Die Ukraine-Frage«Wie Polen 1939» – oder spielt Trump doch den starken Mann?
Von Philipp Dahm
8.11.2024
Nach Trump-Sieg: Kiew bangt um weitere Unterstützung
Donald Trump hat die Wahl gewonnen und wird erneut Präsident der USA. Das weckt Sorgen in Kiew: Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, beschwört in seiner abendlichen Videobotschaft die weitere Partnerschaft beider Länder in Kriegszeiten. Zugleich gratuliert er Trump noch einmal zum Sieg.
07.11.2024
Wie sieht die künftige Ukraine-Politik der USA aus? Die einen glauben, Kiew werde fallen gelassen, andere sagen, es kann nicht schlechter werden – oder dass Trump durchgreift: Dem New Yorker wird alles zugetraut.
Philipp Dahm
08.11.2024, 04:30
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Das denken Menschen auf Kiews Strassen und ukrainische Soldaten an der Front über Putins Wahlsieg.
Die Biden-Administration will in den letzten Wochen noch etwas für Kiew bewegen, doch nachtrauern wird die Ukraine dem Demokraten nicht. Das sind die Gründe.
Dieser Trump-Plan für den Krieg ist bereits bekannt.
Ein früherer US-Botschafter in der Ukraine glaubt, Putin werde in Verhandlungen nicht frech werden können, weil Trump das schwach aussehen liesse.
Wie der frühere US-General Ben Hodges sowie die früheren Trump-Berater Steve Moore und John Bolton die künftige Ukraine-Politik einschätzen.
Was denken die Menschen in Kiew über Donald Trumps Wahlsieg? «Wir müssen das akzeptieren: Das ist die Wahl dieser Leute», sagt «Optimist» Oleksander in einer Strassenumfrage des «Kyiv Independent». «Er wird wahrscheinlich ein grossartiger Präsident.»
Ganz anders antworten drei Studentinnen: «Seine Beziehung zu Putin ist zu eng. Er wird uns im Krieg nicht helfen», meint Sofiia. Slava hält Trump für eine «unberechenbare Rakete», weil «niemand weiss, wo sie hinfliegt, wo sie einschlägt». Und ihre Freundin Oksana wird deutlich: «Wir sind im A**** wie die Polen 1939.»
Was die Aussagen der Zivilisten mit jenen von Frontsoldaten gemein haben, die zu dem Thema befragt wurden, ist die Ansicht, dass die USA wählen können, wen sie wollen. Einige erhoffen sich eine härtere Gangart gegenüber Putin. Einige haben Bedenken, dass ein Einfrieren des Krieges damit enden würde, dass er in fünf oder zehn Jahren erneut ausbricht.
Präsident auf Zeit: Biden reagiert – zu spät
Ein Einfrieren der Frontlinie soll jedoch genau das sein, was Trump einem Medienbericht zufolge plant. Der Nato soll die Ukraine in den nächsten 20 Jahren demnach auch nicht beitreten. Mit einer Einstellung der Waffenhilfe soll Kiew notfalls an den Verhandlungstisch gezwungen werden, um den Frieden zu erreichen, den der Republikaner versprochen hat.
Diese Aussicht bringt den Noch-Präsidenten auf Trab: «Die Administration will vorwärtsmachen, um die Ukraine in eine möglichst starke Position zu bringen», heisst es bei Reuters aus dem Umfeld von Joe Biden. Nützen wird das wenig: Schweres Gerät zu verschiffen, dauert Wochen.
Bericht: Scheidende US-Regierung macht Tempo bei Ukraine-Hilfen
Splitter von abgeschossenen russischen Drohnen haben in Kiew über Nacht mindestens zwei Menschen verletzt und mehrere Gebäude beschädigt, wie die Stadtverwaltung am Donnerstag mitteilte. Gross angelegte Drohnenangriffe sind in den letzten Monaten zu einer nächtlichen Gefahr für die Einwohner der ukrainischen Hauptstadt geworden. Russlands Truppen rücken in dem angegriffenen Land zudem seit geraumer Zeit stetig vor. Die Ukraine ihrerseits hat ihren ersten grösseren Vorstoss in russisches Gebiet gestartet. Die scheidende US-Regierung unter Präsident Joe Biden will offenbar einen Stopp bereits bewilligter Hilfen für die Ukraine durch den neuen Präsidenten Donald Trump verhindern. Die verbleibenden Lieferungen im Wert von sechs Milliarden Dollar sollten so schnell wie möglich der Ukraine übergeben werden, sagten zwei hochrangige Regierungsmitarbeiter nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins «Politico». Trump tritt sein Amt erst am 20. Januar an. Der Republikaner hat die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine im Wahlkampf wiederholt als zu umfangreich und teuer kritisiert und versprochen, den Krieg rasch zu beenden. Jedoch liess er bislang offen, wie dies geschehen soll. Ende September sagte er in New York in Anwesenheit des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: «Wir haben also ein sehr gutes Verhältnis, und ich habe, wie Sie wissen, auch ein sehr gutes Verhältnis zu Präsident Putin. Und wenn wir gewinnen, glaube ich, dass wir die Sache sehr schnell klären werden. Ich glaube wirklich, dass wir das Problem lösen werden.» Selenskyj gratulierte Trump in seiner nächtlichen Videobotschaft zum Wahlsieg und appellierte, die Ukrainer wollten Vertrauen, Freiheit und ein normales Leben. Das bedeute für die Menschen dort «ein Leben ohne russische Aggression und mit einem starken Amerika, mit einer starken Ukraine, mit starken Verbündeten», so Selenskyj. Das russische Aussenministerium hatte nach der US-Wahl betont, man halte an den Kriegszielen fest. Das heisst, Präsident Wladimir Putin pocht auf die Annexion grosser Teile der Ukraine. Der Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats, Sergej Schoigu, rief den Westen zu Verhandlungen über ein Ende des Kriegs in der Ukraine auf.
07.11.2024
Nachweinen wird man Joe Biden in der Ukraine nicht. Einer der oben zitierten Frontsoldaten nennt seine Administration «impotent». Die USA sind unter ihm zwar wichtigster Waffenlieferant, aber der Demokrat ist auch ein Verhinderer. Etwa, wenn er Schweden bei einer Schenkung von zwei Frühwarnflugzeugen ausbremst, weil US-Technik darin steckt.
«Trump ist es wichtig, als starker Mann dazustehen»
Wie wird sich Trump auf diesen Krieg auswirken? Ein früherer US-Botschafter in Kiew erklärt dem Times Radio, das hänge auch davon ab, welche Berater der 78-Jährige auswählt und wer sein Aussenminister wird. Dass Putin bei etwaigen Verhandlungen einfach vier Regionen einfordern kann, die seine Armee nicht einmal vollständig besetzt, schliesst der 72-Jährige aus.
«Trump ist es wichtig, als starker Mann dazustehen, und wenn er sich den Ansichten seiner naiven Berater anschliesst und Putin einen Sieg in der Ukraine beschert, würde er extrem schwach aussehen», sagt Herbst, der glaubt, dass der Kreml am Ende enttäuscht von Trumps Antritt sein wird: «Es ist wahrscheinlich, dass sie in möglichen Verhandlungen mit der Ukraine ihr Blatt überreizen.»
Steve Moore, ein Ex-Berater von Trump, erinnert via «Kyiv Post» daran, dass Mike Johnson früher stets gegen die Ukraine gestimmt hat. Doch im April hat der Sprecher des Repräsentantenhauses die letzten Ukraine-Hilfen mit abgesegnet. Ein Lernprozess sei möglich. Auch über republikanische Abgeordnete in den Wahlkreisen könnten Bürgerinnen und Bürger Druck machen, damit die Ukraine-Hilfe im Repräsentantenhaus durchkommt.
«Es ist nie Trumps Fehler»
Ben Hodges sieht dagegen «zumindest anfänglich keine positive Entwicklung für die Ukraine», doch der frühere US-General räumt gegenüber Deutsche Welle auch ein: «Um fair zu sein: Ich denke, die Biden-Administration hat die letzten Jahre verschwendet. Wir hätten eine viel stärkere, entschiedenere Politik haben können.» Der Demokrat habe bloss beschwichtigt.
Es sei wichtig, dass die Europäer versuchten, Trump von der Wichtigkeit der Ukraine zu überzeugen und ihr Militär ausreichend zu finanzieren. Kiews Sieg hätte auch ökonomische Vorteile, glaubt Hodgens. «Wenn die Ukraine versagt, wird es daran liegen, dass die Vereinigten Staaten und Deutschland ihr den Rücken zugekehrt haben.»
John Bolton glaubt ebenfalls nicht, dass Trump in der Ukraine etwas bewegen werde. Etwaige Verhandlungen werden scheitern, prophezeit Trumps früherer Sicherheitsberater bei Times Radio. «Und das wird nicht Trumps Fehler sein, denn es ist nie Trumps Fehler. Es wird der Fehler von Selenskyj oder Putin sein, und in Anbetracht der Vorgeschichte dürfte es Selenskyjs Fehler sein.»
Bolton fürchtet eine Kettenreaktion: «Wenn Trump nicht mehr entschlossen ist, der Ukraine zu helfen, werden andere Länder in Europa das begrüssen. Es wäre eine Möglichkeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Deswegen mache ich mir grosse Sorgen, was in der Ukraine herauskommen wird.» Dass die Europäer eine eigene Armee aufstellen, hält der 75-Jährige nicht für realistisch. «Viel Glück damit», sagt er trocken.