Boris Johnsons ErfolgsgeheimnisMit Marotten nach ganz oben – Warum die Briten so exzentrisch sind
dpa/tafi
3.8.2019
Der neue britische Premierminister Boris Johnson mag in Schweizer Augen ein ziemlich schräger Typ sein. Auf der Insel hingegen gilt Exzentrik als Charakterstärke: Nur wer auffällt, schafft es bis nach oben. Warum ist das so?
Der eine benimmt sich wie ein polternder Komödiant im Porzellanladen, der andere fällt mit versnobtem Upper-Class-Geschnösel auf: Der neue britische Premierminister Boris Johnson und der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg sprengen mit ihrem exzentrischen Verhalten den Rahmen des im politischen Bern Vorstellbaren. Am Bundesplatz punktet man ja mit Seriosität bis hin zur Langeweile, wohingegen man es in Grossbritannien offenbar nicht trotz, sondern gerade dank mancher Schrulle bis ganz nach oben schaffen kann. Warum ist das so?
«In der britischen Gesellschaft gibt es eine viel grössere Toleranz für das Exzentrische», sagt Andrew James Johnston, Professor für englische Literatur an der Freien Universität Berlin. «Da gab es den Lord, der beim Abendessen immer eine Blaskapelle um seinen Tisch marschieren liess, oder den britischen Militärkommandanten in Berlin, der seinen Hund an der Tafel mit Platz nehmen liess.»
Exzentrizität gelte auf der Insel als eine Form von Charakterstärke. «Jacob Rees-Mogg wird ja zum Beispiel oft als 'Minister für das 18. Jahrhundert' bezeichnet», erläutert Johnston. «Er lebt in vielerlei Hinsicht in einer anderen Epoche, deren Werte er sich zu eigen gemacht zu haben glaubt.» In dieser Fantasiewelt bewege er sich aber so überzeugend, dass er viele Menschen fasziniere.
Hauptsache sendebewusst
Diese Fähigkeit zur Selbstinszenierung werde der englischen Oberschicht schon in Kindheit und Jugend antrainiert, sagt Johnston. «Sowohl in Eton als auch in Oxford kommt es ganz massiv darauf an, ein Sonderbewusstsein zu kultivieren. Denken Sie an diese eigentümlichen Fräcke und Zylinder der Eton-Schüler, die völlig aus der Zeit gefallen sind. In Debattierclubs werden diese Eigenheiten zusätzlich gepflegt.
Es geht dort gar nicht mal unbedingt um das bessere Argument, sondern um 'wit' – um intellektuelle Brillanz, Schlagfertigkeit, Witz, um die bessere, pointiert ironische Formulierung.» Der allerschlechteste englische Redner stecke noch «ein ganzes Kollegium deutscher Stadträte» in die Tasche, konstatierte schon im 19. Jahrhundert der preussische Schriftsteller Theodor Fontane.
Das ist beim grossen Nachbarn im Norden bis heute nicht anders. Deswegen fragt Karina Urbach, Historikerin an der US-Eliteuni Princeton, einfach mal anders herum: «Warum erwarten wir in Deutschland, dass Politiker anderer Nationen sich genauso wie deutsche Politiker benehmen? Das zeigt doch eine gewisse Provinzialität unserseits. Churchill war auch ein berühmter Exzentriker.» Er bellte abends beim Nach-Hause-Kommen «Wau-wau», was seine Frau Clementine mit einem niedlichen «Miau, miau» beantwortete.
Politiker und Komiker geniessen die gleiche Ausbildung
Unvorstellbar ist zum Beispiel, dass Spitzenpolitiker und Spitzenkomiker oft die gleiche Ausbildung genossen haben. «Institutionen wie die Universität Cambridge sind auch eine Pflanzstätte der englischen Komiker- und Schauspieleravantgarde – man denke an Monty Python.» Das heisst für Johnston: «Es ist eine sich durch die ganze Gesellschaft ziehende Kultur des extravagant-Schauspielerischen, des Inszenatorischen.» Selbst die oft als graue Maus beschriebene bisherige Premierministerin Theresa May habe sich mit ihren ausgefallenen Schuhen einen Hauch von Exzentrizität gegeben.
In Deutschland fragt man sich deshalb schon, ob eine sachorientierte Politikerin wie Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Briten nicht geradezu abschreckend fade wirken muss? «Nein», meint Johnston. «Angela Merkel geniesst in Grossbritannien extrem hohes Ansehen, gerade weil sie einen ganz anderen Politikstil verkörpert. Einen Stil der Gelassenheit, der als Gegenmodell zur Inszenierung sehr goutiert wird.» Denn eines darf man bei alldem wohl nicht vergessen: Auch in ihrer Heimat sind Johnson und Rees-Mogg hoch umstritten.
Begründet wurde die Vorliebe für aparte Überspanntheiten übrigens einst vom englischen Hochadel. Als Miterfinder des «Spleens» – der blaublütigen Marotte – gilt Baron Rokeby (1712-1800), der während eines Kuraufenthalts in Aachen beschloss, nunmehr als Amphibie durchs Leben zu gehen. Von Stund an verbrachte er den Grossteil des Tages im Wasser. Sein Zeitgenosse Johann Wolfgang von Goethe machte die Beobachtung, dass den Engländer eine gewisse «Eigenwüchsigkeit» auszeichne.
Boris Johnson ist für sein loses Mundwerk bekannt. So sagte er einst: «Die Chancen, dass ich Premier werde, sind in etwa gleich gross wie die, Elvis auf dem Mars zu finden oder dass ich als Olive wiedergeboren werde.»
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«Meine Kuchen-Politik ist pro Kuchen und pro Kuchen essen.»
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«Meine Sprechweise wurde von keiner geringeren Autorität als Arnold Schwarzenegger kritisiert. Es ist ein Tiefpunkt, Freunde, wenn die eigenen rhetorischen Fähigkeiten von einem einsilbigen österreichischen Cyborg schlechtgemacht werden.»
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Über den früheren US-Präsidenten Barack Obama: «Der teils kenianische Präsident hat eine angestammte Abneigung gegen das Britische Empire – das Churchill so feurig verteidigt hatte.»
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«Der kulturelle Einfluss der Chinesen ist faktisch null, und es scheint unwahrscheinlich, dass er zunimmt.»
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Über die frühere US-Aussenministerin Hillary Clinton: «Sie hat die blondgefärbten Haare und Schmolllippen, und ein stahlblaues Starren, wie eine sadistische Krankenschwester in einer Nervenheilanstalt.»
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