Lagebild Ukraine Angebliche Durchbrüche, echte Verluste und Angriffe im Rücken 

Von Philipp Dahm

23.9.2023

Mensch gegen Maschine: In der Ukraine kämpfen auch Roboter – auf beiden Seiten

Mensch gegen Maschine: In der Ukraine kämpfen auch Roboter – auf beiden Seiten

Russland prahlt mit einem Roboterpanzer, die Ukraine experimentiert mit einem Eigenbau: Der Krieg in der Ukraine wird zum Testfeld für High-Tech-Waffen. Was sie leisten und wer welche einsetzt, erfährst du im Video.

20.09.2023

Bricht die ukrainische Armee im Süden durch? Für derlei Erfolgsmeldungen ist es noch zu früh: Die Kriegsparteien liefern sich derzeit sowohl im Norden als auch bei Bachmut und im Süden erbitterte Kämpfe.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Saboteure haben bei einem Militärflugplatz unweit von Moskau zwei Flugzeuge und einen Helikopter zerstört.
  • Ein Video eines Drohnenangriffs auf einen ukrainischen Militärflugplatz zeigt derweil, dass die Reichweite russischer Drohnen erhöht wurde.
  • Russische Truppe scheinen im Norden der Front die Initiative zu verlieren.
  • Trotz taktischer Nachteile startet Moskau südlich von Bachmut Gegenangriffe auf Klischtschijwka und Andriivka.
  • Bei Robotyne setzt Kiew nun Schützenpanzer vom Typ Stryker und Marder ein, die von russischen Drohnen gefilmt werden.
  • Russland hat weiter Probleme mit Counter Battery Fire und der Moral der eigenen Truppe.

Der Konflikt in der Ukraine zeigt anschaulich, wie kompliziert Krieg ist. Alles hängt mit allem zusammen. Man nehme nur den ukrainischen Megadrohnenangriff am 29. August auf Ziele in Westrussland.

Im Oblast Pskow werden nicht nur Transportflugzeuge zerstört, sondern auch die Basis der 104. Luftlande-Regiment in Tscherech getroffen. Deshalb haben erst jetzt Teile dieser Truppen die Front im Süden erreicht, an der die russische Armee Mühe hat, ihre Hauptverteidigungslinie zu halten.

Dass Moskau die Surowikin-Linie nicht weiter verstärkt hat, ist weiterhin der ukrainischen Attacke südlich von Bachmut geschuldet: Der Kampf um Klischtschijwka und Andriivka bindet Kräfte, die dem Kreml nun im Süden fehlen. Verluste fügen sich die Kriegsparteien aber auch hinter der Front zu.

Schmerzhafte Angriffe im Rücken

Mitunter können diese Verluste sehr nachhaltig sein – etwa, wie beim oben erwähnten ukrainischen Angriff auf einen Militärflugplatz wertvolle Bomber Tu-22M3 in Flammen aufgehen, die nicht mehr produziert werden. Nun verliert der Kreml eine Il-20M und einen An-148: Auch das Spionageflugzeug, von denen es nur 19 Stück gab, und der Transporter werden nicht mehr gebaut.

Der Angriff erfolgt am 18. September auf dem Flugplatz Tschkalowski – nur 31 Kilometer von Moskau entfernt. «Nicht identifizierte» Saboteure schalten weiter einen Kampfhelikopter vom Typ Mi-28N aus, schreibt der ukrainische Politiker Anton Geraschtschenko mit Verweis auf den Militärgeheimdienst. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Doch auch Russland kann hinter feindlicher Linie zuschlagen: Ein Video zeigt, wie am 19. September eine russische Drohne eine MiG-29 auf dem Militärflugplatz bei Krywyj Rih beschädigt. Der liegt rund 70 Kilometer hinter der Front entfernt, was bisher weit genug entfernt war. Russland hat also wahrscheinlich die Reichweite ihrer Lancet-3-Drohne erhöht, die den ukrainischen Truppen ohnehin schon grosse Probleme beschert.

Überraschende russische Verluste im Norden

Auf der selbst gibt es immer wieder Gerüchte, Russland würde im Norden Truppen für einen grossen Schlag gegen Kupjansk sammeln. In Tat und Wahrheit verliert Moskau dort aber an Boden. In Novoselivske, dem einzigen Dorf, dass die Armee erobern konnte, werden die Russen nun wieder angegriffen.

Die Schauplätze von Nord nach Süd (bei den ukrainischen Icons): Kupjansk, Novoselivske, Novojehorivka und Torske, wo die Russen am weitesten nach Westen vorrücken konnten.
Die Schauplätze von Nord nach Süd (bei den ukrainischen Icons): Kupjansk, Novoselivske, Novojehorivka und Torske, wo die Russen am weitesten nach Westen vorrücken konnten.
YouTube/Military Lab

Laut Military Lab nutzen die ukrainischen Streitkräfte bei ihrem Angriff auf Novoselivske den Umstand aus, dass viele russische Truppen weiter nach Norden nach Novojehorivka verlegt worden sind. Doch dort ergeht es ihnen offenbar schlecht: In diesem Frontabschnitt soll die Armee viele Panzer und Soldaten verloren haben, wie Bilder auf Social Media zu belegen scheinen.

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Heftige Verluste hat der Kreml auch südlich von Bachmut zu beklagen. Doch obwohl die ukrainische Armee – wie im Lagebild beschrieben – in der taktisch besseren Position ist, weil sie aus erhöhter Lage aus einem Wald heraus agiert, hat Moskau nach der Eroberung von Klischtschijwka und Andriivka Gegenangriffe befohlen.

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Stryker und Marder bei Werbowe im Einsatz

Diese sind aber nicht nur erfolglos, schreibt das Washingtoner Institute for the Study of War. Die Ukrainer können nach den jüngsten Geländegewinnen nun auch ihre Artillerie nachziehen. Damit liegt nun die Autobahn T01513 in Reichweite, die von Süden her Bachmut mit Nachschub versorgt.

Der Bahndamm ist die neue russische Verteidigungslinie, an der weiter heftig gekämpft wird. Als gelber Strich: die Autobahn, die von Bachmut nach Horliwka führt. Stand ist hier 20. September.
Der Bahndamm ist die neue russische Verteidigungslinie, an der weiter heftig gekämpft wird. Als gelber Strich: die Autobahn, die von Bachmut nach Horliwka führt. Stand ist hier 20. September.
MilitaryLand

Am schwersten sind die Kämpfe aktuell aber wohl bei Robotyne im Süden des Landes, wo ukrainische Soldaten bei Werbowe in die gegnerische Hauptverteidigungslinie eingebrochen sind. Nun sind auch erstmals Schützenpanzer eingesetzt worden, zeigen Bilder russischer Drohnen.

Sie setzen angeblich Infanterie an zwei Positionen am Schützengraben ab. Die Gegenseite antwortet mit Artilleriefeuer, das auch Treffer landen kann. Russische Drohnen oder Panzerfäuste kommen anscheinend aber nicht zum Einsatz, was auf geschwächte Verteidiger schliessen lässt.

Zwei russische Grundprobleme

Wie Reporting from Ukraine beschreibt, hat die ukrainische Armee in einer Ebene nordöstlich von Robotyne Truppen konzentriert, die in verschiedene Richtungen vorstossen können. Die Gegenseite muss deshalb die eigenen Kräfte strecken, um keine Lücken entstehen zu lassen.

Die taktische Lage bei Robotyne: Russland muss sich strecken.
Die taktische Lage bei Robotyne: Russland muss sich strecken.
YouTube/Reporting fro Ukraine

Wie nachhaltig der ukrainische Vorstoss im Süden ist, muss sich erst zeigen. Zwei Aspekte, die für die Gegenoffensive wichtig sind, ziehen sich aber wie ein roter Faden durch die letzten Wochen: Zum einen bleibt Kiew sehr erfolgreich darin, gegnerische Luftabwehr ...

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... und Artillerie im Duell mit der eigenen Artillerie zu zerstören.

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Und zum anderen haben Moskaus Männer Mühe mit der Moral. Kein Wunder: Angeblich überleben mobilisierte russische Soldaten in der Ukraine nur 4,5 Monate. 20 Prozent schaffen demnach keine acht Wochen. Verwundete werden trotz Verletzung angeblich wieder an die Front geschickt. Wer Befehle verweigert, muss mit Folter rechnen.

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