Maria, Prostituierte «Sex für Geld wird es immer geben»

Von Michael Angele

5.11.2023

«Ich würde die Preise anheben», sagt Maria – Graffiti in einer Berliner Unterführung.
«Ich würde die Preise anheben», sagt Maria – Graffiti in einer Berliner Unterführung.
imago images/Shotshop

Schweden hat die Prostitution verboten, Frankreich ebenfalls. Auch in der Schweiz fordern Politiker*innen ähnliche Massnahmen, um betroffene Frauen zu schützen. Doch was halten diese selber von der Forderung?

Von Michael Angele

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In Schweden und Frankreich machen sich Freier strafbar, wenn sie gegen Geld Sex mit einer Prostituierten haben.
  • Auch Schweizer Politiker*innen machen sich für das «nordische Modell» stark.
  • blue News hat eine Prostituierte in Berlin getroffen und mit ihr über ihren Job gesprochen.

Die Rufe nach einem Prostitutionsverbot werden lauter. Auch in der Schweiz wird das «nordische Modell» diskutiert: Es bestraft den Freier, nicht die Sexarbeiterin.

De facto käme es dennoch einem Verbot der Prostitution gleich. Meistens sprechen Expert*innen für und über die Betroffenen. Armutsprostituierte sucht man vergebens in Fernseh-Talkshows.

blue News Autor Michael Angele hat mit Maria A. über ihre Sicht der Dinge gesprochen. Sie stammt aus Bukarest und arbeitet in einem Bordell in Berlin.

blue News: Wie wollen wir das Gespräch führen?

Maria: Leider spreche ich nicht so gut Deutsch, lieber auf Englisch.

Wie bist du zu dieser Arbeit gekommen?

Mein Vater starb, als ich 18 war, meine Mutter ein Jahr später. Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder. Sie hatten keine Arbeit. Und dann habe ich mit 17 geheiratet. Der Typ nahm viele Drogen, er behandelte mich nicht gut. Er gab mir nie eine Zigarette. Nicht ein einziges Mal schenkte er mir Blumen. Ich arbeitete zu der Zeit in einem Geschäft, als Verkäuferin.

Warum hast du so einen geheiratet?

Ich weiss nicht, ich war einfach dumm. Meine Mutter sagte mir immer, verlass diesen Typen, er ist nicht gut für dich. Ich habe ihn dann ja auch verlassen, aber dann musste ich Rumänien verlassen.

Warum?

Vor allem wegen ihm. Er war gefährlich. Und ich hatte eine Freundin, die in diesem Job arbeitete. Sie sagte, ich solle kommen, nach England. Da arbeitete ich ein paar Jahre, deswegen kann ich Englisch. Dann kam ich nach Berlin.

Du hattest keinen Schlepper, der dich nach Westeuropa brachte.

Nein.

Also gibt es gar keine rumänische Mafia?

Doch, ich habe das gesehen und ich habe davon gehört. Aber das ist einige Zeit her. Die Dinge haben sich verändert. Natürlich gibt es Mädchen, die einen Typen haben, der sagt: «Mach diese Arbeit.» Aber er zwingt sie nicht. Jedenfalls nicht direkt. Die Frauen machen es aus Liebe. Die Männer versprechen ihnen eine gute Zukunft als Familie und die Frauen glauben das. Die Männer sitzen in Rumänien, trinken, sitzen am Spielautomaten und lassen die Frauen arbeiten. Aber was sollen sie tun? Zur Polizei können sie nicht. Der Mann wird sagen: «Ich habe sie zu nichts gezwungen, ich habe sie nicht geschlagen.»

Sind alle so?

Ich hatte eine Freundin im Club. Drei Kinder. Ihr Mann ging in Berlin auf dem Bau arbeiten. Das ist kein so guter Job, man muss viel arbeiten, du kommst kaputt nach Hause. Aber es hat sich gelohnt. In Rumänien haben sie nun alles: Auto, eine grosse schöne Wohnung. Sie haben sich gesagt, wir bauen uns etwas auf – und es hat geklappt. Nun sind sie mit ihren Kindern zusammen. Er arbeitet jetzt in Rumänien auf dem Bau. Sie arbeitet nicht mehr.

Möchtest Du auch einmal eine grosse Wohnung?

Natürlich.

Was fehlt dir noch zu deinem Glück?

Ein Auto. Ein Mercedes.

Hast du jemals Ferien gemacht?

Am Meer und so? Nein.

Wohin würdest du gern reisen?

Nach Afrika. Ich will die Leute kennenlernen. Und die Tiere.

Hast du auf dem Job schwarze Kolleginnen?

Jetzt nicht. Früher hatte ich welche. Ich mag sie. Meine rumänischen Kolleginnen denken anders, nicht so gut. Ich war ja in England. Da hatte ich schwarze Freunde.

Und möchtest du Amerika kennenlernen?

Ich habe Angst vor Amerika. Ich habe gehört, die schlachten dich ab für zehn Euro.

Zurück zu deinem Job: Den klassischen Zuhälter gibt es nicht mehr, sagst du. Aber gibt es nicht die Mamas, die die Lage vor Ort kontrollieren? Ich habe gehört, dass die wirklich böse sind.

In England habe ich das noch erlebt. Die Mädchen wohnen bei den Mamas, die dich kontrollieren. Aber die Zeiten haben sich geändert. Diese Aufpasserinnen werden nicht mehr akzeptiert. Die Frauen sind schon schlauer geworden. Sie lassen sich nicht mehr alles sagen.

Hast du das Geld verdient, das du dir erhofft hast?

Nein.

War es am Anfang besser?

Natürlich, ich war neu, ich war jünger. Es war einfacher. Die Kunden hatten mehr Geld.

Aber immer noch verdient man offenbar so viel, dass viele Frauen aus deinem Land sich im Westen prostituieren.

Rumänien ist ein sehr armes Land. Viele Frauen, die hier arbeiten, müssen ihre Familie ernähren. Ich habe einen Sohn.

Ich stelle mir vor, dass du ihn manchmal für Monate nicht siehst.

Es ist hart.

Also kommunizierst du mit WhatsApp?

Jeden Tag, glaub mir.

Wer schaut zu deinem Sohn?

Meine Schwester.

Sie macht einen tollen Job.

Ja.

Gibst du ihr Geld?

Nein, ich sende nur Geld für das Kind. Für die Kleider, das Essen, die Schuluniform. Jede Woche sende ich Geld.

Wissen deine Geschwister, was du für eine Arbeit hier machst?

Ich denke, sie wissen es. Aber sie haben mich nie gefragt. Wir haben einfach nicht darüber gesprochen. Aus Scham.

Du kommst aus einer Roma-Familie, hast du mir gesagt.

Ja, aber wir sind nicht diese Art von Gipsy, die strenge Regeln haben, wir werden nicht jung verheiratet. Wir leben wie normale Rumänen. Aber weil wir eine etwas braune Hautfarbe haben, sind wir eben Gipsies.

Hast du Kontakt zu anderen Roma auf deiner Arbeit?

Nein.

Aber eine Menge der Frauen, die in Westeuropa arbeiten, sind Roma, nicht wahr?

Kann ich so nicht so sagen. Im Club, wo ich arbeite, gibt es nur ganz wenige. Vielleicht gibt es mehr auf der Strasse. Aber für Gipsies ist es noch schwieriger, das zu machen als für normale Rumäninnen. Sogar, wenn sie es machen wollen, haben sie grosse Angst: vor der Familie.

Was sind das für Kunden, da, wo du arbeitest?

Bulgaren, Türken, Araber. Deutsche sind in der Minderzahl.

Hast du Gewalt von Kunden erlebt?

Ja, aber wir haben Security. Im Zimmer gibt es eine Klingel. Sie kommen sofort, wenn etwas ist.

Fühlst du dich sicher?

Ja, das tue ich. Ich muss auch nicht mit einem Gast aufs Zimmer. Wenn einer aggressiv ist, wenn er nicht freundlich mit mir gesprochen hat, dann gehe ich nicht mit ihm.

Welche Kunden sind dir am liebsten?

Die Deutschen. Sie gehen respektvoll mit uns um. Sie sind nett. Das macht mir die Arbeit leichter.

Aber verachtest du sie im Grunde genommen nicht? Sei ehrlich.

Ich verachte sie, wenn sie ihre Frau schlecht machen, wenn sie sagen: «Meine Frau ist eine Null im Bett», weil sie mich als etwas Besonderes fühlen möchten. Ich brauche das nicht.

Könnte es für dich interessant sein, als Barfrau im Club zu arbeiten? Sie haben ein anderes Standing, müssen auch nicht aufs Zimmer.

Ja, aber du musst sehr tough sein. Du bist für alles verantwortlich. Für das Geld. Für die Kunden. Für die Mädchen.

Aber als Barfrau verdient man gutes Geld.

Wer hat dir das gesagt? Es sind 50, vielleicht 70 Euro pro Nacht.

Was würdest du ändern, wenn du der Boss des Clubs wärst?

Ui, eine Menge. Erstens würde ich die arabischen Männer nicht mehr reinlassen. Sie sind aggressiv. Wenn sie 50 Euro bezahlen, denken sie, sie sind ehrlich. Zweitens würde ich die Preise anheben.

Um wieviel?

Von 100 auf 200 Euro. Okay, 150 für die Stunde und 80 für eine halbe Stunde.

Gibt es einen Einheitspreis?

Ja. Für alle. Wenn der Chef hört, dass ein Mädchen mehr nimmt, ist sie ihren Job los.

Und würdest du die Zimmer freundlicher ausstatten?

Nein, wir haben schöne Räume. Mit Dusche.

Was würdest du lieber machen, wenn es gleich bezahlt ist: Putzen oder im Club arbeiten?

Natürlich putzen.

Du könntest ja hier auch bei Aldi an der Kasse arbeiten. Aber du würdest weniger verdienen. Ist das der Grund, warum du es nicht machst?

Nein. Wie gesagt, musst du erstens gut Deutsch sprechen, sonst nehmen sie dich nicht. Zweitens, weil ich braun bin. Sie würden mich sowieso nicht nehmen.

Das kann ich nicht glauben.

Komm mit mir zu Rossmann. Dann wirst du es sehen. Neulich war ich dort, und der Sicherheitstyp stand direkt hinter mir, während ich Parfüm ausprobierte. Mit dem Tester! Ich wurde nervös und fragte ihn: «Was machst du da?» Er sagte mir: «Das ist mein Job.» Ich sagte ihm: «Nein, das ist nicht dein Job. Dein Job ist, alle hier zu beobachten und nicht hinter mir zu stehen.» Ich habe in Deutschland nie gestohlen. Ich zahle Steuern.

Bist du da eher die Ausnahme?

Okay, ich tue es noch nicht so lange. Ein anderes Mädchen aus dem Club hat mir gesagt, dass ich es tun soll. Sie zahlt auch Steuern. Es gibt uns also. Wir wollen einfach keinen Ärger. Ich habe gehört, dass jemand, der sein Ticket für die U-Bahn nicht bezahlt hat, ins Gefängnis musste.

Was ist mit Drogen? Ist es nicht ein grosses Problem in dem Job? Nehmen nicht alle Frauen Kokain?

Nein. Nicht alle. Okay, einige von uns nehmen es. Es gibt auch welche, die sind richtig süchtig, sie können nicht arbeiten ohne. Andere nehmen es manchmal mit den Kunden, damit die länger im Zimmer bleiben. Das ist unser Job.

Macht es die Arbeit nicht auch etwas erträglicher?

Ehrlich gesagt, ja. Es ist dann einfacher, Sex mit Menschen zu haben, mit denen du eigentlich keinen Sex haben willst. Du kannst fremde Männer leichter berühren.

Gibt es Regeln, wie es genommen werden soll im Club?

Das ist das Problem der Frauen.

Aber es gibt andere Regeln.

Natürlich, Sex ohne Kondome geht gar nicht. Dann fliegt das Mädchen raus.

Und wenn die Frau den Kunden beklaut.

Wir hatten neulich den Fall. Dann kam die Polizei, hat aber nichts gefunden. Weisst du, viele Kunden nehmen so viele Drogen und Alkohol und bleiben so lange, dass sie es nicht mehr checken. Aber die Mädchen wissen, dass sie rausfliegen, wenn sie klauen, also tun sie es nicht. Das ist die erste Regel.

Wie steht es mit Lügen? Dein Job basiert auf Lügen. Es hat nichts Unmoralisches.

Wenn du über dich sprichst, musst du lügen, klar. Ich würde einem Kunden nie erzählen, dass ich einen Freund habe. Aber du kannst ja über andere Dinge sprechen. Ich spreche mit dem Kunden nicht gern über mich. Lieber über Präsidenten, Planeten. Du lachst, aber es ist wirklich so. Mein Ziel ist es, dass sich der Kunde gut fühlt. Ich spreche auch viel, damit die Zeit verstreicht. Ich will ja, dass er möglichst lange bleibt.

Also bist du eine Geschichtenerfinderin. Früher hat man erzählt, um den Tod aufzuschieben, du erfindest Geschichten, dass der Kunde bleibt.

Was ich von meinem Land erzähle, ist alles wahr. Mein Land ist wirklich fucked up. Es gibt so viel Korruption.

Immerhin gibt es Sozialhilfe.

Ja, gibt es. Aber du musst Jahre warten. Auch wenn du eine Wohnung willst. Allerdings nicht, wenn du ukrainischer Flüchtling bist. Schlimm ist es auch, wenn du krank wirst. Auch wenn du krankenversichert bis, kannst du nicht erwarten, dass dich der Arzt auch nur anschaust, wenn du ihm nicht extra gibst. Die würden dich am Boden sterben lassen, wenn du ihnen nichts gibst.

Rumänien ist EU!

Ja, aber schau: Wenn du putzen gehst, kommst du hier vielleicht auf 1500 Euro, bei uns sind das 500 Euro Maximum. Und das Leben in Rumänien ist teurer als hier. Und doch liebe ich mein Land. Es ist sehr schön.

Meinst du damit die Natur?

Natürlich.

Hier gibt es eine harte Diskussion über die Prostitution. Es gibt Stimmen, die sagen, jede Form von bezahltem Sex ist Vergewaltigung. Würdest du zustimmen?

Das würde ich nicht so sagen. Der Kunde muss mich fragen, wenn er etwas von mir will. Niemand zwingt mich, etwas zu tun, was ich nicht will.

Die Antwort hier wäre: Du denkst, du tust es aus freiem Willen. Aber das ist es nicht. Du bist traumatisiert. Hattest du Depressionen?

Ich hatte Depressionen, am Anfang. Dann gewöhnt man sich irgendwie daran. Aber es ist schon hart. Ich bin nun sieben Jahre in Berlin. Ich kann nicht mehr lange in diesem Job arbeiten. Mein Plan ist es, bis Ende des Jahres auszusteigen. Im Dezember will ich aufhören. Und dann bin ich erst einmal in Rumänien. Bei meinem Freud.

Schickst du ihm Geld?

Nie! Er arbeitet selbst. Er macht den Boden in einer Wohnung.

Wie hält er es aus, dass du diesen Job machst?

Schwer. Wir haben uns gestritten. Und wenn er mich hier besucht, kann ich mit ihm nicht über meine Arbeit sprechen. Es ist unmöglich.

Gibt es irgendetwas, das du an deinem Job magst?

Nein, nichts.

Hast du von dem nordischen Modell gehört? In Schweden oder Frankreich ist Prostitution nicht direkt verboten, aber der Kunde macht sich strafbar.

Wirklich? In Rumänien ist es verboten.

Und was bedeutet das?

Die Prostitution findet auf der Strasse statt, nicht in den Clubs. Und in den Wohnungen. In England habe ich auch in einer Wohnung gearbeitet.

Würdest du auf dem Strassenstrich arbeiten?

Nein.

Sollte die Politik wenigstens den Strassenstrich verbieten? Wärst du dafür?

Weiss nicht. Sie können es bekämpfen, so lange sie wollen. Sex für Geld wird es immer geben. Wir sind schon froh, wenn wir sicher sind. Ich arbeitete vorher in einer anderen Bar. Sie sollte bald verkauft werden, der Chef kümmerte sich um nichts mehr, am Schluss gab es nicht einmal mehr Security. Einmal liess ein Mädchen eine Horde Männer rein, ohne dass die den Eintritt bezahlt haben. Sie schnappten ein anderes Mädchen und schlugen es, wir anderen schlossen uns in einem Zimmer ein. Die Barfrau rief die Polizei. Ich sah viele solche Dinge.

Welche Arbeit möchtest du später einmal machen?

Maniküre.

Was machst du gern in deiner Freizeit?

Ich mag Filme, weisst du. Ich gehe gern ins Kino, in das am Alexanderplatz.


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