Lagebild UkrainePutins teuer erkaufter Erfolg bei Awdijwka
Von Philipp Dahm
31.10.2023
Schoigu nennt Bedingung für Friedensgespräche mit Kiew
Die Regierung in Moskau ist nach den Worten des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu unter bestimmten Bedingungen zu Gesprächen über eine Beilegung der Ukraine-Krise bereit. Die westlichen Staaten müssten aufhören, Russlands strategische Niederlage anzustreben, sagte Schoigu auf einem Militärforum in China. Die Voraussetzungen für solche Gespräche seien daher noch nicht gegeben.
31.10.2023
Russland hat bei Awdijwka weiter extrem hohe Verluste zu beklagen, doch der Kreml schiebt unbeirrt Mensch und Material nach – und kommt damit sogar durch.
Von Philipp Dahm
31.10.2023, 17:02
31.10.2023, 17:03
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
20 Monate nach seinem Beginn hinterlässt der Krieg nicht nur bei den westlichen Alliierten, sondern auch bei dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Spuren.
US-Präsident Joe Biden koppelt nun die Hilfsgelder für die Ukraine and jene von Israel und Mexiko, um diese im Kongress durchzukriegen.
In der Schlacht um Awdijwka setzt Kiew auf westliche Waffen. Videos zeigen schwerste Kämpfe und derbe russische Verluste.
Die Russen haben bei Awdijwka dennoch Fortschritte gemacht und könnten bald den letzten Nachschubweg in die Stadt kappen.
Wohl wegen ukrainischer Erfolge am östlichen Dnjepr-Ufer hat Moskau den verantwortlichen Militär des Gebiets ausgetauscht.
Kiews Kräfte haben westlich von Robotyne an Boden gewonnen.
«Niemand glaubt so sehr an unseren Sieg, wie ich es tue», sagt Wolodymyr Selenskyj im «Time»-Interview. Und der ukrainische Präsident muss dieser Tage viel Überzeugungsarbeit leisten – und das «nimmt dir all deine Power, deine Energie. Es nimmt so viel von allem».
20 Monate nach Kriegsbeginn bleiben rund 20 Prozent des Landes besetzt. «Das Beängstigende ist, dass Teile der Welt sich an den Krieg in der Ukraine gewöhnt haben», räumt der 45-Jährige ein. Der Konflikt sei für diese Leute wie eine Show: «Ich kann mir diese Wiederholung nicht zum zehnten Mal ansehen», denken sie laut Selenskyj.
Unfortunately I think this is probably true. While the lack of Western equipment undoubtedly played a part, the extraordinarily dense Russian minefields and fortifications seem to have been underestimated. The odds of a stalemated war are significantly higher now. https://t.co/K3LQH38ynV
Der Präsident hat sich verändert, sagen seine Mitarbeiter. Früher hat sich der frühere Schauspieler in den Sitzungen noch einen Scherz erlaubt und Optimismus gezeigt. «Jetzt kommt er rein, bekommt Updates, gibt Anweisungen und geht raus.» Er mache sich selbst etwas vor, glaubt die Quelle. «Uns gehen die Optionen aus. Wir gewinnen nicht. Aber versuchen Sie mal, ihm das zu erzählen.»
Biden trickst bei der Ukraine-Hilfe
Dass sich der Wind auf dem internationalen Parkett gedreht hat, zeigt sich in Washington. Joe Biden will vom Repräsentantenhaus zwar Geld für die Ukraine, doch inzwischen muss er sie mit anderen Themen verknüpfen, um die Chance zu steigern, sie genehmigen zu lassen. Die US-Politiker müssen deshalb ein 105-Milliarden-Paket absegnen, das 61 Milliarden für Kiew und den restlichen Betrag für Israel und für die Grenze zu Mexiko vorsieht.
Russian helicopters left Berdyansk airport in southern Ukraine after Ukrainian forces struck the site with ATACMS earlier this month. pic.twitter.com/Aj1y5cYlAm
Was westliche Waffen bewirken können, hat die ukrainische Armee mit ihren ersten ATACMS-Angriffen bewiesen: Der Gegner hat die Flughäfen in Luhansk und Berdjansk geräumt (siehe obigen Post), nachdem neun Helikopter zerstört und 15 beschädigt worden sein sollen. Russland reagiert auf Kiews neue Langstreckenwaffe: Die Kampfhelikopter des Kreml sind ins Hinterland verlegt worden und werden nun statt 25 Minuten rund eine Stunde brauchen, bis sie an der Front eintreffen.
🇷🇺🔥 A German Leopard 2A6 tank was destroyed in the Avdiivka direction, which had just been transferred to strengthen the Armed Forces of Ukraine.
Here's the reaction from the boys😅. They just won about $50,000 from the Russian government as promised. pic.twitter.com/X6aBSLSH4V
Westliche Waffen sind es auch, die Awdijwka stabilisieren: Bradley-Schützenpanzer und Leopard-Kampfpanzer sind an die Front verlegt worden und halten die Russen auf, die weiterhin ungerührt Mensch und Material nachschieben, um die Stadt einzukesseln. Im obigen Post ist zu sehen, wie eine russische Drohne heute in dem Gebiet einen Leopard 2A6 getroffen hat.
Die russischen Drohnen sind für die Ukrainer ein grosses Problem, räumt Andrij Bilezkyj ein. Der Kommandeur der 3. Angriffsbrigade meint damit nicht nur die Kamikaze-Drohne Lancet. Auch die Aufklärungsdrohne Orlan sei besser als das, was Kiew zur Verfügung hat. Die Orlan korrigiert unter anderem das Feuer der russischen Artillerie.
This Russian advance west of #Krasnohorivka and near #Avdiivka tried to breach Ukrainian lines, but when Ukrainian artillery opened fire, chaos erupted and the crews and infantry abandoned their vehicles in droves. In the open entire Russian platoons got hit. ⬇ pic.twitter.com/weQObQ4Atc
Die Orlan könne kaum gestört werden, sagt Bilezkyj. «Es ist sicherlich möglich, sie abzuschiessen, aber unserer Luftabwehr fehlen die Raketen. Diese für Orlans zu verschwenden, von der Russland Tausende hat, ist tatsächlich schwierig.» Eigene Bewegungen der Artillerie oder von Verbänden seien wegen der permanenten Überwachung eingeschränkt.
Zurück nach Awdijwka: Wladimir Putin muss zwar weiterhin schwere Verluste hinnehmen, doch gleichzeitig kommen seine Soldaten langsam voran. Im Norden der Stadt haben sie die Anhöhe Terrikon erobert und sind an die Bahnlinie vorgerückt: Die in dem obigen Bild orange eingezeichnete feste Strasse nach Awdijwka ist keine drei Kilometer entfernt.
«Jeder, der da raufklettert, stirbt»
Nur das nördlichste Quartier von Awdijwka steht noch zwischen den russischen Truppen bei der Anhöhe Terrikon und der Verbindungsstrasse. Die Russen kommen dort aber nur langsam voran: Das Viertel besteht aus Industrie-Anlagen und ist im Häuserkampf besonders schwer zu erobern – siehe auch untenstehenden Post.
Der Hügel hilft Putins Soldaten übrigens nur begrenzt: Er bietet keine Deckung. «Jeder, der da raufklettert, stirbt», sagt der Kopf der Militär-Administration von Awdijwka. Auch bei den russischen Sturmtruppen sind die Verluste immens: In den Schtorm-Z-Einheiten beträgt die Rate 40 bis 70 Prozent, schreibt ein russischer Ausbilder auf Telegram.
Heavy fighting resumes near Avdiivka. The fields are scattered with killed Russian soldiers. pic.twitter.com/xf5qoaPCLi
Den Druck hält Moskau aber nicht nur im Oblast Donezk hoch. Auch im Norden in Charkiw versucht Russland weiterhin, nach Kupjansk vorzurücken. Auch bei Swotowe gibt es immer wieder Gefechte.
Südlich von Bachmut hat dagegen die ukrainische Armee die Initiative: Die kämpft östlich von Klischtschijwka und Avdiivka hinter der Bahnlinie und in Kurdjumiwka gegen die Russen.
Updates aus Cherson und Saporischschja
Etwas Neues gibt es aus Cherson und Saporischschja zu berichten: Der Kreml hat den Befehlshaber der Truppen in der Südukraine ausgetauscht. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass trägt statt Generaloberst Oleg Makarevich nun Generaloberst Michail Teplinski die Verantwortung.
Die Personalrochade dürfte eine Reaktion auf die ukrainischen Erfolge am linken, östlichen Dnjepr-Ufer sein, wo Kiews Spezialkräfte das Dorf Krynky zumindest teilweise erobert haben. Es ist der dritte ukrainische Brückenkopf auf dieser Flussseite, wobei derjenige bei Kosatschi Laheri jedoch wieder aufgegeben werden musste.
Die ukrainischen Truppen haben zwar keine schweren Waffen, dafür aber Artillerie- und Drohnen als Unterstützung: Ein aktuelles Video zeigt auf X, wie ein unbemanntes Flugobjekt einen modernen russischen T-90M-Panzer trifft.
Zu guter Letzt gibt es noch ein Update aus Robotyne im Oblast Saporischschja: Hier sind ukrainische Soldaten nach Westen vorgerückt. Nun besetzen sie ein Gebiet, das höher liegt als die Umgebung. Gegenangriffe auf Robotyne dürften damit der Vergangenheit angehören.
(«Glauben Sie, dass Sie in der Lage sein werden, den Abzug zu drücken?»: Link zur obigen, knapp zehnminütigen BBC-Reportage über die Ausbildung «gewöhnlicher Ukrainer» zu Soldaten in Grossbritannien).