Offensive in der Ostukraine Greift Putin jetzt zur «Atomwaffe des armen Mannes»?

gbi

19.4.2022

Diese Luftaufnahme, veröffentlicht von der ukrainischen Regierung, zeigt angeblich einen Luftschlag der russischen Truppen auf das Stahlwerk in Mariupol vom 18. April.  
Diese Luftaufnahme, veröffentlicht von der ukrainischen Regierung, zeigt angeblich einen Luftschlag der russischen Truppen auf das Stahlwerk in Mariupol vom 18. April.  
Bild: EPA

Bei ihren jüngsten Angriffen auf Mariupol soll die russische Armee auch bunkerbrechende Waffen eingesetzt haben. Setzt Wladimir Putin jetzt die zerstörerischsten Waffen aus seinem Arsenal ein?

gbi

Die russische Armee habe bei ihrer neuen Offensive in der Ostukraine auch bunkerbrechende Bomben und Raketen eingesetzt – das zumindest sagte Denys Prokopenko, Kommandeur des ukrainischen Azow-Regiments, in der Nacht auf Dienstag.

Die Bomben seien auf das Stahlwerk Asovstal in der Hafenstadt Mariupol abgeworfen worden, in dem ukrainische Truppen und Zivilist*innen Zuflucht gesucht haben sollen. Pro-russische Separatisten dagegen behaupten, es befänden sich keine Zivilpersonen in dem Werk.

Während eine unabhängige Überprüfung dieser Angaben noch nicht vorliegt, nähren die Berichte gleichwohl die Befürchtung, dass Russland zu den verheerendsten konventionellen Waffen in seinem Arsenal greift. Und davon gibt es einige. 

Dazu zählen die sogenannten Bunker Busters. Die Eigenschaft, selbst stark gesicherte Einrichtungen durchdringen zu können, wird verschiedenen Waffensystemen zugesprochen. So können beispielsweise die Kurzstreckenraketen des Typs Iskander mit unterschiedlichen Sprengköpfen ausgerüstet werden – die Palette reicht von Streumunition bis zu Vakuumbomben bis hin zu kleinen Nuklearsprengköpfen.

Auch lasergesteuerte Bomben der KAB-500-Familie gelten als bunkerbrechend. Sie werden aus der Luft abgeworfen, etwa von Su-34-Bombern, die in der Ukraine im Einsatz stehen.  

«Schreckliche, zerstörerische Waffen»

Besondere Sorge äussern die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten seit Kriegsbeginn aber wegen des möglichen Einsatzes von Vakuumbomben – aus gutem Grund: «Es ist einfach eine schreckliche, zerstörerische Waffe», sagte David Johnson, ehemaliger Colonel der US-Streitkräfte und heutiger Sicherheitsforscher, zu NBC News. Er nannte sie «die Atomwaffe des armen Mannes», weil sie nicht minder zerstörerisch seien: Vakuumbomben würden alle Menschen ihrer Nähe «auslöschen».

Thermobarische Waffen – wie Vakuumbomben auch genannt werden – sind nicht neu. Die syrischen Truppen sollen sie im Bürgerkrieg eingesetzt haben, die USA in Afghanistan, um die Tunnelanlagen der Taliban zu zerstören – und die Russen im Tschetschenienkrieg.

Vakuumbomben sind besonders perfide konzipiert und dienen dem Ziel, möglichst grossen Schaden anzurichten. Sie detonieren in zwei Phasen: Zuerst setzen sie einen Sprengstoff frei, bei dem es sich um eine feine Flüssigkeit, ein Pulver oder auch ein Gas handeln kann. Dieser Sprengstoff verteilt sich in der Luft und dringt so in alle Anlagen ein, die nicht luftdicht sind. Als Nächstes wird diese Sprengstoffwolke dann entzündet – die Detonation kann einen Umfang von 200 bis 400 Meter annehmen.

Eine TOS-1 bei einem Manöver nahe dem russischen Orenburg.
Eine TOS-1 bei einem Manöver nahe dem russischen Orenburg.
Bild: Keystone

Weil dabei der Luftsauerstoff verbraucht wird, entsteht ein Unterdruck, der wie eine weitere Explosion wirkt und der Menschen tödliche Verletzungen an der Lunge zufügen kann.

Ob diese Waffen nun auch in der Ukraine eingesetzt wurden, ist nicht geklärt: Russische Raketenwerfer des Typs TOS-1, die für den Abschuss thermobarischer Waffen konzipiert sind, wurden jedoch gesichtet, wie eine Dokumentation der Londoner Forschungsinstitution AOAV zeigt.

Sowohl die Ukraine, als auch Regierungsvertreter der USA und Grossbritanniens werfen Russland den Einsatz von Vakuumbomben vor. Eine solche soll in der Stadt Ochtyrka in der Region Sumy gezündet worden sein und 70 Menschen in den Tod gerissen haben. Auch diese Vorwürfe wurden noch nicht durch unabhängige Expert*innen überprüft. 

Völkerrechtlich sind Vakuumbomben nicht per se verboten, ihr Einsatz gegen Zivilist*innen würde aber ein Kriegsverbrechen bedeuten.

Russland stellt ukrainischen Kämpfern in Mariupol Ultimatum

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