Aufmarsch an der Grenze Darum eskaliert der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo gerade jetzt

phi

29.9.2021

Serbische Truppe am 27. September nahe Rudnica an der Grenze zum Kosovo.
Serbische Truppe am 27. September nahe Rudnica an der Grenze zum Kosovo.
Bild: Keystone

Bei dem Streit zwischen dem Kosovo und Serbien geht es eigentlich nur um Nummernschilder für Autos – doch die Sache ist jetzt so weit eskaliert, dass die Nato die Grenze zwischen den beiden Ländern sichern muss.

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Die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo sind so angespannt wie schon seit zehn Jahren nicht mehr. Serben, die im Kosovo leben, blockieren zwei Grenzübergänge.

Eine Sondereinheit der kosovarischen Polizei hat Stellung bezogen, das serbische Militär ist in Alarmbereitschaft – und auch die Nato ist an der Grenze präsent.

Wie es so weit gekommen ist und was die Interessen der Konfliktparteien sind, erklären diese fünf Fragen und Antworten.

Was ist der Auslöser für den Streit?

Nach dem Kosovokrieg zwischen 1998 und 1999 ist der Kosovo im Jahr 2008 eine unabhängige Republik geworden. Serbien erkennt den Staat jedoch nicht an. Nun hat die Regierung in Pristina beschlossen, dass in dem Land keine Autos mehr mit serbischen Kennzeichen unterwegs sein dürfen. 

Entsprechende Fahrzeuge bekommen neu an der Grenze temporäre kosovarische Nummernschilder. Das passt ethnischen Serben, die im Norden unweit der Stadt Mitrovica leben, überhaupt nicht. Sie haben die zwei Grenzübergänge besetzt und wollen so lange demonstrieren, bis sie wieder die serbischen Kennzeichen benutzen dürfen. Pristina reagierte mit der Verordnung auf einen Zug Serbiens, das seinerseits die kosovarischen Kennzeichen nicht anerkennt.

Warum ist die Sache eskaliert?

Pristina hat auf die Proteste reagiert, indem eine Sondereinheit der Polizei zur Grenze berufen worden ist. Das wiederum empfinden die Serben als Angriff: «Nach den Provokationen durch die [Sondereinheit] hat der serbische Präsident Aleksandar Vučić serbische Armee- und Polizeieinheiten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt», liess Belgrad mitteilen.

Am Wochenende haben sogar serbische Kampfflugzeuge das Grenzgebiet beim Dorf Jarinje überflogen – unter Applaus jener Serben, die noch immer den Grenzübergang besetzt halten und mit schweren LKWs versperren.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Die EU hat beide Seiten dazu aufgerufen, ruhig zu bleiben. Chef-Diplomat Josep Borrell fordert sowohl den Abzug der Sondereinheit als auch die Auflösung der Strassensperren durch die Serben. «Jede weitere Provokation oder einseitige oder unkoordinierte Aktionen sind inakzeptabel.»

Auch die Nato, die seit 22 Jahren in dem Gebiet stationiert ist, beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sowohl mit dem serbischen Präsidenten wie auch dem kosovarischen Premier Albin Kurti telefoniert, wie Stoltenberg auf Twitter mitteilte.

«Es ist zentral, dass sowohl Belgrad als auch Pristina Zurückhaltung an den Tag legen und zum Dialog zurückkehren», so Stoltenberg. Washington hat sich dem Appell der Nato, in der der Kosovo Mitglied ist, angeschlossen. Das Militärbündnis will nun mehr Patrouillen in dem Gebiet fahren.

Wer ist schuld an der Lage?

Der Konflikt wirkt auf beiden Seiten gesucht. Einerseits hätte Kosovos Premier Kurti nicht so unsensibel und über Nacht die «Status-neutralen» Kennzeichen verbieten müssen, die im Nordkosovo von 80 Prozent der Einwohner genutzt werden.

«Wenn er das nicht getan hätte, hätte das serbische Regime es nicht nutzen können, um einen Konflikt eskalieren zu lassen», beschreibt Srdjan Cvijić die andere Seite im Gespräch mit «Balkan Insight». «Das grösste Problem nach all dem wird sein, das zerbrechliche Vertrauen zwischen den Leuten wiederaufzubauen, die im Kosovo leben.»

Cvijić vom Brüssler Open Society European Policy Institute erklärt: «Auf beiden Seiten verbreiten Meinungsführer eine giftige Atmosphäre, und dieses Säbelrasseln ängstigt die normalen Leute.» Nun sei es wichtig, dass die Serben im Nordkosovo eine Sprache finden, die mit dem Rest des Landes auf einer Linie liege. «Die Krise ist fake», fasst Cvijić zusammen.

Wie geht es weiter?

Obwohl Serbien in der Nähe der Grenze ein paar Schützenpanzer aufgefahren und Jets nach Jarinje entsandt hat, ist eine militärische Eskalation sehr unwahrscheinlich. Das Problem ist jedoch, dass der von der EU geleitete Dialog zwischen den beiden Ländern «klinisch tot» ist, wie Agon Maliqi sagt.

Der Balkan-Analyst sieht «weder im Kosovo noch in Serbien den ernsthaften Wunsch nach Gesprächen, und es gibt im Westen nicht die notwendige Energie, um durch ein Fortschreiten im EU-Integrationsprozess den Schwung zu vermitteln, um vorwärts zu machen.»

Nun schlägt also die Stunde der Diplomaten, die zusehen müssen, dass die Lage sich nicht noch weiter zuspitzt.