mmi
02.10.2022, 00:00
mmi
Es ist die wichtigste Wahl seit Jahrzehnten in Brasilien: Die über 156 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer wählen nebst dem Präsidenten auch Gouverneure, nationale und bundesstaatliche Abgeordnete sowie Senatorinnen und Senatoren.
Doch in erster Linie dürften sich alle Augen auf das Rennen um das Präsidentenamt richten. Und auch für die Schweiz ist die Entscheidung bedeutend – trotz fast 9'000 Kilometer oder über 10 Flugstunden Entfernung, die zwischen den beiden Ländern liegen.
Denn der neue Präsident dürfte massgebend beeinflussen, wie die Schweiz Zugang zum lateinamerikanischen Markt erhält. Im Fokus steht dabei das noch nicht ratifizierte Handelsabkommen zwischen dem Mercosur und dem EFTA-Bündnis.
Lukrativer Markt hüben wie drüben
Gemeinsam mit Island, Liechtenstein und Norwegen bildet die Schweiz die EFTA – ein Handelsbündnis, das den freien Handel fördert. Die zwischenstaatliche Organisation basiert auf einem weltweiten Netzwerk von Freihandels- und Partnerschaftsabkommen, das bald um einen Vertrag mit Mercosur erweitert werden soll.
Mercosur steht für Mercado Común del Sur – gemeinsamer Markt des Südens. Dessen Mitglieder sind Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay. Weiterhin sind Chile, Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador, Guyana und Suriname assoziierte Staaten. Neuseeland und Mexiko fungieren als Beobachter.
Mit 206 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten ist der Mercosur für die EFTA ein attraktiver Mark. Im Gegenzug ist die EFTA mit seinen 14 Millionen kaufkräftigen Menschen ebenfalls lukrativ für Lateinamerika. Für die Schweiz wäre das Freihandelsabkommen besonders für den Export zentral. Bereits 2020 exportierte die Schweiz im Gesamtumfang von 2,6 Billionen US-Dollar.
Freihandel mit Mercosur – eine harzige Beziehung
Das sind insbesondere verarbeitete Landwirtschaftsprodukte wie Kaffee, Schokolade und Süssgetränke sowie Arzneimittel und chemische Stoffe. In die umgekehrte Richtung importierte die Schweiz gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Agrarprodukte. Etwa Reis, Kaffee, Tierfutter, Fleisch oder Früchte in einem Umfang von 640 Millionen US-Dollar.
Trotz verlockender Marktbedingungen stockt die Ratifizierung des Abkommens zwischen der EFTA und Mercosur. Denn erster Widerstand von Globalisierungskritikern und Umweltaktivisten in den einzelnen Mitgliedstaaten verfestigt sich. Bis heute ist noch unklar, wann das Abkommen ratifiziert werden soll.
Auch das über zwei Jahrzehnte ausgehandelte Abkommen zwischen der EU und Mercosur ist noch nicht ratifiziert. Die europäischen Staaten fordern Nachbesserungen im Umweltbereich. Das sind keine guten Vorzeichen für das Abkommen zwischen der EFTA und dem Mercosur, weil das Abkommen weitgehend demjenigen der EU folge. Das liess das Bündnis nach den Vertragsverhandlungen von 2019 verlauten.
Lula versus Bolsonaro
Eine Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro würde die Probleme mit dem ausgehandelten Abkommen wohl nicht verringern. Seine Klimapolitik – insbesondere in Bezug auf den Amazonas – und sein rechtspopulistischer Kurs wird von den Verhandlungspartnern deutlich kritisiert. Deshalb wollen Bolsonaros Berater laut einen Bericht von Euractiv die Verhandlungen nicht wieder aufnehmen.
Würde der ehemalige Präsident und neuer Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva gewählt, hofft die EU, dass die Zusatzvereinbarungen rund um den Umweltschutz bis Ende Jahr im Abkommen untergebracht werden können. Während des Wahlkampfes setzte sich Lula für eine Neuaufnahme der Verhandlungen ein. Dabei will er die Bestimmungen zum Umweltschutz, aber auch zu Aspekten wie Menschenrechte und Technologietransfers, einbringen.
Ob der linke Lula in seiner möglichen dritten Präsidentschaft den Fokus auf Freihandel statt soziale Themen wie Familienbeihilfen, Gesundheit, Zugang zu Bildung, Bekämpfung Hungersnöte legt, ist offen. Das Seco wie auch die Lateinamerikanische Handelskammer in der Schweiz wollen sich im Vorfeld nicht zu einem möglichen Wahlausgang und der Zukunft des Freihandelsabkommen äussern.