Aktivistin in Lützerath «Schon 50 Leute mussten verarztet werden»

Von Gabriela Beck

12.1.2023

Sturm macht Lützerath-Aktivisten zu schaffen

Sturm macht Lützerath-Aktivisten zu schaffen

Erkelenz, 12.01.23: Die Polizei hat die Räumung des von Aktivisten besetzten Braunkohleortes Lützerath fortgesetzt. Die Räumung hatte am Vortag begonnen, ein Grossaufgebot der Polizei ist im Einsatz. Die Siedlung soll abgerissen werden, um die darunter befindlichen Kohlevorkommen fördern zu können. Klimaaktivisten wollen dies verhindern. Das schlechte Wetter machte den verbliebenen Aktivisten zu schaffen: Es herrschte Dauerregen und starker Wind. «Wir hoffen, dass der Sturm nicht noch stärker wird», sagte eine Sprecherin der Initiative «Lützerath lebt» am Donnerstagmorgen. Die Situation sei etwa für die Menschen in den Baumhäusern gefährlich. «Im Normalfall kommen sie bei Sturm runter», sagte sie. In den Baumhäusern und in besetzten Gebäuden harren weiterhin Klimaaktivistinnen und Aktivisten aus. Wie viele es sind, ist unklar. Die Sprecherin machte dazu keine Angaben. Die Ortschaft im Rheinischen Revier ist inzwischen komplett von einem Doppelzaun umgeben. Der Zaun sei fast fertig, nur die Tore fehlten noch, sagte ein Sprecher des Energiekonzerns RWE am Donnerstagmorgen. Die Tore sollten im Laufe des Tages eingehangen werden.

12.01.2023

Gestern haben Polizeikräfte mit der Räumung des deutschen Braunkohleorts Lützerath begonnen. Klimaaktivistin Dina Hamid erläutert blue News, wie sie die Aktion vor Ort erlebt.

Von Gabriela Beck

Die deutsche Polizei hat am Donnerstagmorgen die Räumung des von Aktivisten besetzten Braunkohleorts Lützerath nordwestlich von Köln fortgesetzt.

Der Weiler gehört dem Energiekonzern RWE, die einstigen Bewohner*innen haben den Ort schon vor Jahren verlassen und wurden ausbezahlt. Der Energieriese will die Braunkohlevorkommen unter Lützerath ausbeuten. Im Gegenzug wird der Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen um acht Jahre auf 2030 vorgezogen – so der Deal mit der Regierung.

Das Vorhaben ist höchst umstritten. Nicht nur Klimaaktivisten halten die Räumung und die nachfolgende Förderung für inakzeptabel. Rund 300 Protestierende haben sich in dem Ort einquartiert – in Gebäuden, Baumhäusern, oder auf Tripods und in Zelten.

Dina Hamid ist eine von ihnen und vor Ort. Im Interview mit blue News berichtet sie über die Lage und das Anliegen der Klimaaktivisten:

Dina Hamid
08.01.2023, Nordrhein-Westfalen, Erkelenz: Dina Hamid, Sprecherin der Initiative Lützerath spricht während einer Pressekonferenz. Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Henning Kaiser)
Foto: Henning Kaiser/KEYSTONE

Dina Hamid, Klimaaktivistin und Sprecherin der Initiative «Lützerath lebt», wohnt seit über zwei Jahren in dem Braunkohleort.

Seit dem Jahr 2020 haben sich Mitglieder der Initiative «Lützerath lebt» im leerstehenden Dorf angesiedelt. Was ist euer Anliegen?

Wir kämpfen in Lützerath darum, dass die Kohle im Boden bleibt. Es geht uns dabei um jegliche Art von Kohleabbau angesichts der dringend notwendigen Reduzierung der CO2-Emissionen, die beim Kohleabbau entstehen. Erst in zweiter Linie geht es um das Dorf konkret.

In den Medien fällt immer wieder der Begriff von Lützerath als Symbol der Klimabewegung. Wie findest du das?

Ich finde das Narrativ, Lützerath sei eine «Symbolaktion», frech. Es geht nicht um Symbole, sondern um akutes Leiden von Menschen wie bei der Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal. Zuerst aber leiden Menschen im Globalen Süden unter den Emissionen. Die Klimakrise ist eine rassistische Krise. Wir rasen gerade global auf diverse Klimakipppunkte zu und die Regierung tut so, als könnte man noch weiter dreckige Energieträger nutzen. Lützerath als grösste CO2-Quelle Europas spielt da eine entscheidende Rolle.

Wo befindest du dich gerade und wie ist die Lage vor Ort?

Ich befinde mich hier in unserer Küche in einem Haus in Lützerath, das von 20 Leuten bewohnt wird. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich Polizisten, die dabei sind, die Versorgungseinrichtungen im Ort zu räumen. Gestern waren sie auch bei uns in der Küche. Der Polizeieinsatz in Lützerath hat ja schon vor zehn Tagen begonnen. Das Eingangstor, die Tripods und Zelte wurden bereits abgerissen. Gestern war der offizielle Start der Ortsräumung.

Hochkletterer der Polizei erreichen mit Kränen die Baumhäuser der Aktivisten im Dorf Lützerath.
Hochkletterer der Polizei erreichen mit Kränen die Baumhäuser der Aktivisten im Dorf Lützerath.
RONALD WITTEK/KEYSTONE

Wie geht die Polizei dabei vor?

Recht rabiat – mit Schlägen, Tritten und Pfefferspray. Ich habe selber gesehen, wie unsere Sanitäter – also Leute aus unseren Reihen, deren Aufgabe es ist, sich um Verletzte zu kümmern – blutige Nasen und vom Pfeffer gereizte Augen verarztet haben. Krass finde ich, dass die Polizei diese Helfer als Erste aus dem Ort gewiesen hat. Die Polizei würde wahrscheinlich behaupten, dass sie selber Sanitäter dabeihaben, aber …

Wie ist die Stimmung im Ort?

Viele Leute erleben den Polizeieinsatz als erschreckenden Angriff auf unser Dorf. Das Ausmass an Gewalt steht in keinem Verhältnis zum Verhalten der Bewohner. Seit gestern mussten schon an die 50 Leute von unseren Sanitätern behandelt werden.

Polizisten betreten beim Räumen eines der sieben besetzten Häuser.
Polizisten betreten beim Räumen eines der sieben besetzten Häuser.
RONALD WITTEK/KEYSTONE

Wie geht es weiter?

Für Samstag ist eine Gross-Demo geplant. Wir erwarten Greta Thunberg und 20'000 Mitstreiter*innen. Das wird uns neue Kraft geben und sicherlich auch Unterstützung in Form von Spenden. Mit der Aktion wollen wir aufzeigen, dass der Abbau der Braunkohlevorkommen unter dem Dorf für die meisten Leute nicht okay ist. In allererster Linie wollen wir aber ein Zeichen setzen, dass die diversen Gruppierungen der Klimabewegung zusammenhalten.

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