Perfider Plan So wurden die Pager der Hisbollah zur Explosion gebracht

Andreas Fischer

19.9.2024

Mehrere Tote: Neue Welle von Explosionen im Libanon, nun Handfunkgeräte betroffen

Mehrere Tote: Neue Welle von Explosionen im Libanon, nun Handfunkgeräte betroffen

Am Dienstag hatten ähnliche Explosionen Tausender Pager mindestens zwölf Menschen getötet und viele Hisbollah-Angehörige verletzt. Die Hisbollah-Miliz wird vom Iran unterstützt.

18.09.2024

Zuerst explodieren zeitgleich hunderte Pager der Hisbollah, tags drauf dann zahlreiche Funkgeräte. Hinter der perfiden Attacke steckt ein technisch anspruchsvoller Plan. 

Andreas Fischer

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Über 3'000 Verletzte, fast 40 Tote: Die Explosionen zahlreicher Kommunikationsgeräte löst im Libanon Entsetzen aus.
  • Dabei handelt es sich um einen der bemerkenswertesten Schläge gegen die Hisbollah-Miliz.
  • Die zwei im Abstand von rund einem Tag gezielt herbeigeführten Explosionswellen waren von sorgfältig und von langer Hand geplant.

Wer war es und wie haben die Angriffe funktioniert? Nachdem im Libanon am Dienstag hunderte Pager und tags drauf zahlreiche Funkgeräte der Schiiten­miliz Hisbollah in zwei Wellen nahezu gleichzeitig explodierten, wird allgemein angenommen, dass Israel hinter den Operationen steckt. Aber wer hat die Geräte manipuliert, wie und wo wurden die Sprengsätze eingebaut und wie wurden sie zur Explosion gebracht?

Sowohl die Hisbollah und ihr wichtigster Verbündeter Iran als auch die libanesische Regierung machen Israel für die koordinierten Angriffe verantwortlich. Offiziell hat sich die israelische Regierung bisher nicht geäussert. Doch: Ein technisch so anspruchsvoller Angriff trägt die Handschrift von Israels Geheimdiensten, die mehrfach ähnlich komplexe Attacken durchführten, um hochrangige Feinde zu töten.

Hintergründe weiterhin unklar

Die Attacken auf die Kommunikationsinfrastruktur der Hisbollah mit mehr als 3000 Verletzten und 40 Toten war besonders perfide geplant. Nachdem in der ersten Welle die Pager ausgeschaltet wurden, musste die Schiitenmiliz zwangsläufig auf Funkgeräte zurückgreifen – die dann allerdings auch explodierten.

Über die Hintergründe und Abläufe der Operation wird man entweder nie oder frühestens in vielen Jahren etwas erfahren. Sicher ist aber, dass sie sorgfältiger Planung bedurfte. Einige Details der orchestrierten Attacken sind bereits bekannt geworden.

Pager – altmodisch aber mit gewissen Vorzügen

  • So funktionieren Pager: Die kleinen Geräte sind so etwas wie ein Vorläufer des Handys. Die Grundidee: Wenn man mit jemandem sprechen will, pingt man den Pager der Person an. Diese sieht die Telefonnummer - oder eine kurze Nachricht - und kann zurückrufen oder entsprechend der Nachricht handeln.  Pager nutzen mittlerweile veraltete Funkstandards und sind nur Empfänger, der nicht in ein Netz eingeloggt ist.
  • Darum nutzt die Hisbollah Pager: Dass eine Miliz wie die Hisbollah in grossem Stil Pager verwendet, hat einen einfachen Grund. Anders als bei Handys oder Smartphones kann ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden. Alle Pager in einem Gebiet gleichzeitig zu aktivieren, ist unterdessen kein Problem.
  • Diese Hersteller sind involviert: Die explodierten Pager trugen das Logo der taiwanesischen Firma Gold Apollo. Das Unternehmen hat die Herstellung der betroffenen Geräte des Modells AR-924 bestritten. Dafür sei die Firma BAC Consulting KFT mit Sitz in Budapest verantwortlich, mit der es eine Vereinbarung zur Nutzung der Markenrechte gebe. Auch die ungarische Firma bestritt die Produktion.

Verzögerte Explosionen für grössere Verletzungen

Entgegen ersten Vermutungen, wonach die Batterien der betroffenen Pager koordiniert zur Explosion gebracht wurden, haben sich bereits als unhaltbar erwiesen. Fachleute schliessen aus der Wucht der Explosionen und der Art der Verletzungen, dass hochexplosiver Sprengstoff in den sabotierten Geräten platziert gewesen sein musste.

«Es muss nicht viel Sprengstoff sein, denn in der Nähe des menschlichen Körpers würde er schon bei wenigen Gramm Verletzungen verursachen», erklärte Alan Woodward, Professor für Cybersecurity at Surrey University gegenüber dem englischen «Guardian».

Die Pager waren wohl so programmiert, dass sie erst einige Sekunden nach dem Empfang der Trigger-Nachricht explodierten. Bis dahin piepsten sie, damit die Besitzer sie aus den Taschen nahmen. So lassen sich die besonders verheerenden Augenverletzungen vieler Menschen erklären.

In die Lieferkette eingegriffen

Die «New York Times» berichtete kurz nach der ersten Explosionswelle unter Berufung auf mehrere mit der Operation vertraute Quellen, dass die Pager physisch manipuliert wurden. Dabei sei eine geringe Menge hochexplosiver Sprengstoff, zwischen 25 und 50 Gramm, neben der Batterie in jedem Pager implantiert worden. Ausserdem ein Zünder, der mit einer speziellen Nachricht ausgelöst werden konnte.

Die Angreifer müssen also Zugang auf die Lieferkette der Geräte gehabt und über Insiderwissen verfügt haben. Das bedeutet: Die Operation war gepaart mit guter Aufklärungsarbeit sorgfältig und unter grösster Geheimhaltung geplant. Sicherheitskreisen zufolge stammten viele der Pager aus einer Lieferung, die erst kürzlich im Libanon eintraf. Laut Nachrichtenagentur Reuters seien die explodierten Funkgeräte etwa zur gleichen Zeit wie die Pager gekauft worden.

Sicherheitsexperte Nico Lange vermutet im Westdeutschen Rundfunk: «Man muss sehr gut verstehen, wie die Kommandostrukturen der Hisbollah funktionieren und muss erstmal darauf kommen, dass die diese Pager benutzen. Und dann muss man natürlich wissen, wo haben sie die bestellt, wann kommen die an? Und dann müssen die unbemerkt die Geräte präparieren. Das geht ja nicht nur aus der Ferne, dazu muss man ja physischen Zugang haben.»

Der Hisbollah gehen die Kommunikationsmittel aus

Dass die Hisbollah Pager benutzte, war allerdings hinreichend bekannt. Die Schiitenmiliz verwendet sie schon seit Jahren, weil sie schwieriger zu orten sind. Und erst Anfang des Jahres hatte Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah ein De-facto-Verbot für Mobiltelefone erlassen. Die Hisbollah-Kämpfer befürchten, über den Einsatz von Smartphones vom israelischen Militär oder Geheimdiensten geortet werden zu können und damit zum leichten Ziel zu werden.

Die Angriffe mit manipulierten Pagern und Funkgeräten haben die Hisbollah hart getroffen. «Sie können keine Handys benutzen. Sie können keine Pager benutzen. Sie können keine Funkgeräte benutzen», sagt Nigel Inkster, ehemaliger Direktor für Operationen und Aufklärung des britischen Geheimdienstes MI6, der «Washington Post». «Kurzfristig wird es für sie sehr, sehr schwierig sein, eine effektive Befehls- und Kontrollfunktion auszuüben.»

Nur einen Tag nach der Welle von Pager-Explosionen, musste die Feuerwehr in Beirut wieder ausrücken: Diesmal explodierten Funkgeräte der Hisbollah.
Nur einen Tag nach der Welle von Pager-Explosionen, musste die Feuerwehr in Beirut wieder ausrücken: Diesmal explodierten Funkgeräte der Hisbollah.
KEYSTONE/AP Photo/Mohammed Zaatari