Wie weiter? Diese Frage stellen sich in diesen Tagen viele Politiker, Soldaten, aber auch Zivilisten in den umkämpften russischen und ukrainischen Oblasten. Nach dem Wahlsieg Donald Trumps und dessen Versprechen, den Ukraine-Krieg innert weniger Tage beenden zu wollen, richten sich die Augen der Welt wieder vermehrt auf den blutigen Abnützungskampf.
Zweieinhalb Jahre Krieg hat die Ukraine mittlerweile hinter sich. In den nächsten Monaten steht dem Land ein weiterer harter Winter bevor. Die Temperaturen steigen dann im Osten des Landes selten über 0 Grad, die Handlungen auf dem Schlachtfeld frieren nicht nur auf dem Thermometer ein. Denn schwere Geschütze wie Panzer kommen kaum mehr vorwärts, die Schlacht kommt praktisch zum Stillstand.
«Für die Ukraine bedeutet das nichts Gutes», sagt der pensionierte US-General Mark Kimmit dem «Wall Street Journal». Wenn man sich die Kampfhandlungen der letzten sechs Monate anschaue, dann zeige sich eigentlich immer dasselbe Bild. «Russland greift an, die Ukraine verteidigt. Kiew gelingen kaum Nadelstiche nach vorn. Ich denke auch nicht, dass sich das diesen Winter noch einmal ändern wird.»
Krieg ist reiner Abnützungskampf
Der Hauptfokus der Russen liegt laut dem General nach wie vor auf der Region Charkiw. Das zeigen auch Auswertungen des US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW), der seit Ausbruch des Krieges die täglichen Geschehnisse auf dem Schlachtfeld dokumentiert. «Die Russen versuchen in der Region, einen Korridor zwischen Charkiw und den besetzten Gebieten zu schlagen. Die Ukrainer wehren sich dagegen», heisst es in einem Lagebericht von Mitte Oktober.
Für beide Seiten, darin sind sich die Experten einig, ist der Krieg derzeit ein reiner Abnützungskampf. «Keine Seite gewinnt, keine Seite verliert», sagt Ex-General Kimmit. Aber: «Die Ukraine hat deutlich mehr Mühe, ihre verletzten oder getöteten Soldaten zu ersetzen.»
Tatsächlich scheint Russlands Präsident Wladimir Putin keine Schwierigkeiten zu haben, seine eigenen Reihen immer wieder neu aufzufüllen – notfalls auch mit Hilfe des Auslands. Tausende nordkoreanische Soldaten sollen bereits nach Russland geschickt worden sein, um dort in den russischen Reihen zu kämpfen.
«Für die Ukraine ist das ein Rückschlag», sagt Kimmitt. Denn der ständige Truppen-Nachschub Russlands bedeute auch, dass die Ukraine ebenfalls immer neues Personal finden müsse. Und das werde immer schwieriger. «Putin will versuchen, die Ukraine langsam ausbluten zu lassen», sagt Kimmitt.
Gewinnt die Diplomatie gegen das Schlachtfeld?
Auch Politologe Christian Mölling sagte schon im Januar dem WDR, dass das Ausbluten Teil von Putins Kalkül sei. «Der russische Präsident beobachtet natürlich das Geschehen sehr genau und weiss, dass die Ukraine aus Personalsicht nicht ewig mithalten kann. Das ist Teil der Strategie.»
Die Ukraine hat deswegen Massnahmen ergriffen. «Der ukrainische Präsident Selenskyj soll eine Order erlassen haben, dass junge Soldaten besser geschützt werden – im Wissen darum, dass sie die Zukunft des Landes sind», so General Kimmitt. «Das bringt natürlich auch Einschnitte mit sich. Die Ukraine hat langsam ein ernsthaftes Personalproblem.»
Wie sich der Krieg in den nächsten Jahren entwickeln wird und Trump die beiden Länder an den Verhandlungstisch zwingen könnte, will Kimmitt nicht prognostizieren. Dennoch wagt er einen Blick in die Zukunft und sagt: «Ich denke, die ukrainischen Truppen können noch ein Jahr oder so durchhalten. Aber ich bin auch überzeugt, dass die diplomatischen Veränderungen der Ukraine in den kommenden Monaten grössere Probleme bereiten werden als die Lage auf dem Schlachtfeld.»
Nach Trump-Sieg: Kiew bangt um weitere Unterstützung
Donald Trump hat die Wahl gewonnen und wird erneut Präsident der USA. Das weckt Sorgen in Kiew: Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, beschwört in seiner abendlichen Videobotschaft die weitere Partnerschaft beider Länder in Kriegszeiten. Zugleich gratuliert er Trump noch einmal zum Sieg.