Partei englischer Nationalisten?Johnsons Tories rücken nach rechts
dpa/toko
16.7.2022 - 16:24
Der Kampf um das Erbe von Boris Johnson ist knochenhart – und bemerkenswert divers. So könnten die Wurzeln des nächsten britischen Premierministers in Nigeria oder in Indien liegen. Konservative loben die Toleranz der Partei. Doch Experten sagen: Der Schein trügt.
Nach zwei internen Wahlrunden ist offensichtlich, dass selbst liberale Kandidaten ihre Positionen über Bord werfen müssen, um im Rennen zu bleiben.
«Es ist eine völlig andere Konservative Partei»
«Es ist ein Marsch nach rechts», kritisiert Ian Blackford, Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei im britischen Parlament. Unter Johnson ist die Konservative Partei noch weiter nach rechts gerückt. Der Einfluss des rechtskonservativen Flügels, der sich als Hüter des Brexits sieht, ist enorm gestiegen.
«Es ist eine völlig andere Konservative Partei als noch vor zehn Jahren», sagt Blackford im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Im Wesentlichen ist die Tory-Partei zur Brexit-Partei geworden.» Blackfords Fazit: Die Konservativen haben die Rechtspopulisten, die ihnen noch vor wenigen Jahren mit knallharten Positionen Wähler ausspannten, rechts überholt.
Auch nach Johnsons Aus dürfte die Stossrichtung dieselbe bleiben, ist der Autor Peter Oborne überzeugt. «Ich denke nicht, dass es besser wird. Es könnte eher schlechter werden», warnt der Journalist, der einst selbst für den Brexit stimmte. «Sie werden die Politik der Konfrontation mit der EU fortsetzen, den Krieg gegen Menschenrechte fortsetzen, Asylbewerber als Waffe nutzen und allgemein die Rechte und Freiheiten der britischen Bevölkerung angreifen.»
Auch Konservative warnen vor Radikalisierung
Johnsons Regierung hat mehrere umstrittene Gesetze umgesetzt. So darf die Polizei Demonstrationen verbieten, wenn sie Lärmbelästigungen befürchtet. Kabinettsmitglieder drohen unverhohlen mit dem Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention – weil die Richter das Recht der Briten auf Eigenständigkeit untergrüben.
Längst warnen auch konservative Politiker vor einer Radikalisierung. «Ich habe den Eindruck, dass wir keine Konservative Partei mehr haben, sondern eine englisch-nationalistische Regierung», sagte der frühere Tory-Parteichef Chris Patten kurz vor Johnsons Aus.
Die erzkonservative Haltung der Regierung erstaunt, wirft man einen Blick auf das Kandidatenfeld. Ex-Finanzminister Rishi Sunak mit Wurzeln in Indien und Ex-Staatssekretärin Kemi Badenoch mit Vorfahren aus Nigeria liegen aussichtsreich im Rennen. Rechnet man noch Generalstaatsanwältin Suella Braverman als Tochter indischstämmiger Eltern, Schatzkanzler Nadhim Zahawi als irakischen Flüchtling und Ex-Gesundheitsminister Sajid Javid, Sohn eines pakistanischen Busfahrers, hinzu, hat mehr als die Hälfte der acht Politiker, die es in die Wahl schaffte, einen Migrationshintergrund.
Tory-Politiker betonen stolz, die Kandidatenkür zeige eine Vielfalt, wie sie in der oppositionellen Labour-Partei nie zu finden gewesen sei. Allerdings weisen Kritiker auf die Politik der Tories hin – die sei alles andere als progressiv. So gibt sich Innenministerin Priti Patel, deren Eltern einst aus Uganda flohen, als unbarmherzige Gegnerin von Einwanderern.
Die vielfältigste Regierung mit der rassistischsten Politik
Wer illegal einreist, soll nach Ruanda ausgeflogen werden, unabhängig von Asylstatus und Herkunft. Das Vorhaben wird von Asylexperten als unrechtmässig kritisiert – aber von allen potenziellen Johnson-Nachfolgern unterstützt.
«Es ist die vielfältigste Regierung der Geschichte, aber sie verfolgt auch die rassistischste Politik aller Regierungen», sagt Kehinde Andrews, Professor für Black Studies an der Universität Birmingham, der BBC. Die schwarzen und asiatischstämmigen Politiker seien lediglich «Feigenblätter für weisse Unterdrückung».
Hinzu kommt, dass die Kandidaten zwar unterschiedlicher Herkunft sind. Sie stammen aber fast alle aus dem gleichen sozialen Umfeld: wohlhabend und privat gebildet. Der Ehefrau von Ex-Finanzminister Sunak, der im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhielt, gehört ein Hunderte Millionen Pfund schwerer Anteil am indischen IT-Giganten Infosys, den ihr Vater N.R. Narayana Murty mitgegründet hatte. Im Tory-Wettbewerb fehlten Menschen, «die als gewöhnlich gelten», sagt der Politologe Tim Bale von der Queen Mary University London.
Deutlich härter geht SNP-Fraktionschef Blackford mit dem politischen Gegner ins Gericht. Als mögliche Premierminister stünden nur «schreckliche Kandidaten» zur Verfügung, schimpfte Blackford im Parlament. «Wer auch immer der nächste Tory-Chef wird, wird Dschingis Khan wie einen Gemässigten aussehen lassen.»