Schlacht um den Donbass Selenskyjs Waffen-Wunschliste stellt den Westen auf die Probe

Von Philipp Dahm

14.6.2022

Sjewjerodonezk von Aussenwelt abgeschnitten – Letzte Brücke zerstört

Sjewjerodonezk von Aussenwelt abgeschnitten – Letzte Brücke zerstört

VIDEO SHOWS: STORY: Die seit Wochen umkämpfte Stadt Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine ist nach der Zerstörung der dritten und letzten Brücke über den Fluss Siwerskyj Donezk nahezu vollständig von russischen Truppen eingekreist. Auf Satellitenbildern, die am Samstag aufgenommen wurden, ist die zerstörte Brücke deutlich zu sehen. Es sei nun völlig unmöglich, in die Stadt zu fahren oder etwas in die Stadt zu liefern, sagte am Montag der Gouverneur der Stadt Serhiy Gaidai. Auch eine Evakuierung sei unmöglich. Nur das ukrainische Militär habe noch einen begrenzten Zugang zur Stadt. Laut Gouverneur Gaidai hätten die ukrainischen Truppen die Möglichkeit Verwundete in Krankenhäuser zu bringen, obwohl 70 Prozent der Stadt von Russland kontrolliert würden. Der Kampf um Sjewjerodonezk ist mit entscheidend über die Herrschaft über den Donbass im Osten des Landes. Auch die hier zu sehende Stadt Bakhmut wurde heftig umkämpft.

14.06.2022

1000 Artilleriegeschütze, 2000 gepanzerte Fahrzeuge und mehr: Während die Materialschlacht um den Donbass tobt, hat Kiew eine Liste der benötigten Waffen veröffentlicht.

Von Philipp Dahm

Die schweren Kämpfe um Sjewjerodonezk halten an. Die russische Armee hat angeblich die letzte Brücke zerstört, die westlich über den Siwerskyj Donez zur benachbarten Grossstadt Lyssytschansk führt, die ebenfalls unter Beschuss ist. Die ukrainischen Verteidiger haben zuletzt eingeräumt, 70 Prozent von Sjewjerodonezk seien von den Angreifern erobert worden.

Im aktuellen Zermürbungskrieg setzen nun beide Seiten auf den Einsatz schwerer Artillerie. Der Ukraine geht auf der einen Seite die Munition für die älteren Geschütze sowjetisch-russischer Bauart aus, während Moskau mittlerweile sein grosses Arsenal an Haubitzen ausspielt und die Verteidiger permanent unter Feuer nimmt.

Andererseits hat die ukrainische Armee mittlerweile die Artillerie im Einsatz, die der Westen zusammen mit entsprechender Munition geliefert hat. Und diese Unterstützung zeigt Wirkung: Ein Video der Streitkräfte auf Facebook zeigt erst, wie russische Raketenwerfer bei Sjewjerodonezk vom Typ BM-21 Grad aufgeklärt und dann angeblich von M777-Artilleriegeschossen zerstört werden.

Doch der Zermürbungskrieg ist keine Einbahnstrasse: Auf der Gegenseite veröffentlicht das russische Verteidigungsministerium ein Drohnen-Video, das die Zerstörung einer amerikanischen Panzerhaubitze vom Typ M-109 Paladin zeigt, die angeblich von Norwegen geliefert worden ist.

Kiews umfangreiche Wunschliste

Die M-109 ist demnach am 7. Juni von Streumunition getroffen worden, die eine BM-27 Uragan abgefeuert hatte: Die Ungetüme verschiessen Raketen mit einem Durchmesser von 220 Millimeter. Nun folgen prompt Drohnen-Aufnahmen der ukrainischen Armee, die wiederum mehrere brennende Uragan zeigen, die angeblich von der Triple 7-Artillerie made in USA ausgeschaltet worden sind.

Vor dem Hintergrund solcher Materialschlachten fürchtet Kiew, dass der Kampf um den Donbass ohne westliche Waffenhilfe verloren geht, berichtet das «Wall Street Journal»: Nach wie vor kämen auf ein ukrainisches Artilleriegeschütz 10 bis 20 russische Gegenstücke. Da ist die neue, umfangreiche Waffen-Wunschliste folgerichtig, die Wolodymyr Selenskyj an den Westen richtet.

Die Liste, die am 15. Juni mit der Nato in Brüssel besprochen werden soll, beinhaltet 1000 Artilleriegeschütze, 300 Mehrfach-Raketenwerfer, 500 Panzer, 2000 gepanzerte Fahrzeuge und 1000 Drohnen. Während der Westen genug Panzer im Arsenal hätte, würden die 1000 Artillerie-Geschütze dem entsprechen, was die USA noch auf Lager haben.

Was die USA im Arsenal haben

Laut «Guardian» verfügt die US Army über zusätzliche 518 M777, die US Marines noch über 481 der Geschütze. Bei den Mehrfach-Raketenwerfern sieht die Lage etwas besser aus: Die US Army könnte aus 363 HIMARS und 225 M270 MLRS auswählen, die im Arsenal stehen. Verteidigungsminister Lloyd Austin hat bereits signalisiert, Kiew weiter helfen zu wollen.

«Die Vereinigten Staaten sind bereit, alles zu tun, um der Ukraine zum Erfolg zu verhelfen», wird der Amerikaner zitiert, als er am 13. Juni in Thailand auf die ukrainischen Forderungen angesprochen wird. Austin betont aber gleichzeitig, dass auch andere Länder helfen können und sollen.

Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Bemühungen von Privatleuten: Der litauische Journalist Andrius Tapinas verkündet gerade, für 1,5 Millionen gespendete Euro 110 Anti-Drohnen-Gewehre gekauft zu haben, die den ukrainischen Streitkräften übergeben werden sollen.

Und was ist mit den Russen? Natürlich erleiden auch sie Verluste: Die letzte offizielle Zahl aus Moskau stammt vom 25. März: 1351 Soldaten waren demnach damals kampfunfähig. Westliche Geheimdienste gehen von circa 20'000 Toten und Verletzten aus. Die Ukraine selbst will 32'500 russische Soldaten ausser Gefecht gesetzt haben.