Unterstützung für Macrons Vorstoss Nato-Truppen in der Ukraine? «Also geht man das Risiko ein»

Philipp Dahm

24.5.2024

Erklärt: Putins Problem mit der Nato

Erklärt: Putins Problem mit der Nato

Die Ukraine verlangt Russlands Armee mehr ab als vom Kreml erwartet. Doch das eigentliche Ziel Wladimir Putins ist das Zurückdrängen der Nato: Die europäische Tiefebene ist der Schlüssel zu Moskaus Sicherheit.

14.06.2022

Noch im Februar stiess Emmanuel Macron auf Ablehnung, als er die Entsendung von Nato-Bodentruppen in die Ukraine vorgeschlagen hat. Doch langsam dreht sich der Wind – trotz dauernder Drohungen des Kreml.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Seit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Februar die Unterstützung der Ukraine durch westliche Bodentruppen ins Spiel gebracht hat, wird über konkretere Militärhilfe diskutiert.
  • Zur Debatte steht etwa die Einrichtung einer Flugverbotszone. Polen prüft, seine Luftabwehr auf die West-Ukraine auszudehnen.
  • Paris glaubt, es würden heute mehr Nato-Länder einer Entsendung von Ausbildenden in die Ukraine zustimmen.
  • Estlands Premier doppelt nun nach, ein Angriff auf Nato-Ausbildende in der Ukraine wäre kein Bündnisfall.
  • US-Militärs wie auch der Aussenminister unterstützen die Idee, doch Washington zögert gleichzeitig, Kiew den Einsatz westlicher Waffen gegen das russische Kernland zu erlauben.

Ins Rollen gebracht hat die Diskussion Emmanuel Macron: Frankreichs Präsident hatte am 26. Februar laut darüber nachgedacht, westliche Bodentruppen in der Ukraine einzusetzen.

Die Idee stiess auf wenig Gegenliebe: Berlin, London und Warschau lehnten den Vorstoss ab, während Moskau erwartbar warnte, das Ganze sei «enorm gefährlich».

Nato-Truppen beim Manöver nahe dem rumänischen Mahmudia. (Archivbild)
Nato-Truppen beim Manöver nahe dem rumänischen Mahmudia. (Archivbild)
Bild: Keystone
Krieg in der Ukraine

Seit Ende Februar 2022 tobt in der Ukraine nach der Invasion russischer Truppen ein erbitterter Krieg. blue News informiert dich im Ukraine-Ticker zu den aktuellen Entwicklungen rund um den Konflikt.

Doch das Thema ist damit nicht vom Tisch. Im Gegenteil: Bald darauf wurde bekannt, dass sich Nato-Soldaten bereits in der Ukraine befinden. Polens Aussenminister sagte am 8. März, die Länder, die Personal zur Waffen-Kontrolle abgestellt hätten, wüssten, wer gemeint sei.

Es gehe zwar nicht um einen Kampfeinsatz, aber Russland meldete, der Kreml sei sich dieser Tatsache bewusst – und es seien viele dieser Soldaten bereits gestorben.

Frage nach westlichen Bodentruppen «legitim»

Am 14. März bringt Estland die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine ins Spiel. Die Parlamente von Litauen und Lettland folgten drei Tage später mit derselben Forderung. Während sich der slowenische Premier dem Vorhaben anschloss, haben die grossen Nato-Staaten abgewinkt – obwohl etwa in den USA Anfang März 74 Prozent der Teilnehmenden einer Umfrage eine No-Fly-Zone unterstützt haben.

So konstant die Diskussion im Westen weiterlief, so beständig blieben auch die Drohungen aus Moskau. Anfang April warnte Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow, die Beziehungen zur Nato seien «nun auf das Level der direkten Konfrontation» gesunken. Das Bündnis sei laut Peskow «bereits in die Konflikte involviert, die die Ukraine umgeben», und weite «seine militärische Infrastruktur gegen unsere Grenze aus». 

Anfang Mai legte Macron im Interview mit dem «Economist» noch einmal nach: Die Frage nach westlichen Bodentruppen sei «legitim, falls russische Soldaten die ukrainische Verteidigungslinie durchbrächen».

«Russland darf in der Ukraine nicht gewinnen»

«Ich schliesse nichts aus, weil wir uns jemandem gegenübersehen, der nichts ausschliesst», betonte der französische Präsident. Mit Blick auf Europas Sicherheit fügte er an: «Ich habe ein klares strategisches Ziel: Russland darf in der Ukraine nicht gewinnen.»

Der 46-Jährige mahnte, dass «die Dinge sehr schnell auseinanderfallen könnten». Paris brachte dabei die Idee ins Spiel, westliche Truppen könnten von der ukrainischen Armee Aufgaben im rückwärtigen Raum übernehmen – wie etwa die Bewachung der Grenze zu Belarus, um Kräfte für Kiew freizusetzen.

Diesen Faden hat Estland wieder aufgegriffen: Die Regierung in Tallinn diskutiert laut «Breaking Defense» nun «ernsthaft» über die Entsendung von Truppen in die Ukraine. Es gehe nicht um Kampfeinsätze, betonte der nationale Sicherheitsberater Madis Roll. «Die Diskussionen halten an», sagte er. «Wir sollten alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.»

«Also geht man das Risiko ein»

Estlands Premier Kaja Kallas legte in der «Financial Times» nach: Wenn Nato-Staaten Ausbildende in die Ukraine schicken würden, würde das die Beziehung zu Russland nicht eskalieren, glaubt die 46-Jährige. Wenn diese Ausbildenden etwa attackiert würden, hiesse das nicht, dass Nato-Artikel 5 greife, nach dem ein Angriff auf ein Nato-Land ein Vorgehen gegen alle sei.

«Wenn du deine Leute in die Ukraine schickst, weisst du, dass das Land im Krieg steht und dass du riskantes Gebiet betrittst. Also geht man das Risiko ein», so Kallas. Kiew würde jedenfalls viel Zeit und Effort sparen, wenn die eigenen Rekruten nicht mehr ins Ausland gebracht werden müssen, um ihre militärische Ausbildung zu absolvieren.

Neben den Bodentruppen ist auch die Flugabwehr weiter ein Thema: Polen prüft nun, ob die eigene Luftabwehr ihren Schirm aus dem äussersten Westen der Ukraine ausdehnen und russische Raketen abfangen könnte, die Ziele in diesem Gebiet anfliegen, verrät ein Sprecher des Aussenministeriums.

«Das Momentum baut sich ‹klar› auf»

«Das Momentum für Nato-Truppen in der Ukraine baut sich ‹klar› auf», titelt nun «Newsweek»: Nach Macrons Vorstoss im Februar, der noch auf breite Ablehnung gestossen sei, würden nun mehr und mehr Europäer von ihrer Position abweichen, sagt Benjamin Haddad, der in Macrons Partei für Aussenpolitik zuständig ist. 

«Wir verschwenden zu viel Zeit damit, uns Sorgen über eine Eskalation zu machen, während Russland das Land ist, das eskaliert», so Haddad. Ähnlich tönt US-General Charles Q. Brown Jr., für den Nato-Ausbildende in der Ukraine unvermeidlich sind: «Mit der Zeit kommen wir dahin», prophezeit der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff.

Auf der anderen Seite ziert sich Washington, Kiew die Freigabe zu erteilen, US-Waffen auch gegen das russische Kernland einzusetzen. Gegen diese Haltung regt sich nun Widerstand in den eigenen Reihen: Eine Gruppe von Abgeordneten fordert in einem offenen Brief, das Verbot aufzuheben.

Zuürckhaltung? Kreml führt bereits einen «Schatten-Krieg» 

Laut «New York Times» unterstützt auch Aussenminister Antony Blinken das Vorhaben, während sich Präsident Joe Biden offenbar noch vor dem Ausbruch des Dritten Weltkrieges fürchtet. Doch inzwischen soll auch Washington darüber nachdenken, Ausbildende ins Kriegsgebiet zu entsenden.

Es riecht also danach, dass sich die westliche Militärhilfe bald in neues Terrain vorwagt. Doch während Berlin und Washington noch zögern, macht Moskau Nägel mit Köpfen: Russland führe einen «Schatten-Krieg» gegen den Westen, mahnt Premier Kallas mit Blick auf die hybride Kriegsführung des Kreml.

Gerade erst ist in Polen ein russischer Spionagering ausgehoben worden. Litauens Präsident Gitanas Nauseda warnt, «es kann wieder Sabotageakte geben». Dazu passt, dass Frankreich nun untersucht, ob Russland hinter der jüngsten Schändung des Holocaust-Mahnmals in Paris steckt.

Die Konkretisierung der westlichen Militärhilfe wird angesichts dieser Entwicklungen als Thema so schnell nicht von der Tagesordnung verschwinden.

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