Lagebild UkraineSelenskyjs Drohnen-Piloten machen Jagd auf Putins Helikopter
Von Philipp Dahm
7.9.2023
USA liefern erstmals umstrittene Uran-Munition an Ukraine
US-Aussenminister Blinken hat seinem ukrainischen Amtskollegen Kuleba langfristige Unterstützung der USA versprochen. Zur neusten Waffenlieferung im Wert von 175 Millionen Dollar gehört Panzer-Munition, die abgereicherstes Uran enthält.
07.09.2023
Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine gibt es gerade mehrere Beispiele, an denen sich das Prinzip von Ursache und Wirkung gut aufzeigen lässt. Das Momentum ist aufseiten Kiews.
Von Philipp Dahm
07.09.2023, 12:16
07.09.2023, 12:51
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Niedrige Kosten, hoher potenzieller Schaden: Die Ukraine beginnt damit, russische Helikopter mit Drohnen anzugreifen.
Die Strategie zahlt sich aus: Ukrainische Bayraktar-Drohnen operieren ungestraft auf der Krim, wo die Luftabwehr dezimiert wurde.
Counter battery fire: Die ukrainische Artillerie scheint im Süden des Landes ihrem russischen Pendant derzeit überlegen.
Kopflos: Weil die Kommunikation gestört ist, kommen zu viele russische Offiziere der Front zu nahe und sterben.
Ein russischer Gegenangriff der 76. Garde-Luftsturm-Division und weiterer Truppen auf Robotyne wurde zurückgeschlagen.
Südlich von Bachmut sind die Siedlungen eingeebnet und bieten keinen Schutz mehr für die Infanterie.
Das Video wirkt zunächst gar nicht spektakulär. In niedriger Auflösung fliegt das Publikum mit einer FPV-Drohne mit – eben in First Person View. Das unbemannte Flugobjekt steuert auf einen russischen Helikopter zu: Der Ka-52 Alligator gilt als einer der besten Kampfhelikopter auf dem Markt.
Schnell wird deutlich, dass die Drohe versucht, den Helikopter zu rammen, der jedoch zu schnell ist, während der Drohne der Saft ausgeht. «Du wirst bald gefangen sein», prophezeit der ukrainische Pilot dennoch, als er den Clip auf Telegram veröffentlicht. Er gehört zu den sogenannten Vögeln von Magyar. Robert Browdi, Kampfname Magyar, ist Kommandeur der 2. Angriffskompanie der 28. Mechanisierten Brigade: Seine Drohnen-Einheit ist legendär.
Auch wenn der gezeigte Kamikaze-Angriff misslingt, scheint der Vorgang ein Vorbote zu sein: Tausende Drohnen sind tagtäglich im Kriegsgebiet im Einsatz und richten für ihren geringen Preis oft überproportional hohen Schaden an. Mit einer Investition von wenigen Tausend Dollar einen Ka-52 vom Himmel zu holen, der 16 Millionen Dollar kosten soll, ergibt militärisch Sinn.
Nachdem die ukrainischen Streitkräfte zuletzt Schnellboote mit schultergestützten Flugabwehrraketen geschützt haben, dürfte es angesichts der anpassungsfähigen Rüstungsindustrie nicht lange dauern, bis die heimischen Drohnen auch Luft-Luft-Raketen verschiessen können. Dann wird die Luft für russische Helikopter-Piloten richtig dünn.
«Schläge hinter feindlichen Linien zahlen sich aus»
Generell lässt sich auf dem Schlachtfeld in der Ukraine derzeit gut ablesen, wie gut Kiews Strategie aufgeht, gezielt die gegnerische Luftabwehr und Artillerie unter Feuer zu nehmen. So wie am 23. August, als erstmals eine S-400 Triumf auf der Krim zerstört worden ist – es war «Ein rabenschwarzer Tag für Putin – nichts als Ärger».
Auf der Halbinsel ist die Flugabwehr inzwischen offenbar so ausgedünnt, dass die Bayraktar TB-2, die zu Beginn des Krieges häufig in den Schlagzeilen war, dort nun wieder ungestraft jagen kann. Gleichzeitig scheint im Süden der Ukraine Kiews Artillerie die Oberhand über den Gegner gewonnen zu haben. Das liegt an den Artillerieduellen alias counter battery fire, die Kiews Kräfte seit Anfang August suchen.
#Ukraine: After time absent, the Ukrainian Bayraktar TB2 UCAV is back - a Russian KS-701 patrol boat unloading equipment was destroyed by a TB-2 strike reportedly in the North-Western part of the Black Sea. pic.twitter.com/37110TYgpQ
Weil die russische Armee diesen Punkt vernachlässigt hat und die Ukrainer zudem gegnerische Nachschubwege stören, haben Moskaus Langstrecken-Waffen an Effektivität verloren. «Die ukrainischen Schläge hinter feindlichen Linien zahlen sich aus», staunt das «New Lines Magazine» auch mit Blick auf die Mega-Drohnenattacke vom 29. August.
Ukrainian counter-battery warfare continues on the Zaporizhzhia front.
As a result of AFU artillery strikes, destroyed or damaged were at least one 2A65 Msta-B and one 2A36 Giatsint-B 152mm towed howitzer, one 2S19 Msta-S 152mm SPG, and one BM-21 Grad 122mm MRL.
Was Ursache und Wirkung angeht, profitiert Wolodymyr Selenskyj auch von der Störung der russischen Kommunikation: Weil die Kommandeure Mühe haben, Rücksprache mit ihren Truppen zu halten, müssen diese zu oft zu nahe an die Front fahren. Das schlägt sich in den hohen Verlusten auch bei niedrigeren und mittleren Offiziersrängen nieder, die nun in der Führung der russischen Soldaten fehlen, beklagt Militär-Blogger Murz.
Russians lost a rare 9S36M radar unit of a Buk-M3 air defense system by a HIMARS strike. The unit price is around $40 million and not many of these vehicles, which have been introduced in 2015, have been manufactured.
Kiews strategische Planungen wirken sich konkret auf die taktische Situation aus. So hat der Mega-Drohnenangriff am 29. August die Basis der 76. Garde-Luftsturm-Division in Pskow sowie ihr Transportgeschwader angegriffen. Diese Einheit kämpft gerade bei Robotyne und könnte Verstärkung gut gebrauchen.
Denn die 76. Garde-Luftsturm-Division hat sich zusammen mit anderen russischen Einheiten an einer Gegenoffensive in Robotyne im Oblast Saporischschja versucht. Die Einnahme der Schützengräben südlich der Stadt ist aber ebenso gescheitert wie ein Angriff von Westen her, der selbst in den Flanken getroffen worden ist.
Assault and clearing of enemy trenches in the Zaporizhzhia sector by the 15th Operational Brigade of the National Guard of Ukraine's Kara-Dag. pic.twitter.com/qjNe7767mw
Für Kiew ist wichtig, dass die eigenen Truppen in diesem Frontabschnitt die ersten beiden russischen Verteidigungslinien infiltriert haben. Sie versuchen nun, die Kontrolle über die Schützengräben nach Westen auszuweiten. Einen Einblick, was das bedeutet, gibt das oben stehende X-Video, in dem keine Opfer zu sehen sind.
Und was ist mit den russischen Erfolgen?
Im Süden von Bachmut gibt es wenig Neues zu berichten. Die Russen haben die Siedlung Andriivka zwar geräumt, doch die ukrainischen Soldaten sind nicht nachgerückt. Der Grund: Hier steht keines der Häuser mehr, um Deckung zu geben. Auch Klischtschijiwka ist nach wie vor zu 80 Prozent in der Hand der Ukraine. Da Drohnen im Waldstück im Norden des Dorfes Minen beseitigen, könnte dort der nächste Versuch starten, die Russen ganz zu vertreiben.
Auch wenn auf den Militärkarten wenig Fortschritt zu sehen ist, sind die ukrainischen Streitkräfte sehr aktiv: Laut Sprecherin Sarah Ashton-Cirillo gab es allein am 6. September 39 verschiedene Schlachten und 18 Einsätze der Luftwaffe. In den letzten zwei Tagen wurden 60 russische Flug- und Fahrzeuge getroffen, während die Gegenseite nur 14-mal erfolgreich war. Es handelt sich dabei um visuell bestätigte Verluste.
Russian vs. Ukrainian losses over the past two days via Andrew
Aber feiert nur Kiews Armee Erfolge? Natürlich nicht, zeigen auch die folgenden Tweets: mal funktioniert der Mini-Raketenwerfer Marke Eigenbau nicht, mal erwischt eine Lancet-Kamikaze-Drohne, mit der die Ukraine viel Mühe hat, eine gegnerische Flugabwehr vom Typ Buk-M1 und mal gelingt es, im Verbund mit der Artillerie einen britischen Challenger 2 mit einer Kornet-Panzerabwehrrakete zu zerstören.
The moment of the destruction of the Challenger 2 tank from the Kornet ATGM.
The enemy moved forward to attack with the forces of 2 tanks and 3 armored vehicles, came under artillery fire and stopped, and soon the British #Challenger2 received a Kornet missile under the turret… pic.twitter.com/sUyU3HeCXF
Doch an der Front – auch im Norden bei Kupjansk – geht es für Wladimir Putin nicht vorwärts. Dessen Sorgen werden nicht geringer werden: Die USA planen die nächste Lieferung von Streumunition, werden Kiew aber auch mit Panzer-Geschossen mit abgereichertem Uran versorgen, die schwere Panzerung brechen kann. Insgesamt hat US-Aussenminister Antony Blinken Präsident Selenskyj zusätzliche Militärhilfen in Höhe von einer Milliarde Dollar zugesagt.