Der Libanon schwört Vergeltung Explodierende Pager töten mindestens elf Menschen – wie es dazu kommen konnte

Samuel Walder

18.9.2024

Explodierende Pager töten mindestens elf Menschen – wie es dazu kommen konnte

Explodierende Pager töten mindestens elf Menschen – wie es dazu kommen konnte

18.09.2024

Hunderte Pager von Hisbollah-Mitgliedern explodierten am Dienstag gleichzeitig, töteten elf Menschen und verletzten Tausende. Israelische Agenten sollen den Sprengstoff in den Geräten platziert haben.

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im Libanon explodierten Hunderte Pager von Hisbollah-Mitgliedern, was elf Menschen tötete und mindestens 2700 verletzte; auch in Syrien gab es Verletzte.
  • Israelische Agenten sollen die Pager mit Sprengstoff präpariert haben, um das Kommando- und Kontrollsystem der Hisbollah zu stören.
  • Der Libanon verurteilte den Angriff als «kriminelle israelische Aggression», während die USA angaben, nichts von der Operation gewusst zu haben.

Am Dienstag explodierten Hunderte von Pagern, die von Hisbollah-Mitgliedern im Libanon getragen wurden, gleichzeitig. Das passierte einen Tag, nachdem israelische Beamte erklärt hatten, sie seien bereit, ihre Angriffe gegen die vom Iran unterstützte Miliz zu verstärken. 

Wie die «New York Times»schreibt, explodierten die Pager auf Gehwegen und in Lebensmittelgeschäften, an Häusern und in Autos. Die Explosionen töteten elf Menschen und mindestens 2700 Personen wurden beim Anschlag verletzt. 

Zeugen berichteten von Rauch, der aus Hosentaschen aufstieg, gefolgt von lauten Explosionen. Laut Hisbollah starben mindestens acht ihrer Kämpfer. Gesundheitsminister Firass Abiad bestätigte den Tod eines achtjährigen Mädchens. Viele Opfer erlitten schwere Verstümmelungen an Händen und Augen. Das Gesundheitsministerium versetzte die Krankenhäuser in «höchste Alarmbereitschaft» und forderte die Bürger auf, ihre Pager wegzuwerfen.

Die Hisbollah verwenden seit Jahren Pager

Es ist keine Seltenheit, dass die Hisbollah auf diese Art kommunizierten. Sie verwenden seit Jahren Pager, um das Abfangen von Nachrichten durch Gegner zu erschweren.

Recherchen der «New York Times» zeigen, wie es zur Explosion der Pager kam: Am Dienstag, um 15.30 Uhr empfing die Pager eine Nachricht, die nach Angaben von zwei Zeugen so aussah, als käme sie von der Hisbollah-Führung. Die Pager piepten mehrere Sekunden lang, bevor sie explodierten.

Nach Angaben amerikanischer und anderer Beamter, die über den Anschlag informiert waren, versteckten israelische Agenten zuvor 25 bis 50 Gramm Sprengstoff in den Pager. Diese stammten aus einer Lieferung in Taiwan, wo sie hergestellt wurden. Über 3000 Pager wurden bei Gold Apollo bestellt, sagten die Beamten. Die Hisbollah verteilte die Pager an ihre Mitglieder im gesamten Libanon, wobei einige auch die Verbündeten der Gruppe im Iran und in Syrien erreichten, so die Beamten.

Taiwan weist Verbindung zu Pagern von sich

Wie die Nachrichtenagentur SDA schreibt, die in Taiwan ansässige Marke jener sogenannten Pager weise eine Verbindung zu dem Vorfall von sich ab. Wie der Vorstand von Gold Apollo, Hsu Ching-Kuang, in Neu-Taipeh sagte, trugen die Geräte lediglich das Logo der Firma und wurden nicht seinem Unternehmen in Taiwan gefertigt.

Auf telefonische Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur erklärte Gold Apollo, dass eine in Ungarn ansässige Firma die Funkgeräte entworfen und gefertigt habe. «Gemäss einer Vereinbarung ermächtigen wir BAC, unser Markenzeichen für den Verkauf von Produkten in bestimmten Regionen zu nutzen, aber Design und Herstellung werden vollständig von BAC übernommen», teilte Gold Apollo ausserdem mit.

In Syrien mindestens 14 Menschen verletzt

Die Pager im Libanon waren nur Stunden nach einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts detoniert. Gemäss den Angaben der in Grossbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, sollen in Syrien mindestens 14 Menschen durch die Explosionen der Pager verletzt worden sein.

Der geschäftsführende Ministerpräsident des Libanon, Najib Mikati, verurteilte das, was er als «kriminelle israelische Aggression» bezeichnete, und nannte es eine «schwere Verletzung der libanesischen Souveränität».

US-Regierung wusste nichts vom Anschlag

Nach Informationen des US-Nachrichtenportals «Axios» legten die Explosionen auch einen wesentlichen Teil des militärischen Kommando- und Kontrollsystems der Hisbollah lahm. Der von Israel ausgeführte Angriff habe darauf abgezielt, die Miliz zu verunsichern und in ihren Reihen das Gefühl zu erwecken, sie sei vollständig von israelischen Geheimdiensten durchdrungen, zitierte «Axios» eine nicht näher beschriebene Quelle.

Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, waren laut einem Sprecher des US-Aussenministeriums nicht beteiligt und wussten demnach auch nicht im Voraus von einer solchen Aktion.

Israels Armee und Geheimdienste bekannten sich zwar nicht zu den Explosionen, wurden von der Hisbollah und ihrem wichtigsten Unterstützer Iran aber umgehend als Drahtzieher beschuldigt. Israels Armee deutete an, sich auf eine Vergeltung vorzubereiten.

Wie es zu einer Explosion der Pager kam, ist bis dato unklar. 

Eine diplomatische Lösung scheint weit entfernt zu sein

Die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung im Konflikt mit der Hisbollah rücke immer weiter in die Ferne, weil die Miliz ihr Schicksal mit dem der Hamas im Gazastreifen verbunden habe und sich weigere, den Konflikt zu beenden.

Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr kommt es im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon fast täglich zu Konfrontationen zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär. Auf beiden Seiten gab es infolge des gegenseitigen Beschusses Tote – die meisten von ihnen waren Mitglieder der Hisbollah. Rund 60'000 Israelis mussten ihre Häuser und Wohnungen im Norden Israels verlassen. Auch aus dem südlichen Libanon sind Tausende Menschen in andere Landesteile geflohen.