Seit 30 Jahren an der Macht Lukaschenko zeigt sich skrupellos und moskautreu

AP/tcar

19.7.2024 - 23:46

Seit 30 Jahren ist in Belarus der als letzter Diktator Europas bezeichnete Alexander Lukaschenko schon an der Macht. (Arrchivbild)
Seit 30 Jahren ist in Belarus der als letzter Diktator Europas bezeichnete Alexander Lukaschenko schon an der Macht. (Arrchivbild)
Bild: dpa

Er sichert sich seine Herrschaft durch den Schulterschluss mit Russland und durch Unterdrückung jeglicher Opposition. Drei Jahrzehnte nach seinem Amtsantritt sitzt der belarussische Staatschef Lukaschenko weiter fest im Sattel.

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  • Seit 30 Jahren ist in Belarus Alexander Lukaschenko schon an der Macht.
  • Schon früh in seiner Amtszeit wurde der heute 69-jährige Lukaschenko als «Europas letzter Diktator» bezeichnet.
  • Nun hat er angekündigt, im kommenden Jahr für eine siebte fünfjährige Amtszeit kandidieren zu wollen.

In den vergangenen drei Jahrzehnten sind Staats- und Regierungschefs in Europa zu Dutzenden gekommen und gegangen. Doch Alexander Lukaschenko hält sich in Belarus weiter hartnäckig an der Macht. Gründe dafür sind sein hartes Vorgehen gegen Kritiker, die Kontrolle der Wirtschaft und andere Methoden wie aus der Sowjetzeit sowie sein Kuschelkurs mit Russland.

Schon früh in seiner Amtszeit wurde der heute 69-jährige Lukaschenko als «Europas letzter Diktator» bezeichnet. Und diesem Namen ist er gerecht geworden. Am (morgigen) Samstag ist er 30 Jahre an der Macht – als einer der am längsten herrschenden und skrupellosesten Staatschefs weltweit. Als Oberhaupt des Landes zwischen Russland, der Ukraine und den Nato-Staaten Polen, Lettland und Litauen wurde er 2020 für eine sechste Amtszeit wiedergewählt. Kritiker im Inland und westliche Regierungen halten das Ergebnis für gefälscht.

Nach der Wahl folgten monatelange Massenproteste gegen Lukaschenko, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Zehntausende wurden festgenommen. Viele Oppositionelle sind immer noch in Haft oder aus dem 9,5-Millionen-Einwohner-Land geflohen. Die folgenden westlichen Sanktionen und die Isolation nahm Lukaschenko gelassen hin. Nun hat er angekündigt, im kommenden Jahr für eine siebte fünfjährige Amtszeit kandidieren zu wollen.

Seine politische Langlebigkeit verdankt er einem Mix aus Tücke, Brutalität und loyaler politischer und wirtschaftlicher Unterstützung durch seinen wichtigsten Verbündeten Russland. Zuletzt gestattete er Moskau die Nutzung von belarussischem Territorium für den Einmarsch in die Ukraine. Später stimmte er der Stationierung taktischer russischer Atomwaffen in Belarus zu.

«Lukaschenko hat Russland in ein Bruchstück der UdSSR verwandelt, das nicht nur für die eigenen Staatsbürger gefährlich ist, sondern auch seine westlichen Nachbarn mit Atomwaffen bedroht», sagt der unabhängige Politikexperte Waleri Karbalewitsch. Er beschreibt den belarussischen Machthaber als «einen der erfahrensten post-sowjetischen Politiker, der gelernt hat, sowohl mit der Stimmung des Kreml als auch mit den Ängsten der eigenen Bevölkerung zu spielen.»

Erstmals wurde der ehemalige Direktor einer Sowchose im Juli 1994 gewählt, nur zweieinhalb Jahre nach der Unabhängigkeit von Belarus im Anschluss an den Zerfall der Sowjetunion. Er versprach, Korruption zu bekämpfen und den Lebensstandard wieder anzuheben, der infolge chaotischer Reformen eingebrochen war. Als Bewunderer der Sowjetunion stärkte er rasch die Beziehungen zu Russland.

Unter Lukaschenko behielt der belarussische Geheimdienst KGB seinen Namen aus der Sowjetzeit. Belarus ist auch das einzige Land in Europa, in dem noch die Todesstrafe vollstreckt wird. In den Jahren 1999 und 2000 verschwanden vier prominente Kritiker des Staatschefs. Eine Untersuchung des Europarats kam zu den Schluss, dass sie entführt und von Todesschwadronen mit engen Kontakten zur Staatsführung getötet wurden. Europäische Forderungen, die mutmasslichen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, ignorierten die Behörden.

Bezeichnet sich selbst als Diktator

«Lukaschenko hat sich nie um seinen Ruf geschert», sagt Anatoli Lebedko, Chef der inzwischen verbotenen Vereinigten Bürgerpartei von Belarus. «Er gefällt sich darin, sich selbst als Diktator zu bezeichnen, und brüstet sich damit, ein Paria zu sein, selbst als ihm öffentlich politische Tötungen und andere Verbrechen vorgeworfen wurden.»

Mit Verfassungsänderungen brachte der Präsident das Parlament unter seine Kontrolle, hob Begrenzungen seiner Amtszeit auf und dehnte seine Macht durch Wahlen aus, die der Westen nicht als frei oder fair anerkannte. Proteste nach den Abstimmungen wurden rasch von der Polizei aufgelöst, und die Organisatoren kamen ins Gefängnis.

Seine Planwirtschaft nach sowjetischem Stil ist stark von russischen Subventionen abhängig. «Anstatt Belarus zu helfen, sind billiges russisches Öl und Gas zu seinem Fluch geworden, der es Lukaschenko ermöglicht, unverhoffte Gewinne aus Ölexporten nach Europa zu machen und die Situation in Belarus einzufrieren», sagt Alexander Milinkewitsch, der bei der Wahl 2006 gegen Lukaschenko angetreten war.

Tausende in Polizeigewahrsam verprügelt

Zugleich versuchte der belarussische Präsident immer wieder, durch die Lockerung von Repressionen den Westen zu besänftigen. Vor der Wahl 2020 hatten die EU und die USA einige Sanktionen aufgehoben, nachdem Belarus politische Gefangene freigelassen hatte. Der Drahtseilakt endete nach der Abstimmung, die die grössten Proteste in der Geschichte des Landes nach sich zog. In der Folge wurden mehr als 35'000 Menschen festgenommen, Tausende in Polizeigewahrsam verprügelt und Hunderte unabhängige Medienunternehmen sowie Nichtregierungsorganisationen geschlossen und verboten.

Swetlana Tichanowskaja, die Lukaschenko bei der Abstimmung herausgefordert hatte und anschliessend ins Exil flüchtete, sagt, die Wahl habe endgültig gezeigt, dass der Staatschef die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung verloren habe. «Lukaschenko hat vor allem wegen Russland überlebt, das ihm auf dem Höhepunkt der Proteste Informationen, finanzielle und sogar militärische Unterstützung angeboten hat», erklärt sie.

Swetlana Tichanowskaja, Oppositionspolitikerin aus Belarus.
Swetlana Tichanowskaja, Oppositionspolitikerin aus Belarus.
Bild: Keystone

Nach Angaben der führenden belarussischen Menschenrechtsgruppe Wjasna gibt es landesweit etwa 1400 politische Gefangene. Unter ihnen ist der Gründer der Organisation und Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki, die wie andere Oppositionelle in Isolationshaft sitzt.

Lukaschenko wirkt seit einigen Jahren sichtbar weniger vital als früher, weist Gerüchte über gesundheitliche Probleme aber zurück. «Ich werde nicht sterben», sagte er im vergangenen Jahr. «Ich werdet mich noch ziemlich lange ertragen müssen.»

AP/tcar