Putins Russland Prigoschins Tod entlarvt «Züge eines Mafia-Staates»

Von Ulf Mauder, dpa

28.8.2023

Russland: Ermittler bestätigen Tod von Prigoschin durch DNA-Test

Russland: Ermittler bestätigen Tod von Prigoschin durch DNA-Test

Vier Tage nach dem Absturz eines Privatflugzeugs in Russland ist der Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin nach Angaben der russischen Ermittler durch DNA-Tests bestätigt. Demnach stimmen die Identitäten aller 10 Opfer mit der in der Flugliste an

27.08.2023

Söldnerchef Prigoschin ist offiziell für tot erklärt. Unklar ist aber weiter die Ursache für den Absturz seines Privatjets. Für Kremlchef Putin schafft der Tod seines Ex-Vertrauten auch Probleme. 

Von Ulf Mauder, dpa

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Auch wenn noch unklar ist, wer oder was hinter dem Absturz von Prigoschins Maschine steht, wird Putin als Drahtzieher vermutet.
  • Dass die gesamte Wagner-Führung in einem Flugzeug sass, legt nahe, dass sich Prigoschin für unantastbar hielt.
  • Dass auch Unbeteiligte getötet wurde, stehe für ein «neues Niveau» der Gewalt, glaubt ein Experte.
  • Ein anderer Experte macht «Züge eines Mafia-Staates» aus, nach der für Diktaturen typischen Bestrafung Prigoschins.
  • Putin hat den Wagner-Aufstand im Juni genutzt, um in der Armee aufzuräumen.
  • Prigoschins Grab soll keine Pilgerstätte werden, wünscht Putin.
  • Dass er nicht im offenen Sarg beerdigt werden kann, wird Verschwörungstheorien anheizen.

So ganz gelegt haben sich die Zweifel am Tod des schillernden Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin bei vielen Russen auch Tage nach dem Absturz seines Privatjets nicht. Zwar haben die russischen Ermittler den 62-Jährigen nach einer molekular-genetischen Analyse nun offiziell für tot erklärt. Aber Antworten auf die Frage zur Ursache für den Absturz seines Privatjets am 23. August bleiben sie bislang schuldig.

Es kursieren weiterhin die Versionen, dass ein Sprengsatz an Bord oder womöglich auch eine versehentlich gezündete Granate die Embraer zum Absturz gebracht haben könnte. Oder war es doch ein gezielter Anschlag mit einer Flugabwehrrakete? Klar ist nur, dass Prigoschin sehr viele Feinde hatte – und sich mit seinem Aufstand gegen die russische Militärführung am 23./24. Juni Kremlchef Wladimir Putin zum mächtigsten Gegner machte.

Lukaschenko: Prigoschin-Absturz zu unprofessionell für Putin ausgeführt

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26.08.2023

Auch Tage nach dem Absturz der Maschine geht die Mehrheit der politischen Beobachter davon aus, dass vor allem Putin ein Interesse daran hatte, den scharfen Kritiker der russischen Kriegsführung in der Ukraine aus dem Weg zu räumen. Putin selbst trat noch nach und warf seinem früheren Vertrauten noch nach dessen Ende «schwere Fehler» vor.

«Neues Niveau» der Gewalt

Der Kreml weist zurück, etwas mit dem Tod Prigoschins und der anderen sechs Angehörigen der Privatarmee Wagner sowie der drei Mitglieder der Flugzeug-Besatzung zu tun zu haben. In Kommentaren unabhängiger russischer Medien ist dennoch immer wieder von einer «kaltblütigen, öffentlichen Hinrichtung» die Rede.

Dass Prigoschin mit Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin und anderen wichtigen Vertretern in einem Flugzeug sass und nicht separat reiste, erklären einige Beobachter damit, dass sich der Geschäftsmann für «unantastbar» gehalten und sich damit in seiner Stellung selbst überschätzt habe. Das habe ihn unvorsichtig gemacht.

Der im Ausland lebende russische Geheimdienstexperte Andrej Soldatow sieht den Absturz in einer Reihe mit anderen grossen Mordfällen, als etwa der Oppositionelle Boris Nemzow 2015 in Kremlnähe erschossen oder der frühere Geheimdienstoffizier Alexander Litwinenko 2006 in London mit dem Strahlengift Polonium-210 vergiftet wurde. Zugleich sieht er ein «neues Niveau» der Gewalt, weil auch Unbeteiligte – wie etwa die Crew des Flugzeugs – Opfer geworden sind.

«Züge eines Mafia-Staates»

«Es war bemerkenswert, dass alle unsere Quellen in Russland, darunter viele im Sicherheitsapparat, sofort vermuteten, dass Prigoschin auf Putins Befehl getötet wurde», sagte Soldatow. Viele hätten das als Rache gesehen für die beim dem Wagner-Aufstand im Juni getöteten Piloten. Prigoschins Maschine stürzte unweit einer Residenz Putins zwei Monate nach der missglückten Revolte ab – sie war auf dem Weg von Afrika nach St. Petersburg – nach einem Zwischenstopp in Moskau.

Ein für Diktaturen typisches Bestrafungsmuster und sogar «Züge eines Mafia-Staates» sieht der russische politische Analyst Alexander Baunow bei der US-Denkfabrik Carnegie. Es sei schon unter Sowjetdiktator Josef Stalin üblich gewesen, sich noch einmal «dem Feind/Verräter vor der Vernichtung anzunähern» und den Anschein zu erwecken, dass alles vergeben sei.

Putin hatte sich nach Prigoschins Aufstand noch mit ihm und Wagner-Kommandeuren im Kreml getroffen. «Das ist wie in Filmen über die Mafia, die feindlichen Gruppen und ihre Bosse kommen zusammen, um dann aufeinander zu schiessen», schrieb Baunow. Putin halte sich seit 24 Jahren auch deshalb an der Macht, weil er immer wieder jede Bedrohung ausgeschaltet habe.

Putin will Erniedrigung in seinen Vorteil verwandeln

Offiziell ermittelt wird nach dem Crash wegen Verstosses gegen die Sicherheit in der Luftfahrt, aber an einen Unfall glauben nur wenige. Der prominente Journalist Alexej Wenediktow, Chefredakteur des von den Behörden geschlossenen kremlkritischen Radiosenders Echo Moskwy, meinte, dass Prigoschin sich öffentlich gegen Putin gestellt – und damit als Verräter sein «Ende» besiegelt habe.

Der Kremlchef vergebe so eine Blossstellung nie. Als «kaltblütiger und berechnender Diktator» habe sich Putin zwei Monate Zeit gelassen, Prigoschins Geschäfte und Strukturen zu analysieren, sagt der Experte Soldatow. Der Taktiker Putin habe wie so oft aus der Krise eine Chance gemacht.

«Er hat versucht, die Erniedrigung des Aufstandes in seinen Vorteil zu verwandeln, indem er Hardliner innerhalb der Armee beseitigt und die Stimme des Dissens in den Militärkreisen unterdrückt hat.» Vor dem Flugzeugabsturz war auch die Absetzung des Vizekommandeurs der Truppen in der Ukraine, General Sergej Surowikin, bekannt geworden.

Geldhahn zugedreht

Soldatow sieht aber eine Reihe von Problemen für Putin durch Prigoschins Tod. So müsse sich der Kremlchef nun einen neuen Mann fürs Grobe suchen und nicht zuletzt die Generalität inmitten der Schwierigkeiten im Krieg in der Ukraine an der Leine halten. Aus den Wagner-Reihen selbst könnten russischen Medien zufolge Kämpfer zudem versuchen, sich für den Tod Prigoschins zu rächen.

Insgesamt aber muss der Kreml die nun führungslose Wagner-Armee mit Tausenden Kämpfern etwa in Afrika oder in Belarus unter seine Kontrolle bringen. Russland hat stets betont, es werde seine Interessen in Afrika nicht aufgeben. Erste Wagner-Söldner klagen allerdings schon öffentlich, sie bekämen kein Geld mehr – und könnten nicht einmal ihre Behandlung im Krankenhaus bezahlen.

Auch die Beerdigung des Prominenten ist eine breit diskutierte Frage: Wird Prigoschin, der den Titel Held Russlands trug, mit militärischen Ehren auf der nationalen Gedenkstätte mit Heldenallee und Monumenten in der Nähe von Moskau beerdigt? Oder in seiner Heimatstadt St. Petersburg?

Pilgerstätte? Nein, Danke!

Oder, wie von einem Abgeordneten in Moskau vorgeschlagen, in der ostukrainischen Stadt Bachmut, die die Wagner-Armee erobert hatte? Letztere Variante ist nach Meinung von Prigoschin-Kritikern geeignet, damit niemand dorthin pilgern kann.

Schon jetzt gibt es in vielen Städten des Landes Erinnerungsstätten an den Wagner-Chef, der von vielen einfachen Russen wegen seiner scharfen Kritik am Machtapparat geschätzt wurde. Kremlsprecher Dmitri Peskow teilte mit, dass offen sei, ob der Präsident die Beerdigung besuche. Sein Terminkalender sei sehr voll.

Prigoschin-Anhänger in Trauer: «Er war wie ein Vater»

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Blumen, Kerzen und Tränen für Jewgeni Prigoschin: Nach dem mutmasslichen Tod des Wagner-Chefs bei einem Flugzeugabsturz erweisen ihm seine Anhänger in mehreren russischen Städten die Ehre.

25.08.2023

Klar sein dürfte indes, dass Prigoschin nicht nach dem Brauch der russisch-orthodoxen Kirche am offenen Sarg verabschiedet wird. Ermittler erklären rasch, die Leichen seien verbrannt und entstellt vom Aufprall auf dem Boden. Dass niemand Prigoschins Leiche zu sehen bekommt, dürfte aber den Mythos von Verschwörungstheoretikern anfachen, dass sich alles womöglich nur um eine Inszenierung handelt – und der Geschäftsmann woanders unter neuer Identität lebt.

Auch der kremlnahe Politologe Sergej Markow konnte dieser Version etwas abgewinnen, wie in der Propaganda-Sendung Solowjow Live zum Besten gab. Damit werde den Anhängern Prigoschins die «innere Anspannung» genommen; und es helfe auch dem Kreml, weil das die Frage einer Schuld des Machtapparats an dem Absturz erübrige. «Solange die Menschen an Mythen glauben, stellen sie keine Fragen», meinte Markow.