Attentate, Entführungen, ProzesseIn Belarus regiert die Angst
Von Philipp Dahm
9.8.2021
Weissrussland in Aufruhr – die Präsidentschaftswahlen 2020
Ein Bild aus Minsk vom 10. August 2020: Es wird bekannt, dass Alexander Lukaschenko die Präsidentenwahl am Vortag mit 80 Prozent gewonnen haben soll. Das entzündet einen Protest in Belarus, der noch nicht vorbei ist. So lief die Wahl in Weissrussland ab.
Bild: EPA
Bereits am 24. Mai 2020 kommt es in Minsk zu einer ersten Kundgebung mit Hunderten Teilnehmern, als Alexander Lukaschenko ankündigt, sich erneut zur Wahl zu stellen. Zumal schnell feststeht, dass...
Bild: EPA
... aussichtsreiche Konkurrenz im Rennen kaltgestellt wird – wie der Publizist Pawel Sewjarynez. Im Bild ist er am 7. Juni 2020 in Minsk zu sehen: Der 44-Jährige wird nach dieser Wahlkampfveranstaltung verhaftet und wegen «Anstiftung von Massen-Unruhen» im Mai 2021 zu sieben Jahre Haft verurteilt.
Bild: EPA
Ein weiteres Beispiel ist der Kandidat Wiktar Babaryka: Der Bänker wird mit seinem Sohn, der sein Wahlkampfleiter ist, am 18. Juni verhaftet, der Geldwäsche und Steuerhinterziehung bezichtigt und im Juli 2021 zu 14 Jahren Haft verurteilt.
Bild: Natalia Fedosenko/TASS
Babarykas Wahlkampfmanagerin übernimmt: Maryja Kalesnikawa tut sich mit zwei weiteren politisch aktiven Frauen zusammen, deren Männern eine Teilnahme an der Wahl verboten worden ist: ...
Bild: EPA
... Veronika Tsepkalo (links) und Swjatlana Zichanouskaja (fälschlich oft Swetlana Tichanowskaja geschrieben). Zichanouskaja flüchtete nach der Festnahme ihres Mannes, dem 15 Jahre Haft drohen, kurz vor der Wahl nach Litauen. Die Familie Tsepkalo musste nach Lettland auswandern.
Bild: AP
Und während Präsident Alexander Lukaschenko im eigenen Land schon am 19. Juni hart durchgreifen lässt, trifft er selbst in Moskau...
Bild: EPA
... mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow zusammen: Der Weissrusse lässt wohl seine Pläne vom Kreml absegnen. Bei einer Pressekonferenz behauptet er anschliessend, sein Geheimdienst habe ausländische Pläne aufgedeckt, Unruhe zu stiften.
Bild: AP
Anfang Juli kommen in Minsk erstmals 5000 Menschen zusammen, um Lukaschenkos Rücktritt zu fordern. Und am 30. Juli wird dem Diktator klar, dass er das bürgerliche Momentum unterschätzt hat: Das konkurrierende Frauen-Trio....
Bild: EPA
... zieht zwischen 60'000 und 75'000 Zuschauer an. Die Zeichen des Protests: Das Herz, das Kalesnikawa immer formt, die frühere weiss-rot-weisse Flagge oder das alte Wappen von Belarus.
Bild: EPA
Schon im Vorfeld des Urnengangs kommt es zu vielen Verhaftungen, wie hier in Minsk am 8. August und auch am folgenden Wahltag selbst geht die Polizei...
Bild: AP
... mit maximaler Härte gegen Bürger vor. Die junge Frau wurde derart zugerichtet, als sie mit anderen gegen eine frühere Schliessung der Wahllokale in Minsk protestiert hat.
Bild: EPA
Ab dem 11. August kommt es in mehreren weissrussischen Städten zu Massenprotesten, bei denen es teilweise zu Strassenschlachten kommt. Ein Bild aus Minsk von 12. August – einen Tag später wird ein Generalstreik ausgerufen.
Bild: EPA
15. August, Minsk: Ein getöteter Demonstrant wird beerdigt. Die Proteste richten sich jetzt auch gegen Polizeigewalt, was mit dem Einsatz von Schusswaffen beantwortet wird. Am Folgetag lässt Lukaschenko Anhänger in die Hauptstadt fahren...
Bild: EPA
... und spricht von 65'000 Leuten vor Ort. Die Nachrichtenagentur Reuters schätzt die Menge auf 5000. Am 17. Juni (im Bild) wird der Präsident beim Besuch einer Fabrik ausgebuht: Angeblich hat er sich schon informiert, ob er sich nach Russland absetzen könnte.
Bild: EPA
Eine Frau filmt in Minsk im Schutz des Stacheldrahts am 23. August Proteste: Trotz des betont friedlichen Auftretens des Grossteils der Demonstranten zieht der Staat die Zügel an: Statt Konzessionen zu machen, werden Gesetze verschärft.
Bild: EPA
Dennoch zeigen die Bürger wie hier am 25. August in Minsk weiter Flagge. Zehntausende werden im September und Oktober weiter protestieren, der Staat hält weiter mit Gewalt und Willkür dagegen. Bisher sind grob geschätzt sechs Menschen getötet...
Bild: EPA
... und weit über 1300 verletzt worden. Rund 32'000 sind verhaftet worden – wir hier im Bild die 73-jährige Aktivistin Nina Bahinskaja im September 2020 in Minsk. Circa 50 Personen werden seit den Wahlen vermisst.
Bild: EPA
Weissrussland in Aufruhr – die Präsidentschaftswahlen 2020
Ein Bild aus Minsk vom 10. August 2020: Es wird bekannt, dass Alexander Lukaschenko die Präsidentenwahl am Vortag mit 80 Prozent gewonnen haben soll. Das entzündet einen Protest in Belarus, der noch nicht vorbei ist. So lief die Wahl in Weissrussland ab.
Bild: EPA
Bereits am 24. Mai 2020 kommt es in Minsk zu einer ersten Kundgebung mit Hunderten Teilnehmern, als Alexander Lukaschenko ankündigt, sich erneut zur Wahl zu stellen. Zumal schnell feststeht, dass...
Bild: EPA
... aussichtsreiche Konkurrenz im Rennen kaltgestellt wird – wie der Publizist Pawel Sewjarynez. Im Bild ist er am 7. Juni 2020 in Minsk zu sehen: Der 44-Jährige wird nach dieser Wahlkampfveranstaltung verhaftet und wegen «Anstiftung von Massen-Unruhen» im Mai 2021 zu sieben Jahre Haft verurteilt.
Bild: EPA
Ein weiteres Beispiel ist der Kandidat Wiktar Babaryka: Der Bänker wird mit seinem Sohn, der sein Wahlkampfleiter ist, am 18. Juni verhaftet, der Geldwäsche und Steuerhinterziehung bezichtigt und im Juli 2021 zu 14 Jahren Haft verurteilt.
Bild: Natalia Fedosenko/TASS
Babarykas Wahlkampfmanagerin übernimmt: Maryja Kalesnikawa tut sich mit zwei weiteren politisch aktiven Frauen zusammen, deren Männern eine Teilnahme an der Wahl verboten worden ist: ...
Bild: EPA
... Veronika Tsepkalo (links) und Swjatlana Zichanouskaja (fälschlich oft Swetlana Tichanowskaja geschrieben). Zichanouskaja flüchtete nach der Festnahme ihres Mannes, dem 15 Jahre Haft drohen, kurz vor der Wahl nach Litauen. Die Familie Tsepkalo musste nach Lettland auswandern.
Bild: AP
Und während Präsident Alexander Lukaschenko im eigenen Land schon am 19. Juni hart durchgreifen lässt, trifft er selbst in Moskau...
Bild: EPA
... mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow zusammen: Der Weissrusse lässt wohl seine Pläne vom Kreml absegnen. Bei einer Pressekonferenz behauptet er anschliessend, sein Geheimdienst habe ausländische Pläne aufgedeckt, Unruhe zu stiften.
Bild: AP
Anfang Juli kommen in Minsk erstmals 5000 Menschen zusammen, um Lukaschenkos Rücktritt zu fordern. Und am 30. Juli wird dem Diktator klar, dass er das bürgerliche Momentum unterschätzt hat: Das konkurrierende Frauen-Trio....
Bild: EPA
... zieht zwischen 60'000 und 75'000 Zuschauer an. Die Zeichen des Protests: Das Herz, das Kalesnikawa immer formt, die frühere weiss-rot-weisse Flagge oder das alte Wappen von Belarus.
Bild: EPA
Schon im Vorfeld des Urnengangs kommt es zu vielen Verhaftungen, wie hier in Minsk am 8. August und auch am folgenden Wahltag selbst geht die Polizei...
Bild: AP
... mit maximaler Härte gegen Bürger vor. Die junge Frau wurde derart zugerichtet, als sie mit anderen gegen eine frühere Schliessung der Wahllokale in Minsk protestiert hat.
Bild: EPA
Ab dem 11. August kommt es in mehreren weissrussischen Städten zu Massenprotesten, bei denen es teilweise zu Strassenschlachten kommt. Ein Bild aus Minsk von 12. August – einen Tag später wird ein Generalstreik ausgerufen.
Bild: EPA
15. August, Minsk: Ein getöteter Demonstrant wird beerdigt. Die Proteste richten sich jetzt auch gegen Polizeigewalt, was mit dem Einsatz von Schusswaffen beantwortet wird. Am Folgetag lässt Lukaschenko Anhänger in die Hauptstadt fahren...
Bild: EPA
... und spricht von 65'000 Leuten vor Ort. Die Nachrichtenagentur Reuters schätzt die Menge auf 5000. Am 17. Juni (im Bild) wird der Präsident beim Besuch einer Fabrik ausgebuht: Angeblich hat er sich schon informiert, ob er sich nach Russland absetzen könnte.
Bild: EPA
Eine Frau filmt in Minsk im Schutz des Stacheldrahts am 23. August Proteste: Trotz des betont friedlichen Auftretens des Grossteils der Demonstranten zieht der Staat die Zügel an: Statt Konzessionen zu machen, werden Gesetze verschärft.
Bild: EPA
Dennoch zeigen die Bürger wie hier am 25. August in Minsk weiter Flagge. Zehntausende werden im September und Oktober weiter protestieren, der Staat hält weiter mit Gewalt und Willkür dagegen. Bisher sind grob geschätzt sechs Menschen getötet...
Bild: EPA
... und weit über 1300 verletzt worden. Rund 32'000 sind verhaftet worden – wir hier im Bild die 73-jährige Aktivistin Nina Bahinskaja im September 2020 in Minsk. Circa 50 Personen werden seit den Wahlen vermisst.
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Das Ergebnis der Wahl in Weissrussland vor einem Jahr: Massenproteste. Der Protest wurde niedergeschlagen, doch Belarus kommt seither nicht zur Ruhe. Das Regime in Minsk reagiert auch heute noch mit brutaler Härte.
Von Philipp Dahm
09.08.2021, 00:00
Philipp Dahm
Schon vor der Präsidentschaftswahl am 9. August 2020 ist etwas faul im Staate Belarus: «Europas letzter Diktator» Alexander Lukaschenko hat die Pandemie unterschätzt, die Wirtschaft liegt am Boden – und der Urnengang gerät zur Farce. Opposition und Medien werden konsequent unterdrückt, friedliche Demonstranten verhaftet und der Internetzugang am Wahltag eingeschränkt.
Als am Abend der Wahlsieg Lukaschenkos verkündet wird, kippt die Stimmung. 100'000 Menschen versammeln sich in Minsk, auch in anderen Städten regt sich Widerstand. Die Polizei geht brutal gegen die Bürger vor: Tausende werden verhaftet, Hunderte ins Spital eingeliefert – und selbst Schusswaffen kommen zum Einsatz. Das Volk reagiert vier Tage nach der Wahl mit einem Generalstreik.
Das Schema wiederholt sich in den nächsten Wochen: Lukaschenko lässt das Militär auf die Demonstrierenden los. Während die USA, die EU und auch die Schweiz die Vorgänge scharf kritisieren, gratulieren andere Staatsoberhäupter Lukaschenko zur Wiederwahl – von Chinas Xi Jinping über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bis hin zu den Diktatoren Nicolas Maduro aus Venezuela und Syriens Baschar al-Assad.
Natürlich stellt sich auch Wladimir Putin hinter Lukaschenko: Russland und Belarus haben eine besondere Beziehung. Minsk lässt verlauten, die Nato stecke hinter den Protesten: Zehntausende sind seit der Wahl verhaftet worden. Viele Demonstrierende wurden verletzt, mindestens sechs Personen sind ums Leben gekommen und viele werden noch vermisst.
Inzwischen ist das Versammlungsrecht in Weissrussland jedoch stark eingeschränkt worden: In den letzten Monaten gab es kaum noch öffentliche Proteste. Ruhe eingekehrt ist in Belarus deshalb noch lange nicht – und auch die jüngsten Aktionen der Regierung sprechen dafür.
Da wäre zum einen das Verschwinden von Witali Schischow, der am 2. August nicht von einer Jogging-Runde zurückkehrt. Der 26-jährige Oppositionelle hat sich ins ukrainische Kiew geflüchtet, war dort jedoch vor Lukaschenkos langem Arm nicht sicher. Am 3. August wird der junge blonde Mann in einem Park in der Nähe seines Hauses erhängt aufgefunden.
Schischow hat in Kiew eine Organisation für weissrussische Flüchtende geleitet, nachdem er nach der Wahl seine Heimat verlassen hatte. Der Oppositionelle sei von Freunden und Behörden wiederholt gewarnt worden, berichtet BBC: «Sie sagten, wir sollten auf uns aufpassen, weil der weissrussische KGB ein aktives Netzwerk [in Kiew] hat», sagt ein Weggefährte.
Der Fall Kristina Timanowskaja
Gleichzeitig macht der Fall von Kristina Timanowskaja am 1. August international Schlagzeilen. Nachdem Alexander Lukaschenko den weissrussischen Olympioniken mit auf den Weg gegeben hatte, sie bräuchten ohne Medaillen gar nicht wiederkommen, kritisiert die Sprinterin in Tokio nationale Sportfunktionäre.
Als sie dann von Regierungsbeamten deswegen zurück in die Heimat fliegen soll, wendet sich Timanowskaja an die japanischen Behörden. Über Wien ist die Sportlerin inzwischen nach Polen gereist, wo ihr Asyl gewährt wurde. «Ich bin etwas verwundert, dass die Situation so zu einem politischen Skandal ausgeartet ist», sagt die 24-Jährige der Presse in Warschau.
Weil Timanowskaja in den weissrussischen Medien mit Hass überzogen wird, sorgt sich die Athletin jedoch um ihre Familie, die in Belarus zurückgeblieben ist. Kein Wunder: Die junge Frau will in Polen nun in die Opposition gehen. «Ich bin bereit, den Menschen zu helfen, die in eine ähnliche Situation wie ich geraten oder Belarus verlassen wollen», zitiert sie der «Spiegel».
Der Fall Maryja Kalesnikawa
Am 4. August schliesslich beginnt in Minsk der Prozess gegen Maryja Kalesnikawa. Die 39-Jährige ist eine bemerkenswerte Frau: Als der Banker Wiktar Babaryka verhaftet wird, der sich als neuer Präsident zur Wahl stellen wollte, bildet sie ein Bewerber-Trio mit Weranika Zapkala und Swjatlana Zichanouskaja.
«Das Auftreten der drei Frauen ist etwas Neues in Belarus», staunte der Deutschlandfunk. «Ihre Sprache, ihr Gestus. Die eine zeigt immer ein Victory-Zeichen, die zweite reckt die linke Faust, die dritte formt ihre Hände zu einem Herzen.» Nach Lukaschenkos Wahlsieg verlassen ihre Mitstreiterinnen das Land, doch die Musikpädagogin bleibt und gründet eine neue Partei.
Am 7. September 2020 verschwindet Kalesnikawa – und einen Tag später wird bekannt, dass sie verhaftet worden ist. Der weissrussische KGB hat versucht, sie in die Ukraine abzuschieben – woraufhin die Bürgerrechtlerin ihren Pass zerrissen hat. Nun wird ihr wegen «Gefährdung der staatlichen Sicherheit» der Prozess gemacht. Die Verhandlung läuft seit dem 5. August – hinter verschlossenen Türen.
Diese drei aktuellen Fälle legen nahe, dass in Minsk die Angst regiert – und zwar jene vor dem eigenen Volk. Lukaschenko schreckt auch nicht davor zurück, internationales Recht zu brechen – wie schon die Umleitung des Flugzeugs des Oppositionellen Roman Protassewitsch im Mai gezeigt hat. Wie lange sich der 66-Jährige noch so verhalten kann, wird sich zeigen.