ETH-Experte über Anschlagsserie «Russlands Luftabwehr ist überfordert»

Von Gil Bieler

30.8.2023

Die nächtliche Angriffswelle mit Drohnen wirft für den ETH-Experten Marcel Berni kein gutes Licht auf Russland: «Die russische Luftabwehr ist häufig überfordert und kann nur vereinzelt Drohnen abschiessen.»

Von Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In der Nacht zum Mittwoch hat sich eine ganze Serie von Drohnenschlägen auf russische Städte und Regionen ereignet.
  • Der Flughafen der Stadt Pskow musste wegen eines Grossbrands in der Folge geschlossen werden.
  • Die Ukraine setze Drohnen mittlerweile sehr geschickt ein, sagt der ETH-Strategieexperte Marcel Berni auf Anfrage von blue News.
  • Auf der anderen Seite zeige sich nun, «dass es Russland versäumt hat, sich auf weitreichende ukrainische Drohnenangriffe vorzubereiten.»

Drohnenangriffe in Moskau. In Pskow. In Brjansk. In Rjasan. An anderen Orten in Russland. Und auf der russisch besetzten Krim. 

Eine ganze Serie von Drohnenschlägen hat in der Nacht auf Mittwoch auf russische Städte und Regionen erschüttert. Auch wenn grössere Schäden ausblieben, mit Ausnahme eines Brandes am Flughafen von Pskow: Eine solch beispiellose Serie musste Kreml-Chef Wladimir Putin seit seinem Einmarsch in die Ukraine in der Heimat noch nie hinnehmen. 

Die ukrainische Regierung übernimmt offiziell keine Verantwortung für die Drohnenangriffe, doch für Marcel Berni, Strategieexperte der ETH Zürich, ist der Fall klar: Er wäre «sehr überrascht», wenn jemand anderes als ukrainische Akteure oder Russen, die mit Kiew sympathisieren, hinter diesen Aktionen stünden. 

Zur Person
zVg

Marcel Berni studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Ökologie an der Universität Bern. Seit 2014 forscht und lehrt er an der Dozentur Strategische Studien der Militärakademie an der ETH Zürich.

Auf die russischen Behörden werfen die Anschläge kein gutes Licht, sagt der Militärstratege auf Anfrage von blue News. «Es zeigt sich nun, dass es Russland versäumt hat, sich auf weitreichende ukrainische Drohnenangriffe vorzubereiten. Die russische Luftabwehr ist häufig überfordert und kann nur vereinzelt Drohnen abschiessen.» Alle strategischen Ziele zu schützen, sei den Russen schlicht unmöglich. 

Am besten eignen sich Drohnen für den Angriff auf statische Ziele, wie beispielsweise Gebäude. «Die Ukraine hat es in den letzten Monaten verstanden, die neue Drohnentechnik sehr geschickt auf dem Schlachtfeld einzusetzen, insbesondere, um Ziele hinter den gegnerischen Linien mit Kamikaze- oder Amokdrohnen zu treffen», analysiert Berni.

Können ukrainische Drohnen bis nach Moskau fliegen?

Den Ukrainern sei es in Experimenten gelungen, billige Drohnen umzufunktionieren, «um Granaten oder andere Munition abwerfen zu können», so Berni. Ausserdem hätten die ukrainischen Truppen die Reichweite ihrer Drohnen im letzten Jahr signifikant steigern können.

Moskau liegt rund 450 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. In der Nacht auf Mittwoch wurde auch im Umland der russischen Hauptstadt gemeldet, dass Drohnen abgewehrt werden mussten. Können die unbemannten Flugobjekte der Ukraine tatsächlich so weit fliegen?

Ja, sagt David Cenciotti, der Betreiber des Blogs «Aviationist»: Die Präventivangriffe der letzten Jahre würden beweisen, dass die Ukraine in der Lage sei, «solche Langstreckenangriffe von ukrainischem Territorium aus zu starten», sage Cenciotti der BBC. Und auch Steve Wright, Drohnen-Spezialist der University of the West of England, glaubt: Theoretisch könnten ukrainische Drohnen sogar den Kreml treffen. 

Im Februar stürze eine Drohne vom Typ UJ-22 – eine ukrainische Eigenkonstruktion – rund 100 Kilometer von Moskau entfernt ab. Laut dem BBC-Bericht hat dieser Drohnentyp eine Reichweite von 800 Kilometern, wenn er autonom fliegt. Werde die Drohne direkt von einem Menschen ferngesteuert, verkürze sich diese Distanz aber merklich. 

Beide Seiten setzen auf Drohnen

Nicht vergessen gehen darf, dass auch Russland auf Drohnen setzt – und damit immer wieder Erfolge erzielt. Die ukrainischen Behörden meldeten, dass bei Angriffen in der Nacht auf Mittwoch mindestens fünf Zivilpersonen getötet worden seien, zwei davon in der Hauptstadt Kiew. Dabei kamen nebst Marschflugkörpern auch Drohnen zum Einsatz. 

Drohnen würden von beiden Kriegsparteien primär für drei Ziele eingesetzt, erklärt ETH-Experte Marcel Berni: erstens als Aufklärungsdrohnen zur Entdeckung und Überwachung von gegnerischen Einheiten, Stützpunkten und Truppenverschiebungen. «Zweitens als Kampfdrohnen, um gegnerische Ziele direkt aus der Luft anzugreifen.» Und drittens, um bodengestütztes Artilleriefeuer auf gegnerische Ziele zu leiten, die aus der Luft aufgeklärt und lokalisiert würden.

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