Wahlen in Sachsen und Thüringen Macht die Ampel-Koalition überhaupt noch Politik für das Volk?

sda/afp/tgab

1.9.2024 - 23:50

Höcke: Ohne AfD-Regierungsbeteiligung keine Stabilität

Höcke: Ohne AfD-Regierungsbeteiligung keine Stabilität

In Deutschland ist nach Hochrechnungen von ARD und ZDF mit der AfD in Thüringen erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine rechtsextreme Partei als stärkste Kraft aus einer Landtagswahl hervorgegangen.

01.09.2024

Die in Teilen rechtsextreme AfD ist erstmals in einem deutschen Bundesland stärkste Partei geworden. Und nun?

sda/afp/tgab

Der Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen und die dortigen Verluste der etablierten Ampel-Parteien SPD, FDP und Grüne haben Wellen in die Bundespolitik geschlagen. Während von der SPD am Sonntagabend auch Selbstkritik kam, wurden in der FDP die Gründe in der Ampel-Politik gesucht. CDU und AfD stellten die «Ampel» in Frage.

In Thüringen hat die AfD erstmals bei einer Landtagswahl in Deutschland die meisten Stimmen bekommen.

Die Partei von Spitzenkandidat Björn Höcke erzielte nach Auszählung aller Wahlbezirke ein deutliches Plus von 32,8 Prozent, wie die Landeswahlleitung auf ihrer Webseite bekannt gab. Sie landete damit deutlich vor der CDU, die 23,6 Prozent erhielt. Auf den dritten Rang kam das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das 15,8 Prozent erreichte und damit die Linke (13,1 Prozent) auf den vierten Rang verwies. Die SPD schaffte mit 6,1 Prozent ebenso den Einzug in den Landtag, nicht aber die Grünen, die nur 3,2 Prozent erreichten. Die Wahlbeteiligung lag mit 73,6 Prozent deutlich höher als zuletzt.

In Sachsen gewann die CDU die Wahl knapp vor der AfD. Das BSW kam auf Platz drei vor der SPD und den Grünen, die FDP scheiterte klar an der Fünfprozenthürde.

Zu früh gefreut: Mario Voigt (Mitte), Vorsitzender der CDU in Thüringen und Spitzenkandidat bei der Wahlparty der CDU. Ein Bündnis von CDU mit BSW und SPD hat nach der Landtagswahl in Thüringen jedoch keine Mehrheit.
Zu früh gefreut: Mario Voigt (Mitte), Vorsitzender der CDU in Thüringen und Spitzenkandidat bei der Wahlparty der CDU. Ein Bündnis von CDU mit BSW und SPD hat nach der Landtagswahl in Thüringen jedoch keine Mehrheit.
Martin Schutt/KEYSTONE

SPD-Chef Lars Klingbeil äusserte in der «ARD» den Anspruch, «dass wir besser werden». Allerdings habe die SPD besser abgeschnitten als noch vor einigen Wochen vorhergesagt, fügte Klingbeil hinzu. Gleichwohl sei dies ein Ergebnis, «wo man sicher nicht jubeln kann», räumte er ein.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert rief seine Partei zu mehr Selbstbewusstsein in der Bundesregierung auf. «Für meine Partei geht es darum, sich stärker zu emanzipieren und sich nicht auf der Nase rumtanzen zu lassen von denen, die krachend rausgeflogen sind», sagte Kühnert im «ZDF».

Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär beim Interview in der SPD-Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus, nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen.
Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär beim Interview in der SPD-Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus, nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen.
Bernd von Jutrczenka/KEYSTONE

Wegen der Verluste der SPD sieht CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann seine Partei als letzte verbliebene echte Volkspartei. «Wir sind das Bollwerk» sagte Linnemann in der «ARD». Mit Blick auf das Abschneiden der Regierungsparteien stelle sich die Frage, ob «die Ampel-Koalition überhaupt noch Politik für das Volk in Deutschland macht».

Grünen-Chef Omid Nouripour bezeichnete es als «Zäsur», dass mit der AfD «in Thüringen jetzt eine offen rechtsextremistische Partei stärkste Kraft geworden ist». Er sehe und höre viele Menschen, «die einfach jetzt Angst haben», sagte Nouripour im «ZDF».

FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich enttäuscht vom Wahlausgang. «Die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen schmerzen», schrieb der Bundesfinanzminister im Onlinedienst X. FDP-Vize Wolfgang Kubicki zog die Ampel-Koalition in Zweifel: «Das Wahlergebnis zeigt: Die Ampel hat ihre Legitimation verloren», schrieb er auf X.

Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler sprach in der «ARD» von einem «sehr bitteren Wahlabend». Das gelte «nicht nur, wenn wir auf das Ergebnis der Linken schauen, sondern auch, wenn zum ersten Mal seit dem Ende der Nazizeit eine im Kern faschistische Partei stärkste Kraft in einem Landtag wird», sagte Wissler.

Denkzettel der Unzufriedenen

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht führte das starke Abschneiden ihrer Partei acht Monate nach deren Gründung auch auf eine «Repräsentationslücke im deutschen Parteiensystem» zurück. Viele Menschen seien unzufrieden mit dem, was auf Bundesebene passiere, sähen in der CDU aber keine Alternative, sagte sie im «ZDF».

Wahl in Thüringen: Wagenknecht schliesst Zusammenarbeit mit Höcke-AfD aus

Wahl in Thüringen: Wagenknecht schliesst Zusammenarbeit mit Höcke-AfD aus

Jubel beim Bündnis Sahra Wagenknecht in Thüringen. Die Partei erreicht aus dem Stand heraus um die 15 Prozent der Stimmen. Stärkste Kraft wird die AfD bis zu 33,1 Prozent.

01.09.2024

AfD-Chefin Alice Weidel sieht in den Ergebnissen ihrer Partei einen «historischen Erfolg». Die AfD sei «erstmals bei Landtagswahlen stärkste Kraft» geworden, sagte sie in der «ARD». Für Weidel sind die Ergebnisse «gleichzeitig eine Abstrafung der ‹Ampel›». Diese «sollte sich fragen, ob sie noch weiterregieren kann».

Polizei riegelt Parlamentsgebäude in Erfurt ab

Rund 400 Menschen haben nach Polizeiangaben gegen das Erstarken der rechtspopulistischen AfD bei der Thüringer Landtagswahl vor dem Parlamentsgebäude in Erfurt protestiert.

Schon in den vergangenen Tagen hatten Demonstranten immer wieder versucht, möglichst viele Menschen zu überzeugen, nicht die Alternative für Deutschland (AfD) zu wählen. Die AfD kam bei der Wahl laut Hochrechnungen auf 32 bis 33 Prozent. Sie ist damit erstmals stärkste politische Kraft in einem deutschen Bundesland. Die Thüringer AfD wird vom Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) seit Jahren als erwiesen rechtsextrem eingestuft.

Menschen demonstrieren in Erfurt mit Schildern vor dem Thüringer Landtag nach den Ergebnissen der Landtagswahl.
Menschen demonstrieren in Erfurt mit Schildern vor dem Thüringer Landtag nach den Ergebnissen der Landtagswahl.
Michael Reichel/KEYSTONE

Höcke: «Das erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit»

Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke hat nach dem Wahlerfolg seiner Partei den Anspruch auf die Regierungsführung in dem Bundesland angemeldet. «Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen», sagte Höcke am Sonntag in der ARD. Es sei «gute Tradition, dass die stärkste Kraft zu Gesprächen einlädt», betonte er.

Die AfD wurde bei der Landtagswahl am Sonntag laut Hochrechnungen stärkste Partei im Landtag. «Das erfüllt mich mit ganz, ganz, ganz viel Stolz und Zufriedenheit», sagte Höcke. Der Souverän habe «heute ganz eindeutig sein Votum abgegeben, und er hat gesagt, es gibt kein Weiter so, wir brauchen Veränderungen, und Veränderungen wird es nur mit der AfD geben».

Björn Höcke, Partei- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen, kommt zur AfD-Wahlparty in Erfurt.
Björn Höcke, Partei- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen, kommt zur AfD-Wahlparty in Erfurt.
Michael Kappeler/KEYSTONE

Zur Abgrenzung der demokratischen Parteien von der AfD sagte Höcke: «Ich denke die Altparteien sollten sich erstmal in Demut üben». Er wandte sich gegen «das dämliche Brandmauergerede, das dämliche Brandmauergehabe». Das müsse vorbei sein. Die übrigen Parteien schliessen eine Regierungszusammenarbeit mit der AfD, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, aus.

Sachsen: Linke und FDP unter Fünf-Prozent-Hürde

In Sachsen erhielt die AfD laut Prognosen 30 bis 31,5 Prozent (2019: 27,5 Prozent) und lag damit knapp hinter den Christdemokraten von Ministerpräsident Michael Kretschmer mit 31,5 bis 32 Prozent (2019: 32,1 Prozent). Dritter wurde auch hier das BSW, das zum ersten Mal antrat, mit 11,5 bis 12,0 Prozent. Die Linke sackte ab auf 4,0 bis 4,5 Prozent (2019: 10,4 Prozent). Die in Sachsen traditionell schwache SPD landete bei 8,5 Prozent (2019: 7,7 Prozent), die Grünen kamen auf 5 bis 5,5 Prozent (2019: 8,6 Prozent). Die FDP schafft mit rund 1 Prozent (2019: 4,5 Prozent) abermals nicht den Einzug ins Landesparlament.

In Sachsen hätte die CDU 43 Sitze, die AfD 41, das BSW 16, die SPD 12 und die Grünen 8 Sitze. Sollten sich diese Prognosen bestätigen, dann könnte CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer seine seit 2019 bestehende Koalition mit SPD und Grünen fortsetzen.

In den beiden Bundesländern sind zusammen knapp fünf Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen. Insgesamt leben in den beiden Ländern nur etwas mehr als sieben Prozent der deutschen Bevölkerung, wegen des erwartbar starken Abschneidens der AfD standen sie aber besonders im Fokus.

sda/afp/tgab