Schrecklich nette Familie Die Abrechnung der Trump-Nichte hat es in sich

Von Gil Bieler

12.8.2020

Wie konnte Donald Trump eigentlich so werden, wie er ist? Antwort darauf gibt seine Nichte: Ihr Enthüllungsbuch, das aus dem innersten Kreis des Trump-Clans erzählt, erscheint heute auf Deutsch.

Bücher über Donald Trump füllen mittlerweile eine ganze Bibliothek. Jenes von Mary L. Trump, das heute in deutscher Fassung erschienen ist, sticht dennoch heraus: Die Autorin hat nicht nur in klinischer Psychologie promoviert, sie ist auch die Nichte des US-Präsidenten.

Mary L. Trump wuchs im Zentrum einer der reichsten – und einflussreichsten – New Yorker Familien auf. Die schwierigen Umstände im Haus ihrer Grosseltern kennt sie aus erster Hand. «Niemand weiss besser als seine Familie, wie Donald zu dem Mann wurde, der er heute ist», schreibt sie in ihrem Buch. «Bedauerlicherweise schweigen beinahe alle von ihnen aus Loyalität oder Angst. Mich hindert keins von beidem.»

Mary L. Trump hegt keinerlei Sympathien für ihren Onkel, das liest man aus jeder Zeile heraus. Sie beschreibt ihn als emotional schwer geschädigten Menschen, der das Pech hatte, mit gleich zwei «Problemeltern» aufzuwachsen. Es gibt zwar auch die eine oder andere belustigende Anekdote, aber der Grundton ihres Werks ist düster.

Ihr Buch «Zu viel und nie genug» liest sich wie eine mit den Notizen einer Psychologin angereicherte Familiensaga. In deren Zentrum stehen drei Männer: ihr Vater Freddy, ihr Onkel Donald und ihr Grossvater Fred. Frauen, so schreibt sie, spielten im Trump-Clan schlicht keine Rolle. 

Ihr Grossvater und «Donald», wie sie den Präsidenten nennt, hätten das Leben ihres Vaters zur Hölle gemacht. Und mit Blick auf ihren Onkel schreibt sie: «Ich kann nicht zulassen, dass er auch mein Land zerstört.»

Über Fred Trump

«Fred war ein hochfunktionaler Soziopath», schreibt Mary L. Trump über ihren Grossvater. Symptome für diese Persönlichkeitsstörung seien «unter anderem der Mangel an Empathie» und ein «Talent zum Lügen», diagnostiziert die Autorin: «Soziopathen haben keinen Sinn für Richtig und Falsch und für die Rechte anderer Leute.»

Fred war erst zwölf Jahre, als er seinen eignen Vater wegen der Spanischen Grippe verlor – und plötzlich der Herr im Haus. Er stürzte sich in die Arbeit, blühte im Baugewerbe regelrecht auf und brachte es zu grossem Reichtum. Häuser bauen und Geld scheffeln sei alles, was ihm jemals wichtig gewesen sei.



Auf menschlicher Seite dagegen verortet Mary L. Trump bei ihrem Grossvater nichts als Defizite: An seinen Kindern habe er nie Interesse gehabt – es sei denn, er konnte sie für eigene Zwecke nutzen, was ihm im Falle von Donald auch gelungen sei. Das Konzept von Liebe habe er nie verstanden, bloss bedingungslosen Gehorsam erwartet. Und auch durchgesetzt.

Der Einfluss des Patriarchaten reicht bis zur Enkeltochter: Als Fred einmal auf einen Scheck aufmerksam wurde, den sie eingelöst hatte, liess er ihr ausrichten, dass ihm ihre Unterschrift nicht passe: zu unleserlich. Sie habe zwar gewusst, dass bei Fred einige Zeit zuvor Demenz diagnostiziert worden war. «Trotzdem änderte ich meine Unterschrift.»

Über ihren Vater Freddy

Die Geschichte ihres Vaters sei eine Tragödie, berichtet Mary L. Trump. Als erstgeborener Sohn sollte Fred Trump Jr. – den alle nur Freddy nannten – die Zukunft des Bauimperiums sichern. Doch sein umgängliches und freundliches Wesen wurde ihm vom Vater als Schwäche ausgelegt. Ihm fehle der «Killerinstinkt». So sehr er sich auch bemüht habe, für seinen Vater reichte es nie: «Fred vermittelte seinem Sohn gleichzeitig, dass er ein Erfolgsmensch zu sein hätte und dass er das nie werden würde.» Er habe seinen ältesten Sohn regelrecht zerstört.

Anfang zwanzig wagte es Freddy schliesslich, sich aus dem Schatten des tyrannischen Vaters zu lösen. Er wurde Linienpilot. Der erste Selfmade-Man der Familie, hält Mary L. Trump stolz fest. Für Trump senior dagegen war Freddy nur «ein Busfahrer am Himmel».

Dass er nie die Anerkennung seines Vaters gewinnen konnte, habe ihren Vater gebrochen. Er versank in der Alkoholsucht und starb mit 42 Jahren – sie selbst war damals 16 Jahre alt.

Auch in den Augen seiner eigenen Mutter starb Freddy als Versager: «Weisst du, wie viel dein Vater wert war, als er starb?», fragte sie Mary Jahre nach seinem Tod. «Rein gar nichts.» Die zynischen Sichtweise einer Familie, in der nur das Materielle zählt.

Über Donald Trump

«Der einzige Grund, warum Donald diesem Schicksal entging, liegt in seiner Persönlichkeit. Sie entsprach den Vorstellungen des Vaters», schreibt Mary L. Trump. Donald, sieben Jahre jünger als Freddy, habe genau beobachten können, wie sein älterer Bruder vom Vater demontiert worden sei – und konnte daraus seine Lehren ziehen. Er habe verbissen daran gearbeitet, «schwache» Eigenschaften auszumerzen, die ihn mit Freddy verbinden könnten.

Stattdessen stärkte der junge Donald jene Verhaltensweisen, mit denen er bereits bis dahin ungestraft davongekommen war: Er mobbte und quälte Schwächere und missachtete jede Form von Autorität. Erst diese «Arroganz und tyrannische Art» hätten Donald die lange ersehnte Aufmerksamkeit seines Vaters gesichert.

Fred senior, selber ein Narzisst, habe sich in seinem asozialen Sohn selbst erkannt, glaubt die Psychologin. So wuchs Donald in die Rolle des Erbes des Familienimperiums hinein – wurde aber gleichzeitig um jede Chance gebracht, sich emotional weiterzuentwickeln.

Sie zieht Parallelen zu Frankenstein und dessen Monster. «Freds Monster – das einzige Kind, das ihm etwas bedeutete – wurde letztendlich genau wegen der Art von Freds Bevorzugung nicht liebenswert.»

Über Donalds Aufstieg

An Donald Trumps Qualitäten im Geschäftsleben lässt Mary L. Trump kein gutes Haar: Seine ersten Bauvorhaben habe er nur dank millionenschwerer Unterstützung seines Vaters, dessen Kontakte und Know-how realisieren können. Nach aussen hin sei er als der gewiefte Geschäftsmann verkauft worden. Dabei zog Trump senior im Hintergrund die Fäden.

Der eigene Mythos stieg Donald zu Kopf. Er startete Casinoprojekte in Atlantic City, die sich als kolossale Flops entpuppten und väterliche Millionen verschlangen. «Wenn Fred mit Donalds Brillanz angab und behauptete, sein Sohn sei bereits weitaus erfolgreicher als er selbst, muss er gewusst haben, dass kein Wort davon wahr war; er war zu klug und zu gut mit Zahlen, um es nicht zu erkennen», so Mary L. Trump.



Doch einen Fehler einzugestehen, wäre für Trump senior unmöglich gewesen. Lieber machte er weitere Unsummen locker und tat alles, um Donalds Scheitern zu kaschieren. Die Banken sassen demnach in der gleichen Zwickmühle fest – und bei Donald habe sich das Gefühl verstärkt, unantastbar zu sein.

Über Persönliches

Auf ihre Beziehung zu ihrem berühmten Onkel geht Mary L. Trump vertieft ein, wenn sie erzählt, wie dieser sie einmal als Ghostwriterin für ein Buch engagiert hatte. «The Art of the Comeback» lautete der Arbeitstitel, doch worum es darin gehen sollte, musste sie noch herausfinden.

Sie verbrachte deshalb viel Zeit in einem Büro in Trumps Firma, um herauszufinden, wie er ticke. Zeit und Lust für ein Interview wollte ihr Auftraggeber aber nie aufbringen. Wenn sie ihn im Büro aufsuchte, sei er meist am Telefon gewesen – wobei es nie fast nie um Geschäftliches gegangen sei, sondern um Klatsch oder Golf. 

Auch als sie ihn einmal ins Mar-a-Lago-Resort in Florida begleitete, kam wenig dabei herum: Als sie Donald im Badeanzug gegenübertrat, habe er sie angestarrt, «als hätte er mich noch nie gesehen». Dann der Satz: «Du lieber Himmel, Mary, du hast ja einen richtigen Vorbau!»

Als sie schliesslich von dem ominösen Buchprojekt abgezogen wurde, sei ihr das ganz recht gewesen. 

Über die Folgen

Da Donald sich nie ausserhalb des goldenen Käfigs habe beweisen müssen, hätten sich seine krankhaften Persönlichkeitszüge nur noch verstärkt, diagnostiziert Mary L. Trump. Er habe das Märchen, das sein Vater in die Welt gesetzt hatte, um jeden Preis weiterzuführen müssen. Doch tief im Innern wisse er, dass er nicht der Schlauste, der Beste sei.

«Jedes Mal, wenn man Donald über etwas als das Tollste, Beste und Grösste, das Ungeheuerlichste sprechen hört (…), muss man sich vor Augen halten, dass der Mann, der da spricht, im Wesentlichen noch immer der gleiche kleine Junge ist, der so grosse Angst hat, er könnte, wie sein älterer Bruder, nicht genügen und aufgrund seiner Unzulänglichkeiten vernichtet werden.»

Bibliographie
zVg

Mary L. Trump: «Zu viel und nie genug: Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf». Heyne-Verlag, 288 Seiten, ca. 29.90 Franken.

Sie selbst zeigt sich schockiert darüber, dass ihr Onkel nie als Hochstapler entlarvt wurde – genau wie über die immense Zahl an Claqueuren, die sich um ihn scharen. «All das ist das Resultat davon, dass man Donald fortwährend alles hat durchgehen lassen und er nicht nur für seine Misserfolge, sondern auch für seine Verfehlungen belohnt wurde – gegen den Anstand, gegen das Gesetz und gegen seine Mitmenschen.»

Als die Familie nach seinem Wahlsieg ins Weisse Haus eingeladen worden sei, habe sie vor einem Gemälde der früheren First Lady Hillary Clinton innehalten müssen. «Wieder einmal ging mir die Frage durch den Kopf, wie es nur so weit hatte kommen können.» 

Das geht der geneigten Leserin, dem geneigten Leser, nach 288 Seiten nicht anders.

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