Lagebild Ukraine Putin verliert ganze Brigade – auch durch gezieltes Friendly Fire

Von Philipp Dahm

18.9.2023

Ukraine – Dorf Klischtschiwka bei Bachmut zurückerobert

Ukraine – Dorf Klischtschiwka bei Bachmut zurückerobert

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben das Dorf Klischtschiwka im Osten des Landes zurückerobert, das Russland seit Januar für sich beansprucht hatte. Das teilte der Kommandeur der ukrainischen Landstreitkräfte, Syrskyj, in Onlinenetzwerken mit. In dem Dorf wohnten vor dem Krieg etwa 400 Menschen.

18.09.2023

Weil sich russische Soldaten bei Avdiivka ergeben wollten, hat Wladimir Putins Artillerie die eigenen Leute ins Visier genommen. Das Dorf wurde aber ebenso befreit wie das benachbarte Klischtschijwka.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die ukrainische Armee hat die Ortschaft Klischtschijwka befreit, die als «Fleischwolf» bezeichnet wurde.
  • Obwohl die Lage für die Russen aussichtslos war, wurden immer wieder Truppen nachgeschoben: Die 72. Separate Motor Rifle Brigade wurde dort komplett aufgerieben.
  • Bei Robotyne toben weiter schwere Gefechte. Besonders hart wird um Werbowe gekämpft, zeigt ein Twitter-Video.
  • Kiew zerstört weiterhin gezielt und offenbar erfolgreich Artillerie- und Flugabwehrsysteme des Gegners.
  • Wolodymyr Selenskyj wie auch sein Geheimdienstchef Kyrylo Budanow haben westlichen Medien Interviews gegeben.

Klischtschijwka ist ein «Fleischwolf», hiess es im vorletzten Lagebild. Tatsächlich haben die ukrainischen Streitkräfte dort eine ganze Brigade des Gegners aufgerieben: Aus Angst vor Strafe sollen russische Kommandeure die erst 2022 aufgestellte 72. Separate Motor Rifle Brigade immer wieder vorgeschickt haben, obwohl die Lage aussichtslos war. Warum das so ist, zeigt die Höhenkarte dieses Schlachtfeldes.

Der erhöht liegende Wald westlich von Klischtschijwka in ukrainischer Hand sowie Artillerie-Feuer haben russische Gegenangriffe auf die Siedlung verunmöglicht.
Der erhöht liegende Wald westlich von Klischtschijwka in ukrainischer Hand sowie Artillerie-Feuer haben russische Gegenangriffe auf die Siedlung verunmöglicht.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Das Dorf liegt in einer Senke, sodass die Ukrainer Klischtschijwka mit Artillerie-Unterstützung locker verteidigen konnten. So viele Leichen sollen sich in der Siedlung gestapelt haben, dass Kiews Kräfte, die von Ivaniske im Nordwesten vorgerückt sind, den Ort schon aus mehrere Kilometer Entfernung riechen konnten, weiss Reporting from Ukraine.

Auch die 31. Luftsturm-Brigade, die die Situation entschärfen sollte, konnte nicht helfen: Ihr Kommandeur wurde eliminiert, ergänzt Reporting from Ukraine. Als sich diese Einheit ebenfalls zurückzieht, verliert auch sie noch einmal viele Männer durch Artillerie-Beschuss. Zuvor war auch Andriivka gleich nebenan von den Russen geräumt worden.

Unfriendly Fire: Putins Artillerie greift die eigenen Leute an

Dabei haben die ukrainischen Streitkräfte dem Gegner eine Chance gelassen, zu überleben: Per Drohne forderten sie die Russen auf, sich zu ergeben. Dem sind einige Soldaten gefolgt, doch nicht alle haben überlebt. Der Grund: Russische Artillerie hat diejenigen, die aufgeben wollten, unter Feuer genommen. Auch Drohnen griffen die eigenen Leute an.

Wie im letzten Lagebild beschrieben, haben die Russen eine neue Verteidigungslinie am Bahndamm errichtet, der östlich an den verlorenen Siedlungen vorbeiführt. Doch diese Linie ist offenbar bereits durchbrochen worden. Dass die ukrainischen Truppen nun schnell weiter vorstossen, ist aber nicht zu erwarten.

Military Lab zeigt im kleinen Bild den Bahndamm, den russische Truppen auf dem Rückzug erklimmen. Auf der anderen Seite sind sie nun das neue Ziel der ukrainischen Artillerie.
Military Lab zeigt im kleinen Bild den Bahndamm, den russische Truppen auf dem Rückzug erklimmen. Auf der anderen Seite sind sie nun das neue Ziel der ukrainischen Artillerie.
Bild: YouTube/Military Lab

Die Dörfer südlich von Avdiivka, Kurdjumiwka und Osarjaniwka, liegen erhöht und sind schwer einzunehmen. Sollten Kiews Kräfte weiter nach Osten Richtung Opytne vorrücken, machen sie sich an den Flanken angreifbar. Wichtiger wäre die Unterbrechung der Strasse T0513, die durch Opytne führt und Bachmut aus dem Süden mit Nachschub versorgt.

Rot markiert: Opytne mit der T0513, die im Norden nach Bachmut führt.
Rot markiert: Opytne mit der T0513, die im Norden nach Bachmut führt.
Bild: Google Earth

Twitter-Video zeigt schwere Kämpfe bei Werbowe

In den anderen Frontabschnitten gibt es nicht viel Bewegung. Ein Schwerpunkt des ukrainischen Militärs ist der Kampf in Robotyne: Kiews Kräfte versuchen westlich des Dorfes die Russen zurückzudrängen, um die eigene Flanke zu sichern.

Östlich von Roboytne rücken Wolodymyr Selenskyjs Soldaten weiter nach Werbowe vor, wo sie in die russische Hauptverteidigungslinie einfallen können. Der russische Widerstand – zu sehen im unten stehenden Tweet – legt nahe, dass Moskau dies um jeden Preis verhindern will.

Auch wenn der Kampf an der Front zäh ist, kann von einem Stellungskrieg keine Rede sein. Das sagen sowohl die Analyse des Leiters des Lagezentrums Ukraine der Bundeswehr als auch der Yale-Historiker Timothy Snyder.

Kiew schaltet weiter Artillerie und Flugabwehrsysteme aus

«Das Narrativ des Stellungskrieges wird gerade von Leuten verbreitet, die dem Kreml wohl gesonnen sind, weil es unwahr ist», sagt Snyder im MSNBC-Interview. «Eben weil die Ukrainer vorrücken.» Wenn der Krieg so weitergehe, werde Russland ihn verlieren: Er stehe derzeit an «einem entscheidenden Punkt».

Snyder ist sich sicher: «Der einzige Weg, das Töten zu stoppen, ist, den Krieg zu gewinnen», sagt er. Deshalb müsse der Ukraine auch weiterhin geholfen werden. Doch Kiew hilft sich auch selbst, indem weiterhin russische Artillerie- und Flugabwehrsysteme gezielt ausgeschaltet werden.

So werden alleine am 16. September nach ukrainischen Angaben drei Flugabwehrsysteme, neun Artillerien sowie ein Gerät zur elektronischen Kriegsführung zerstört. Einen Tag später wird erneut eine S-400-Stellung bei Sewastopol auf der Krim attackiert.

Selenskyj und Budanow geben westlichen Medien Interviews

Wolodymyr Selenskyj ist heute auf dem Weg in die USA. Zuvor hat der ukrainische Präsident CBS ein Interview gegeben. Auf die US-Militärhilfen in Höhe von 70 Milliarden Dollar angesprochen, sagt er: «Das ist viel Geld. Wir haben grosse Dankbarkeit. Was muss die Ukraine noch tun, damit jeder unsere grosse Dankbarkeit ermessen kann? Wir sterben in diesem Krieg.»

Wie viel Geld noch nötig sein werde, um Putin zu stoppen, könne er nicht beantworten, sagt Selenskyj. Die Gegenoffensive verlaufe zwar nicht schnell, komme aber dennoch Tag für Tag voran. «Wir dürfen Putin keine Pause lassen.» Deshalb würden auch die Drohnenangriffe weitergehen.

Auch Kiews Chef des militärischen Geheimdienstes hat einem westlichen Medium ein Interview gegeben: «Russlands erste Verteidigungslinie auf der besonders wichtigen südlichen Achse ist in Teilen eingebrochen», erklärt Kyrylo Budanow dem «Economist». «Das heisst, die Operation, die Landbrücke zwischen der Krim und Russland zu unterbrechen, kann immer noch erreicht werden, bevor der Winter beginnt.»