Ukraine-Konflikt Jetzt bringt Russland auch noch Atomraketen ins Spiel

Von Philipp Dahm

14.12.2021

Im Ukraine-Konflikt ist keinerlei Entspannung in Sicht. Im Gegenteil: Russlands Aufmarsch geht unvermindert weiter – und nun denkt Moskau auch noch laut darüber nach, wieder Atomraketen in Europa aufzustellen.

Von Philipp Dahm

Was Wladimir Putin für die Zukunft wünscht? Klar ist: Der Präsident will nie mehr erleben, dass Russland je wieder so schwach ist wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Kollaps 1991 war «das grösste geopolitische Desaster des 20. Jahrhunderts», erklärte der 69-Jährige.

Der Schwarzmarkt von Moskau im September 1991: Die Frau verkauft für 35 Rubel ihre Flasche Wodka. Die anderen Frauen suchen nach Dingen wie Seife, Shampoo, Schuhe oder Kleidung, die damals Mangelware sind.
Der Schwarzmarkt von Moskau im September 1991: Die Frau verkauft für 35 Rubel ihre Flasche Wodka. Die anderen Frauen suchen nach Dingen wie Seife, Shampoo, Schuhe oder Kleidung, die damals Mangelware sind.
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«Manchmal musste ich mir was dazuverdienen», fährt der Russe fort. «Ich meine, dass ich als privater Chauffeur extra Geld verdienen musste. Es ist ehrlich gesagt unschön, darüber zu sprechen, aber so war es leider nun mal.» Das Ende der UdSSR sei «für viele Menschen» eine «Tragödie» gewesen, zitiert «The Moscow Times» Putin.

Als die Sowjetunion noch existierte, gab es auch noch Neurussland. So wird ab 1764 ein Gebiet in der heutigen Ukraine genannt, das Moskau dem Osmanischen Reich abgerungen hatte. Es reicht weit in das Land hinein, mit dem Russland seit 2014 Krieg führt. Heute ist das Gebiet insofern noch spürbar, als dass der Anteil russischer Staatsbürger dort deutlich höher ist als im Norden.

Das Gebiet der historischen Region Neurussland, die nach dem Ende der Sowjetunion der Ukraine zufiel. 
Das Gebiet der historischen Region Neurussland, die nach dem Ende der Sowjetunion der Ukraine zufiel. 
Bild: Commons/Dim Grits

Nun ist die Tatsache, dass es Neurussland einmal gab, kein guter Grund, um einen Krieg zu beginnen. Aber die eigenen Bürger vor dem Bösen zu beschützen, ist schon eher ein denkbarer Vorwand. Dazu passt die Meldung, dass der russische Geheimdienst FSB in 37 der 80 russischen Regionen 106 Mitglieder einer ukrainischen Neonazi-Bande verhaftet haben will.

Ukrainische Neonazis in Russland? 

Am Montag sind russische Behörden gegen die Gruppe namens «Manischer Mörder-Kult» vorgegangen und haben «drei Administratoren der Internet-Communitys der Organisation» festgenommen, die «zu Gewalt aufgerufen» hätten. «Zwei der Inhaftierten werden verdächtigt, bewaffnete Angriffe auf Bildungseinrichtungen vorbereitet zu haben», teilte der FSB mit.

Ukrainische Panzer werden am 12. Dezember bei Luhansk in die Grenzregion verlegt.
Ukrainische Panzer werden am 12. Dezember bei Luhansk in die Grenzregion verlegt.
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Die Ukraine hingegen bestätigt zwar, dass es jene Gruppe gibt: Sie sei von dem Neonazi Egor Krasnow gegründet worden, aber nicht in Russland aktiv. Krasnow sitzt in der Ukraine in Untersuchungshaft – wegen mehrerer bewaffneter Angriffe und rassistisch motiviertem Mord.

«Die aktuellen Statements des FSB sind Teil eines koordinierten Informationskrieges, der nur durch die Brille der hybriden Kriegsführung gesehen werden sollte», kontert der ukrainische Geheimdienst SBU die Meldung aus Moskau. Zuvor hat der Kreml am 2. Dezember berichtet, man habe drei ukrainische Agenten verhaftet, die Anschläge in Russland geplant haben sollen.

Aufmarsch an der Grenze 

Der – mehr oder weniger – offizielle Truppenaufmarsch an der Grenze geht unterdessen unvermindert weiter, erklärt «Buzzfeed» mit Blick auf neue Satellitenbilder aus der Region, die sich die Website von dem Experten Konrad Muzyka interpretieren liess. Offenbar ist ein neues Regiment motorisierter Schützen aufgestellt worden.

Ein russischer Soldat am 10. Dezember beim Training in der russischen Region Rostow. 
Ein russischer Soldat am 10. Dezember beim Training in der russischen Region Rostow. 
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«Dass Ausrüstung aus der Reserve geholt wird, um eine neue Einheit aufzustellen, ist für mich ein Anzeichen, dass Russland sich auf einen Konflikt vorbereitet», findet Muzyka. Gleichzeitig habe es «in den letzten paar Monaten viele Bewegungen in die Krim hinein und wieder heraus» gegeben: «Das wurde möglicherweise getan, um die wahre Stärke russischer Truppen dort zu kaschieren.»

Dass sich die Lage auf diplomatischer Ebene entspannen wird, ist ebenfalls nicht zu erwarten. Die EU und die USA haben sich auf schärfere Sanktionen verständigt, falls die Ukraine angegriffen würde. Am Montag sind bereits Sanktionen gegen die private russische Söldner-Firma Wagner Group erlassen worden, die mit dem Kreml Hand in Hand arbeitet.

Die Nato will sich nichts vorschreiben lassen

Russland fordert auf der anderen Seite, dass die Nato Abstand von ihren Aussagen von 2008 nimmt, nachdem das Bündnis prinzipiell offen für neue Mitglieder wie Georgien oder die Ukraine wäre. Doch die Nato will sich diesbezüglich nichts vorschreiben lassen. 

Ein ukrainischer Soldat ruht sich unweit der Front nahe Kateriniwka in der Region von Donezk am 7. Dezember aus.
Ein ukrainischer Soldat ruht sich unweit der Front nahe Kateriniwka in der Region von Donezk am 7. Dezember aus.
KEYSTONE

Putins Reaktion? Der russische Präsident denkt plötzlich laut darüber nach, nukleare Mittelstrecken-Raketen in Europa zu stationieren. Angeblich würde die Nato dasselbe tun, begründet der Kreml den Schritt. «Der fehlende Fortschritt hin zu einer politischen und diplomatischen Lösung wird zu einer Antwort von uns führen, die militärischer und technisch-militärischer Natur sein wird», warnt Aussenminister Sergei Rjabkow.

Mit Blick auf die Nato ergänzt er: «Sie erlauben sich nicht, irgendetwas zu tun, das unsere Sicherheit erhöht. Sie glauben, sie können, sie könnten nach ihren Bedürfnissen handeln, zu ihrem Vorteil, und wir müssen einfach alles schlucken und damit klarkommen. Das geht so nicht weiter.»

Wichtig fürs Image

Nukleare Mittelstrecken-Raketen waren unter dem INF-Vertrag von 1987 bis 2019 verboten, bevor Ex-Präsident Donald Trump aus dem Abkommen ausgestiegen ist. Das tönt nach einer neuen Eskalationsstufe, doch dass es Krieg geben wird, sei noch keinesfalls beschlossen, meint Luke Coffey, der Direktor des Allison Center for Foreign Policy.

Putin nutze die Ukraine-Krise auch an der Heimatfront: «Es sieht innenpolitisch sehr gut aus für ihn und lässt ihn so aussehen, als sei er auf internationaler Ebene dem US-Präsidenten gleichberechtigt», analysiert Coffey in der «Military Times». «Das ist sehr wichtig für Russland und Russlands Image.»

Die Ukraine sei militärisch aber nicht mehr so schwach wie noch 2014: «Wenn Putin aufs Ganze geht, könnte es ziemlich teuer für ihn werden», glaubt Coffey. Kiew könne Moskau zwar letztendlich nicht aufhalten, aber der Preis einer Invasion würde heute deutlich höher liegen als vor sieben Jahren.