Lagebild Ukraine Putin feiert Front-Erfolge, doch am Dnipro blamiert er sich 

Von Philipp Dahm

23.12.2023

Selenskyj: Militär will bis zu 500.000 zusätzliche Soldaten mobilisieren

Selenskyj: Militär will bis zu 500.000 zusätzliche Soldaten mobilisieren

Das ukrainische Militär bittet nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj um die Mobilisierung von 450.000 bis 500.000 zusätzlichen Soldaten. Hochrangige Militärs und Regierungsvertreter erörterten «diese sehr heikle Frage», sagte Selenskyj am 19. Dezember 2023 vor der Presse in Kiew.

22.12.2023

An der Front wird Kiews Armee vor Weihnachten nichts geschenkt: Die russischen Angreifer haben die Schlagzahl erhöht und drängen den Gegner zurück. Nur am Dnipro gibt es einen Lichtblick für die Ukraine.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das Weisse Haus rechnet Ende Januar bis Anfang Februar mit einer russischen Grossoffensive, wenn der Boden gefroren ist.
  • 500 statt 4000 Dollar: Wegen des Munitionsmangels setzt Kiew verstärkt auf Drohnen, die sowohl billiger als auch genauer sind.
  • Angriff und Gegenangriff: Moskaus Attacke auf Nowomychajiliwka dauert ebenso an wie die Schlacht um Awdijwka. 
  • Bei Bachmut verliert die ukrainische Armee wieder an Boden.
  • Derzeit ist alleine der Brückenkopf am östlichen Dnipro-Ufer ein Lichtblick für die ukrainischen Streitkräfte.

«Die Zeit spielt nicht für uns», sagt John Kirby, als Journalisten ihn an Bord der Air Force One auf die Lage in der Ukraine ansprechen. Das Weisse Haus könne in diesem Monat noch ein Hilfspaket für Kiew schnüren, doch der Inhalt müsse dann ja auch noch ins Kriegsgebiet gelangen.

Ukrainer feuern am 18. Dezember im Oblast Saporischschja eine 57-mm-Flugabwehrkanone S-60 ab.
Ukrainer feuern am 18. Dezember im Oblast Saporischschja eine 57-mm-Flugabwehrkanone S-60 ab.
EPA

Es sei sehr wichtig, dass sich der US-Kongress möglichst früh im Januar auf eine Unterstützung für die Ukraine einigt, betont der Ex-Admiral, der Mitglied im National Security Council ist. «Denn das Kämpfen wird nicht aufhören.» Russland sei im Osten und bei Awdijwka in der Offensive.

Doch das sei erst der Anfang, warnt Kirby. «Wenn der Boden Ende Januar bis Anfang Februar einfriert, wird das den russischen Kräften es erleichtern, loszulegen.» Hinzu kämen die Angriffe auf die kritische Infrastruktur der Ukraine, wobei der Winter zur Waffe gemacht werde. Hilfe tue also Not.

Russlands Artillerie kann aufdrehen, Kiew setzt auf Drohnen

Während die Artillerie-Munition knapp wird, setzt Kiew auf Selbsthilfe, zeigt ein Video von «Radio Free Europe/Radio Liberty»: Statt einer Granate, die um die 4000 Dollar kostet, werden rund 500 Dollar teure Drohnen verwendet, die in der Regel genauer treffen als eine Haubitze. 100'000 bis 120'000 Drohnen brauche die Ukraine monatlich, um zu bestehen.

Die USA und die Europäer wollen bis Ende 2024 jeweils 100'000 Granaten pro Monat herstellen. «Russlands derzeitiges Produktionspotenzial liegt bei 1,5 bis 1,7 Millionen 152-Millimeter-Granaten pro Jahr», sagt Serhiy Zhurets, ein ukrainischer Sicherheitsexperte. «Wir können also bis Ende 2024 eine Parität bei der Munitionsproduktion erwarten.»

Vorteil Russland

Wie ungleich die Mittel der Kriegsparteien derzeit sind, zeigt sich am deutlichsten in Nowomychajiliwka, das im Oblast zwischen Wuhledar und Awdijwka liegt.

Die russische Armee wittert in Nowomychajiliwka (markiert) die Chance, in eine vermeintliche Lücke der ukrainischen Verteidigung vorstossen zu können.
Die russische Armee wittert in Nowomychajiliwka (markiert) die Chance, in eine vermeintliche Lücke der ukrainischen Verteidigung vorstossen zu können.
DeepStateMap

Der stark befestigte östliche Teil des Dorfes liegt unter schwerem Fliegerbomben- und Artilleriebeschuss: Auch die gefürchtete TOS-1A ist dort im Einsatz, wie ein X-Video zeigt.

Auf russische Attacken folgen ukrainische Gegenangriffe. Die Kämpfe halten an.

In Nowomychajiliwka müssen sich die Ukrainer eines massiven russischen Angriffs erwehren.
In Nowomychajiliwka müssen sich die Ukrainer eines massiven russischen Angriffs erwehren.

Awdijwka: Fake-Erfolg bei Stepowe

35 Kilometer weiter nördlich hält der Kreml den Druck auf das belagerte Awdijwka hoch. Nachdem die russische Armee sich anschickt, von Osten her in die Stadt vorzudringen und auch an der südlichen Zange Erfolge verzeichnen konnte, wird nun an der nördlichen Zange angegriffen.

Von Stepowe bis nach Bachmut sind es gut 47 Kilometer Luftlinie: Im Norden der Stadt hat die ukrainische Armee inzwischen all das Territorium, was sie bei der Gegenoffensive erobert haben, wieder verloren.

Im Norden von Bachmut stehen die Russen vor dem Dorf Bohdanivka. Das Dorf Ivanivske im Westen der Stadt ist nur noch einen Kilometer von der Front entfernt. Moskaus Ziel in diesem Abschnitt ist die Stadt Tschassiw Jar. (links auf der Karte).
Im Norden von Bachmut stehen die Russen vor dem Dorf Bohdanivka. Das Dorf Ivanivske im Westen der Stadt ist nur noch einen Kilometer von der Front entfernt. Moskaus Ziel in diesem Abschnitt ist die Stadt Tschassiw Jar. (links auf der Karte).
Karte: @Majakovsk73

Auch im Süden von Bachmut macht die russische Armee Druck: Sie rückt weiter auf die bewaldete Anhöhe westlich von Klischtschijwka vor. Die ukrainischen Streitkräfte haben einen Entlastungsangriff nach Osten durchgeführt und den Bahndamm überschritten. Ob's hilft, muss sich zeigen.

Im Süden von Bachmut wollen die Russen Klischtschijwka zurückerobern, das sie bei der ukrainischen Gegenoffensive verloren haben.
Im Süden von Bachmut wollen die Russen Klischtschijwka zurückerobern, das sie bei der ukrainischen Gegenoffensive verloren haben.
Karte: @Majakovsk73

Lichtblick am Dnipro 

Der einzige Lichtblick auf dem Schlachtfeld ist für Wolodymyr Selenskyj und seine Militärs der ukrainische Brückenkopf am linken, östlichen Ufer des Dnipro, den die Russen Dnjepr nennen – auch wenn Wladimir Putin dessen Bedeutung herunterspielt und behauptet, es hätte dort bloss ein paar Verwundete gegeben. Diese Aussagen sind blamabel.

Die aktuelle Lage am linken Dnipro-Ufer.
Die aktuelle Lage am linken Dnipro-Ufer.

Tatsächlich bindet die ukrainische Stellung in Krynky nicht nur generische Truppen, sondern dezimiert diese auch beträchtlich. Laut Reporting from Ukraine hat Russland bei dem Brückenkopf mittlerweile Tausende Soldaten sowie 150 Fahrzeuge verloren – so viel wie in Awdijwka. Aber warum gelingt es dem Kreml nicht, die Ukrainer zurückzudrängen?

Die Karte zeigt, dass ein Brückenkopf im Norden nicht den gleichen Höhenvorteil geboten hätte wie das Gelände bei Krynky.
Die Karte zeigt, dass ein Brückenkopf im Norden nicht den gleichen Höhenvorteil geboten hätte wie das Gelände bei Krynky.

Das Gelände in diesem Abschnitt des Flusses ist ein Vorteil für Kiew: Das rechte, westliche Ufer liegt etwa 50 Meter höher als die Gegenseite. So kann nicht nur die Artillerie besser helfen: Auch Panzer können für den Beschuss des anderen Ufers eingesetzt werden.

Ergänzt wird dieses Portfolio von den Drohnen-Piloten, die anrückende russische Fahrzeuge ins Visier nehmen. Geführt werden sie von Robert Brovdi, der unter dem Kampfnamen «Magyar» in seinem Land Berühmtheit erlangt hat. Auch moderne Panzer wie der T-90M sind von seinen Leuten nicht sicher, zeigt das obige Video.