Ukraine unter schwerem DruckRussen brechen im Donbass durch – Kiews Truppen weichen zurück
Von Philipp Fischer
31.10.2024
Unter ständigen russischen Angriffen wird die Lage für die Verteidiger im Osten der Ukraine immer schwieriger. Die russische Armee meldet weitere Geländegewinne – die ukrainischen Truppen räumen Schritt um Schritt ihre Stellungen.
Philipp Fischer
31.10.2024, 04:30
Philipp Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die ukrainische Armee sieht sich im Gebiet Donezk starkem Druck der Russen ausgesetzt.
Ukrainische Soldaten haben die Stadt Selydowe aufgeben müssen.
Der ukrainische Generalmajor Dmytro Martschenko hat Berichte über massive Problemen an der Front im ost-ukrainischen Gebiet Donezk bestätigt.
Mit aller Macht und unter schweren Verlusten rennen russische Soldaten auf einer Breite von 70 Kilometern im Osten und Süden von Donezk auf die Front zu. Der gigantische Blutzoll scheint sich für Machthaber Putin zu lohnen. An mehreren Stellen sollen die Angreifer laut dem russischen Verteidigungsministerium durch die ukrainischen Verteidigungslinien gebrochen sein. Allerdings sind die Angaben beider Kriegsparteien nur schwer überprüfbar.
Im Süden des Kohle- und Industriereviers Donbass hat die ukrainische Front praktisch seit Beginn der Invasion 2022 standgehalten. In diesem Jahr ging allerdings nahe der Grossstadt Donezk erst die Stadt Awdijiwka verloren, später auch Wuhledar. Seitdem haben die erschöpften ukrainischen Truppen den russischen Vormarsch nicht wieder zum Stehen gebracht, auch wenn den Russen hohe Verluste zugefügt wurden. Als besonders bedroht gelten nun die Städte Kurachiwka und Kurachowe sowie Pokrowsk weiter im Norden.
Russen erobern Kleinstadt Selydowe
Der ukrainische Generalstab sprach in seinem neuesten Lagebericht von 142 russischen Sturmangriffen allein am Sonntag. Laut dem OSINT-Analysten Emil Kastehelmi musste sich die Ukraine aus der Stadt Selydove zurückziehen. Den Verlust von Selydowe bestätigte die ukrainische Militärführung bisher nicht.
Russia's Defense Ministry claimed on Oct. 29 that its forces had captured the town of Selydove in Donetsk Oblast, which lies close to the key logistics hub of Pokrovsk; a small number of North Korean troops already in Ukraine, CNN reports; and more.https://t.co/1c0G9uMwue
Die Frontstadt in der Region Donezk rund 18 Kilometer südöstlich der logistisch bedeutsamen Stadt Pokrowsk sei «vollständig befreit» worden, erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau am Dienstag. Vor Beginn der russischen Offensive in der Ukraine hatte Selydowe etwa 20’000 Einwohner. Die Aufgabe von Selydowe markiert für die ukrainische Armee den grössten Verlust seit dem Fall von Avdiivka.
Fällt jetzt Pokrowsk?
Rund 50 Kilometer südlich von Pokrowsk stehen die ukrainischen Truppen zudem bei der Stadt Hirnyk unter Druck. Diese soll ebenso weitgehend von russischen Einheiten erobert worden sein. In den Berichten des ukrainischen Generalstabs taucht Hirnyk seit Donnerstag nicht mehr auf. Vor dem Krieg lebten gut 10’000 Menschen in dem Ort.
Update around Kurakhivka-Kurakhove. Russian troops have taken Hyrnik -after earlier premature information- and are now geolocated in the industrial area west of Kurakhivka. It is highly unlikely that Ukrainian troops are still in Kurakhivka, Zoryane and the area east of Zoryane.… pic.twitter.com/nKzj0Lq9bx
Der Verlust von Pokrowsk wäre ein schwerer Verlust für die Verteidiger. Die Schlüssel-Ortschaft ist ein entscheidendes Logistikzentrum für die ukrainischen Truppen aufgrund ihrer Bahnanbindung und der Kreuzung mehrerer wichtiger Strassen.
Russian Defense Ministry Claims Capture of Selydove: A New Threat to Pokrovsk?
On Tuesday, October 29, the Russian Ministry of Defense announced the capture of Selydove, a city in Ukraine’s Donetsk region. This small city, located south of Pokrovsk and with a pre-war population… pic.twitter.com/fe1p8vd7EA
Durch die massiven russischen Angriffe ist für etwa 260’000 Menschen im Norden des ukrainischen Gebietes Donezk die Wasserversorgung «auf unabsehbare Zeit» ausgefallen. Betroffen seien die Städte Slowjansk, Kramatorsk, Druschkiwka, Kostjantyniwka und umliegende Ortschaften, teilte Gouverneur Wadym Filaschkin bei Telegram mit.
«Unsere Front ist eingebrochen»
Russische Militärblogger schreiben bereits vom Zusammenbruch der ukrainischen Front im Süden des Gebietes Donezk. Derzeit ist die Lage allerdings nur schwer überprüfbar. In einem Videointerview äussert sich Generalmajor Dmytro Martschenko jedoch unmissverständlich zur dramatischen Situation: «Wir wissen alle, dass ich kein militärisches Geheimnis verrate, wenn ich sage, dass unsere Front eingebrochen ist.» Es fehle an Waffen, Munition und Soldaten. Die Soldaten seien müden und können die Frontlinie nicht abdecken, an der sie sich befinden.
Ukraine faces a "pretty grim" situation in Donetsk Oblast in the east of the country as Russian forces make some of their swiftest advances since the summer of 2022, according to experts and OSINT analysts.https://t.co/gvToshSCd6
Die russische Armee ist seit Anfang Oktober 478 Quadratkilometer auf ukrainisches Territorium vorgedrungen. Es handelt sich um den grössten Gebietsgewinn binnen einem Monat seit den ersten Wochen nach Kriegsbeginn 2022, wie die Nachrichtenagentur AFP anhand von Daten des in den USA ansässigen Instituts für Kriegsstudien (ISW) ermittelte. Zwei Drittel des russischen Gebietsgewinns im Oktober entfallen auf die Region Donezk.
Die vollständige Eroberung des ukrainischen Verwaltungsgebietes Donezk ist ein erklärtes Kriegsziel des Kremls. Das Gebiet wurde schon 2022 für Russland annektiert, auch wenn es nicht vollständig besetzt war. Sollten die letzten Industriestädte im Donbass fallen, schliesst sich nach Westen eine offene und schwer zu verteidigende Steppe an bis an den Strom Dnipro. Dort liegen die ukrainischen Grossstädte Dnipro und Saporischschja.
Selenskyj: Kämpfe im Donbass «schmerzhaft und schwierig»
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den gegen Russland kämpfenden ukrainischen Soldaten gedankt – unter anderem im Donbass. Dort seien die Kämpfe «schmerzhaft und schwierig», sagte Selenskyj.