Buggys, Drohnen und Panzer Selenskyjs Rüstungsindustrie erkämpft sich Marktanteile

Philipp Dahm

2.9.2023

Selenskyj will Waffenproduktion steigern

Selenskyj will Waffenproduktion steigern

Nach mehr als anderthalb Jahren Krieg hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine maximale Erhöhung der Waffenproduktion für den Kampf gegen die russische Invasion angekündigt. Neben Artilleriewaffen und Munition sollten auch Drohnen, Raketen und gepanzerte Fahrzeuge im Land hergestellt werden.

29.08.2023

Die ukrainische Waffen-Industrie ist bei Seedrohnen weltweit führend, und auch bei unbemannten Flugobjekten hat man sich nach oben gekämpft. Die Erfahrungen aus dem Krieg fliessen in die Produkte ein.

P. Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die ukrainische Rüstungsindustrie hat den Vorteil, ihre Produkte unter realistischen Bedingungen testen und laufend verbessern zu können.
  • In lokalen Werkstätten gibt es kleine Entwicklungen, die sich durch Kreativität auszeichnen.
  • Im Bereich der Seedrohnen ist die Ukraine heute weltweit führend.
  • Auch bei unbemannten Flugobjekten spielt Kiew oben mit. Sie bieten viel Feuerkraft für wenig Geld.
  • Eine Langstrecken-Drohne, die angeblich 1000 Kilometer weit fliegen kann, wurde bereits im Juli vorgestellt.
  • Ukrainische Eigenentwicklungen gibt es auch bei den Fahrzeugen: Panzer, Schützenpanzer, Radhaubitzen und gepanzerte Transporter werden selbst produziert.

«Wenn es um israelische Waffen geht, ist allen klar, dass sie gemacht wurden, um gegnerische Kräfte zu bekämpfen – nicht für Paraden oder einen Panzer-Biathlon», schreibt die «Ukrajinska Prawda». «Ukrainische Militär-Technik, die über die Jahre im Krieg gegen Russland gehärtet wurde, mag jetzt denselben Ruf geniessen.»

Tatsächlich müssen sich ukrainische wie auch importierte westliche Waffen gezwungenermassen tagtäglich auf dem Schlachtfeld bewähren. Der Praxistest kann den Herstellern wertvolle Tipps und Informationen liefern, was bereits gut ist und was verbessert werden kann. Nicht zuletzt macht der Krieg in der Ukraine auch Werbung für ihre Produkte, wenn es gut läuft.

Und Reklame macht die ukrainische Rüstungsindustrie für sich. Etwa mit den Militärfahrzeugen der Kosak-Familie, die Minen- und Raketentreffer einstecken. Oder mit Innovationen bei Drohnen, die in der Luft und auf See erstaunliche Erfolge feiern. Auch mit kreativen Lösungen überraschen Kiews Kräfte immer wieder.

So wie mit dem Buggy, der für die Evakuierung verletzter Soldaten benutzt wird: Er ist zu schnell und mobil, um ein Ziel für Panzerfäuste abzugeben. Gebaut wird er nach Anleitung in kleinen Werkstätten, die Konstruktion wird laufend angepasst. Das gilt auch für die Pick-ups, die mit drei Rohren eines Raketenwerfers von Typ BM-21 Grad ausgestattet sind.

Wie sich die Kriegsführung verändert

«Wir versuchen, sie präziser zu machen», sagt ein Soldat im «Times Radio»-Video mit Blick auf den BM-21. Nicht zuletzt sind die Einheiten mobiler, können näher ans Ziel fahren und in Gelände arbeiten, das dem grossen Raketenwerfer verwehrt bleibt. Drei Raketen seien zudem ebenso effektiv in einem Zielgebiet, wie 10 oder 20, ist sich ein anderer Ukrainer sicher.

Weltweit führend ist Kiew inzwischen bei den Seedrohnen: Zum ersten Mal überhaupt ist eine Einheit aufgestellt worden, die ausschliesslich mit ferngesteuerten Kamikaze-Booten agiert. Die 385th Separate Brigade kann dabei auf ganz unterschiedliche Typen zurückgreifen – von Unterwasser-Drohnen über umfunktionierte Jetskis bis hin zu unbemannten Schnellbooten.

Der Vorgang sei «eines der klarsten Signale der Veränderungen, die wir in der Kriegsführung erleben», kommentiert «Naval News». «Jedes neu vorgestellte Modell passt in eine unsichtbare Zeitleiste der Entwicklung.» Und dabei würden wir nur das sehen, was Kiew oder Moskau bereit sind, uns zu zeigen, hält der Autor fest.

Evolution im Schnelldurchlauf

Die ukrainischen Seedrohnen bereiten dem Kreml Kopfzerbrechen. Anfang August zerstörten Seedrohnen im Hafen von Noworossijsk das russische Landungsschiff Olenegorski Gornjak sowie den Tanker Sig unweit der Kertsch-Brücke, die selbst auch schon Ziel der ferngesteuerten Sprengstoff-Boote war.

Ukraine: Russisches Landungsschiff bei Drohnenangriff beschädigt

Ukraine: Russisches Landungsschiff bei Drohnenangriff beschädigt

Bei einem ukrainischen Seedrohnenangriff auf den russischen Schwarzmeerhafen von Noworossijsk ist nach Angaben aus Kiew ein Landungsschiff schwer beschädigt worden. Eine Seedrohne des Geheimdienstes SBU, beladen mit 450 Kilogramm Sprengstoff, soll das feindliche Schiff angegriffen haben, zitierten mehrere ukrainische Medien einen Informanten.

05.08.2023

Der Kreml nimmt die Bedrohung so ernst, dass bei der Brücke zwischen der Krim und dem russischen Festland nun schon Fähren versenkt und Netze gespannt werden, um weitere Attacken auf die enorm wichtige Nachschub-Linie tunlichst zu verhindern.

«Die Evolution dieser Marine-Vehikel geht sehr schnell», erklärt Militär-Experte Oleksandr Kowalenko im UATV. Die Seedrohnen des Typs Magura hat ihm zufolge eine Reichweite von rund 800 Kilometern. Die Version V5, die 300 Kilogramm Sprengstoff mitführen kann, wurde im Juli vorgestellt: Sie kann Kamikaze-, aber auch Überwachungsmissionen absolvieren und wird vom Staatskonzern SpetsTechnoExport gebaut.

Viel Feuerkraft für wenig Geld

Auch bei den unbemannten Luftfahrzeugen nimmt die Ukraine inzwischen eine führende Rolle ein. «Mit jeder neuen Kampfmission werden ukrainische Drohnen besser» zitiert UATV Oleksij Danilow, den Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats. Das Gerät werde genauer, die Piloten erfahrener, die Koordination besser und die Hersteller könnten ihre Produkte verbessern. 

«Der Augst war besonders erfolgreich für ukrainische Jäger», so Danilow. Nun werde daran gearbeitet, Reichweite und Effektivität auszubauen. Die heimischen Hersteller seien klar im Vorteil: «Der ukrainische militärisch-industrielle Komplex wird zweifelsfrei einer der grossen Player weltweit werden, dessen Ausrüstung einen einzigartigen Kampf-Test bestanden hat.»

Kiews Streitkräfte verfügen über ganz unterschiedliche unbemannte Luftfahrzeuge: Die Rubak ist Anfang August vorgestellt worden und kann einen 5-Kilogramm-Sprengkopf tragen, die Trembita ist ebenfalls neu, hat aber einen 20 Kilogramm-Sprengkopf. Gemein ist ihnen, dass sie für wenig Geld viel Schaden anrichten können.

Langstrecken-Drohne wurde schon im Juli enthüllt

Während diese Drohnen eine begrenzte Reichweite haben und ab 3000 Dollar zu haben sind, kostet der Bober – Ukrainisch für Bieber – zwar über 100’000 Dollar, doch er kann dafür angeblich bis zu 1000 Kilometer weit fliegen.

Es ist gut möglich, dass dieser Typ in der Nacht vom 29. auf den 30. August am Start war, als Kiews Drohnen im russischen Oblast Pskow für Chaos gesorgt haben, das 700 Kilometer von der Grenze entfernt ist. Die Drohne kann angeblich 20 Kilogramm Sprengstoff tragen.

Doch auch ohne Bewaffnung können Kiews Drohnen tödlich sein: Der Shark vom Hersteller Ukrspecsystems dient der Aufklärung und kann bis zu acht Stunden in der Luft bleiben. Sie ist seit dem Sommer im Dienst und verfügt über eine Full-HD-Kamera mit 30-fachen optischem Zoom. Shark weist der Artillerie Ziele zu und im Verbund werden so auch Flugabwehr-Systeme wie die Buk zerstört werden.

Ausgefeilte Raketen und Panzer aus der Ukraine

Auch bei der Raketentechnik muss sich die Ukraine nicht verstecken. Sehr erfolgreich wird etwa die Stugna-P eingesetzt: Die Panzerabwehrlenkwaffe steht auf einem Dreibein und wird mit einem 50 Meter langen Kabel fernbedient. Die R-360 Neptune vom Konstruktionsbüro Luch hat dagegen im April 2022 Schlagzeilen durch die Moskwa-Versenkung gemacht.

Innovativ zeigen sich die Ingenieure bei der Weiterentwicklung dieser Waffe: Sie ist so modifiziert worden, dass sie am 23. August ein Bodenziel auf der Krim zerstört hat. Dabei handelte es sich um eine S-400 Triumf, die von Moskau als modernstes Flugabwehrsystem angepriesen wird. Eine Drohne hat die Schmach auch noch aus der Luft gefilmt.

Ukraine: Russisches Flugabwehrsystem auf Krim zerstört

Ukraine: Russisches Flugabwehrsystem auf Krim zerstört

Hier explodiert ein russisches Flugabwehrsystem. Das sagt zumindest der ukrainische Militärgeheimdienst. Dieser hat demnach eigenen Angaben zufolge ein russisches Flugabwehrsystem vom Typ S-400 «Triumph» auf der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim zerstört. Infolge der Explosion soll die Anlage und Besatzung komplett vernichtet worden sein, teilte der Geheimdienst mit. Dazu wurden Drohnenaufnahmen veröffentlicht, die die Explosion zeigen sollen. Mit welchen Mitteln das russische Flugabwehrsystem angegriffen wurde, teilte die ukrainische Behörde zunächst nicht mit. Russland äusserte sich zunächst nicht dazu.

24.08.2023

Die Rüstungsindustrie kann aber auch handfeste Waffen bauen. Dazu gehört der Schützenpanzer BTR-4 vom Charkower Konstruktionsbüro für Maschinenbau oder der Panzer T-84 Oplot aus dem Malyschew-Werk in Charkiw, das dem Staatskonzern Ukroboronprom gehört.

Ein T-84 Oplot 2018 in Kiew.
Ein T-84 Oplot 2018 in Kiew.
Bild: Commons/VoidWanderer

Radhaubitze und gepanzerte Transportwagen

Mit der 2S22 Bohdana hat die Armee auch eine heimische selbstfahrende Radhaubitze im NATO-Kaliber 155 Millimeter im Arsenal, die vom Charkiwer Traktorenwerk entwickelt wurde. Die Massenproduktion ist Anfang des Jahres angelaufen und das verhältnismässig günstige Geschütz im Krieg erfolgreich im Einsatz.

Eine Bohdana schiesst im Juni 2022 auf russische Stellungen auf der Schlangeninsel.
Eine Bohdana schiesst im Juni 2022 auf russische Stellungen auf der Schlangeninsel.
Bild: Ukrainische Streitkräfte

Der Hersteller NPO Practika ist für die Produktion der Kosak-Fahrzeuge verantwortlich, von denen es verschiedene Versionen gibt und die auch schon exportiert worden sind – etwa nach Saudi-Arabien. Sie haben schon so manche Mannschaft geschützt, als sie auf Minen gefahren sind, weiss «Ukrajinska Prawda»: Die Erfahrungen im Konflikt mit Russland haben demnach schon zu einigen Verbesserungen geführt.

Abgerundet wird das militärische Portfolio von der Firma Ukrainian Armor, die nicht nur Helme und Schutzwesten, sondern auch Fahrzeuge der Typen Varta und Novator herstellt. Der Novator ähnelt dem Kosak, der Varta hat Platz für ein paar Soldaten mehr.