Late Night USA «Es wäre schon schlimm genug, wenn Boris bloss ein Lügner wäre …»

Von Philipp Dahm

29.7.2019

In seiner neusten Sendung knöpft sich Comedian John Oliver den neuen britischen Premier vor. 

Video: Youtube

Er sei ein Lügner, ein Blender, ein gefährlicher Populist, erklärt John Oliver seinem amerikanischen TV-Publikum. Er muss es wissen, geht es doch um seinen englischen Landsmann: den neuen Premier Boris Johnson.

«In Grossbritannien gab es diese Woche grosse Neuigkeiten», erklärt John Oliver seinem «Last Week Tonight»-Publikum. «Unglaublicherweise heisst der neue Premierminister Boris Johnson.»

Vielleicht hätten die Zuschauer ja schon von ihm gehört: «Wenn Sie schon einmal ein Foto von ihm gesehen haben, werden Sie sich an ihn erinnern, denn es ist ehrlich gesagt schwer eines zu finden, auf dem er nicht lächerlich aussieht.»

Aber es soll ja nicht nur um Äusserlichkeiten gehen, wenn es um Londons neuen starken Mann geht. Was macht dieser eigentlich, wenn er mal entspannen will? Ab Minute 1:58 berichtet Johnson, dass er gern Car-Modelle zusammenbaut: «Ich male die Passagiere an, die sich amüsierenn … In einem wundervollen Bus.»

Clown-Figur mit komischem Haar

John Oliver mag dem Politiker dies nicht abkaufen, er sagt aber auch: «Boris ist so viel mehr als der potenzielle Michelangelo des Fahrzeug-Craftings, er war die führende Kraft der Brexit-Kampagne, der medienwirksamen in einem gigantischen, roten Bus unterwegs war, auf dem eine totale Lüge stand.»

Und nun muss dieser Mann den für den 31. Oktober geplanten Brexit über die Bühne bringen – das sind nicht mal mehr 100 Tage Zeit, um das No-Deal-Szenario abzuwenden, das in Grossbritannien, aber auch in Europa und womöglich gar weltweit eine Rezession auslösen könnte.

Eine Clown-Figur mit komischem Haar und einem gespaltenen Verhältnis zur Wahrheit? Da kommen natürlich Gedanken an den US-Präsidenten auf. Sogar Donald Trump selbst bemüht diesen derzeit häufig angestellten Vergleich: «Es gibt einen Briten-Trump. Sie nennen ihn Briten-Trump», sagt der New Yorker im Ausschnitt ab 3:39 Minute. «Das ist eine gute Sache. Sie mochten mich da drüben.» John Oliver korrigiert lapidar: «Nein, tun sie nicht. Überhaupt nicht.»

Ein Helm der gross und gleichzeitig zu klein ist – das muss man erstmal schaffen, meint John Oliver.
Ein Helm der gross und gleichzeitig zu klein ist – das muss man erstmal schaffen, meint John Oliver.
Screenshot: YouTube

Bewusste Fehltritte

Johnson sei vielschichtiger als der Amerikaner, findet der Moderator. Ab Minute 4:44 zeigt er einen Ausschnitt, der vor den Olympischen Spielen in London entstanden ist: Johnson erzählt darin, wie die Briten unter dem Namen «Wiff waff» Tischtennis erfunden hätten.

Jene Olympischen Spiele, bei deren Vorbereitung Boris Johnson an einem Seil festhing und zum Lacher wurde – doch im Weiteren zeigt «Last Week Tonight» auf, dass solche vermeintlichen Fehltritte ganz bewusste Schritte auf dem Weg nach oben gewesen sind.

Die Taktik: Wer ein bisschen schusselig tut, weil er es nicht so genau nimmt, wird als lustig wahrgenommen und erweckt den Eindruck, er wisse eigentlich doch Bescheid. «Der Punkt ist: Johnsons Rolle als Durchmogelnder ist ein sorgfältig ausgetüftelter Auftritt. Nehmen Sie nur sein Haar: Mehrere Leute haben gesagt, dass er es ganz bewusst verstrubelt.»

Lieber Schelm als Elite

So tweete etwa eine BBC-Produzentin, dass Johnson sich immer dann über den Kopf fährt, bevor die Kameras angehen. So wolle der Politiker den Eindruck eines «liebenswerten Schelms» erwecken.

«Er sieht so aus, weil er es will», macht Oliver deutlich. Nicht nur was die Frisur angeht, sondern auch mit Blick auf seine Kleidung. Doch der Wähler könne nun mal mehr mit den fragwürdigen Jogging-Outfits des Mannes anfangen als mit seinen Anzug-Fotos von dessen Elite-Universität Oxford.

Einer von uns: Johnsons gibt sich modetchnisch alltäglich.
Einer von uns: Johnsons gibt sich modetchnisch alltäglich.
Screenshot:  YouTube

«Er präsentiert sich als Cartoon-Engländer, der sich wie ein Waschbär anzieht, der gerade aus dem Kehricht [des Autors] David Foster Wallace aufgetaucht ist. Und wenn man mal begriffen hat, was er macht, beginnt man an dem zu zweifeln, was man vorher charmant fand.»

Unübersehbar

So wird etwa spekuliert, dass Johnson seine plötzliche Liebe für Car-Modelle nur entdeckt habe, um auf Google bei der Suche nach seinem Namen und dem Wort «bus» nicht mehr die Berichte über seine Anti-Brexit-Tour im Doppeldecker ganz oben zu sehen.  

«Und wer einmal gesehen hat, dass seine Ausfälle tatsächlich kalkulierte Manipulationen sind, kann nicht mehr die Augen davon abwenden», findet Oliver. Es sei, als hätte man endlich den Pfeil im FedEx-Logo entdeckt. «Man sieht es nie mehr mit den gleichen Augen.»

Der FedEx-Pfeil – wer ihn bemerkt hat, sieht ihn fortan immer im Logo des Paketdienstes.
Der FedEx-Pfeil – wer ihn bemerkt hat, sieht ihn fortan immer im Logo des Paketdienstes.
Screenshot:  YouTube

Johnson sei ein Lügner, klagt Oliver: Als der amtierende Premier noch Journalist gewesen sein, habe ihn die «Times of London» wegen erfundener Zitate entlassen. Dann habe er für den «Daily Telegraph» als Korrespondent in Brüssel gesessen und dort Front gegen die EU gemacht  – wie, das erzählt er im Clip ab Minute 11:33.

Populismus «deprimierend effektiv»

So kolportierte Johnson 1991, die EU wolle den Briten Prawn-Cocktail-Chips verbieten. Eine Lüge, die sich dennoch schnell verbreitete – als Beispiel für die überbordende Bürokratie in Brüssel. «Aber sehen Sie: Es wäre schon schlimm genug, wenn Boris bloss ein Lügner wäre …»

Der Moderator spricht populistische Thesen des neuen Premiers an – etwa dass sich Migranten an den Staat klammern, dass Homosexuelle nur «Po-Jungs mit Tanktops» seien und muslimische Frauen «wie Briefkästen» und «wie Bankräuber» aussähen. «Ein entsetzlicher Kommentar», ätzt Oliver, «der einen wahrhaft widerlichen Geschmack im Mund zurücklässt.»

Doch Johnsons Masche verhebe, meint der Moderator: «Sehen Sie sich an, wie deprimierend effektiv sie ist.» Ab Minute 14:12 werden wir Zeuge, wie der Politiker vor seiner Haustür Journalisten einseift.

Johnson besticht wartende Journlisten mit Tee und Freundlichkeit.
Johnson besticht wartende Journlisten mit Tee und Freundlichkeit.
Screenshot: YouTube

Hitler-Kacke als Bumerang?

Schliesslich erzählt noch ein Berichterstatter, was ein Kollege Johnsons gesagt haben soll: Mit ihm zu arbeiten sei, wie einem Pferd hinterherzulaufen und permanent dessen Pferdeäpfel wegräumen zu müssen. Und es könnte bald – mit Verlaub – eine ganze Menge Scheisse anfallen, die aus dem Weg geräumt werden muss, denn London ist nun auf den guten Willen Brüssels angewiesen.

So sieht ein Ei aus, das behaart und traurig ist, findet John Oliver.
So sieht ein Ei aus, das behaart und traurig ist, findet John Oliver.
Screenshot: YouTube

Dumm nur, dass der neue Premier die EU mit Adolf Hitler verglichen hat: 2016 warnte er, Brüssel wolle Europa unter einer «Autorität» vereinen – wie einst der deutsche Dikator. Die Franzosen hatte er als «Kacke» beleidigt – und die EU wird auch seine Brexit-Kampagne nicht vergessen haben. Hier dürfte Johnson der falsche Mann sein – quasi als wenn man Hugh Grant in einen Film über 9/11 stecken würde.

Nur Fokussieren, Disziplin und Details könnten ihn nun noch retten, meint Oliver. Nur: Das seien alles Achillesfersen des Politikers. Ab Minute 19:32 wird das nochmal mit einem Johnson-Clip  untermauert. «Es gibt keinen Grund, guter Hoffnung zu sein, beendet der Moderator sein Plädoyer. Johnson sei in die Ecke gedrängt, und es dauere nur noch drei Monate, bis der Vulkan ausbräche.

Hoffen wir für Europa, dass sich Herr Oliver irrt.

Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

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