Nahost-Expertin«Beziehung zwischen den USA und Saudi-Arabien hat einen Tiefpunkt erreicht»
Von Philipp Dahm
25.4.2022
Es knallt zwischen den USA und Saudi-Arabien: Laut «Wall Street Journal» soll Kronprinz bin Salman einen Berater von Joe Biden angeschrien haben. Was da – und in der Region— los ist, erklärt uns eine Frau vom Fach.
Von Philipp Dahm
25.04.2022, 00:00
27.04.2022, 09:26
Philipp Dahm
Jake Sullivan ist das Klischee eines Karriere-Diplomaten: Sohn eines Journalisten und einer Lehrerin, Klassen-Primus, Stpendium für ein Studium von Politik, Internationalen Beziehungen und Jura – natürlich inklusive Debattier-Club, Phi-Beta-Kappa-Mitgliedschaft und summa cum laude. Seit Januar 2021 ist der 45-jährige Joe Bidens Sicherheitsberater.
In dieser Funktion fliegt Sullivan im September 2021 nach Saudi-Arabien, um Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) zu treffen. Das Treffen wird erst später bekannt – es sei demnach um Öl, Israel und die Verbesserung der Beziehungen gegangen. Wie nötig das ist, hat nun das «Wall Street Journal» enthüllt: Offenbar ging das Gespräch zwischen Sullivan und MBS so weit, dass der 36-Jährige den Amerikaner angeschrien hat.
Der Grund für den Ausfall war angeblich Sullivans Nachfragen zum Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Was hat es damit auf sich? Spielen die Beziehungen zu China und Russland bei diesem Gebaren eine Rolle? Wohin steuert Riad aussen- und innenpolitisch noch? Fachfrau Elham Manea gibt Auskunft.
Zur Person
Doktor Elham Manea ist eine jemenitisch-schweizerische Politologin, Journalistin, Beraterin und Autorin. Sie lehrt als Privatdozentin an der Universität Zürich.
Gauben Sie, dass MBS den US-Berater wirklich angeschrien haben könnte?
Natürlich wissen wir nicht, was passiert ist, aber das Wall Street Journal hätte so einen Artikel ohne glaubwürdige Quellen nicht publiziert. Ich tendiere dazu, es zu glauben, weil man in letzter Zeit gemerkt hat, dass die Beziehung zwischen den USA und Saudi-Arabien einen Tiefpunkt erreicht hat. Es gab Zeiten, in der Beziehungen sehr angespannt waren – etwa nach den Anschlägen vom 11. September. Aber heute sind die internationalen Strukturen anders.
Was ist die Grundlage der bilateralen Beziehungen?
Es gab eine Art Pakt zwischen den USA und Saudi-Arabien. Man kann sich das wie eine Ehe vorstellen, in der sich die Partner nicht mögen, aber dennoch in dieser Konstellation weitermachen, weil sie gemeinsame Interessen habe: Du garantierst meine Sicherheit und ich garantiere, dass stetig Öl fliesst, das zu einem vernünftigen Preis verkauft wird.
Und wann hat sich die Konstellation verändert?
Die Veränderungen in den Beziehungen haben während der Obama-Administration begonnen. In dieser Zeit haben viele Akteure einsehen müssen, dass sich die Vereinigten Staaten vom Nahen Osten und von Nordafrika entfernt haben. Der Fokus ist immer mehr Richtung China und Asien gewandert. Durch diese Änderung der Prioritäten hat sich Washington weniger um die Stabilität der Regierungen in den Golfstaaten gekümmert.
Woran lässt sich das festmachen?
Der Arabische Frühling hat 2011 begonnen und Obama hat seine Sympathie für die Bewegung ausgedrückt. Tatsächlich hat Saudi-Arabien Obama persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass er es zugelassen hat, dass das Regime von Hosni Mubarak in Ägypten zu einem Ende gekommen ist. Damit begannen die Veränderungen.
Hat Riad Alternativen?
Wir haben eine sich ändernde internationale Ordnung. Es gibt andere Weltmächte, die sich hervortun – insbesondere China und Russland. Saudi-Arabien hat in dieser neuen Konstellation Raum gefunden, der es erlaubt, zu manövrieren, während man der Biden-Administration gegenüber gleichzeitig seine Unzufriedenheit mit der Situation ausdrücken kann.
Liegt die Verschlechterung vor allem am neuen, kritischen US-Präsidenten Biden?
Diese aktuelle saudische Position ist unabhängig von Obama, Trump oder Biden. In der Trump-Ära, als alle sagten, er wäre auf der Seite der Saudis, gab es 2019 den iranischen Angriff auf wichtige Ölanlagen in Saudi-Arabien: Was Riad damals gefehlt hat, war eine klare und starke Reaktion der USA. Es wurde klar, dass Washington sich nicht wirklich für die Sicherheit seiner Verbündeten einsetzt.
Freut sich ein MBS, dass er mit Russland und China als Alternative kokettieren kann?
Das ist ganz klar, und das Repräsentantenhaus macht jetzt Druck auf Biden und besteht darauf, dass Saudi-Arabien kein Verbündeter sein kann, wenn es sich so benimmt. Man muss das aus der Perspektive eines Realisten sehen. Die USA und Saudi-Arabien gehen beide aufs Ganze, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Und Riad denkt gerade, dass die USA sie in Sachen Sicherheit nicht so unterstützen, wie es nötig wäre. Deshalb fühlen sie sich auch nicht verpflichtet, sich an etwas zu halten.
Bittet das Weisse Haus das Königshaus deshalb immer wieder vergeblich, die Ölproduktion hochzufahren?
Genau.
Was hat noch zur Verschlechterung der Beziehungen beigetragen?
Der Krieg der Saudis gegen im Jemen hatte zum Ziel, die Huthi aus der Regierung zu vertreiben und ist in der Zerstörung des Landes geendet. Während der Obama-Administration haben die USA die saudischen Attacken logistisch unterstützt, doch mit der Zeit hat das abgenommen, bis es wegen der zivilen Opfer untragbar war, damit weiterzumachen.
Kämpft Riad mit Ankara und Teheran um die Vorherrschaft im Nahen Osten?
Der Irak-Krieg 2003 hat die gesamte regionale Ordnung ins Chaos gestürzt. Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran schien zugunsten des Iran auszugehen. Der Arabische Frühling 2011 hat das noch verschärft. Teheran gewann immer mehr Einfluss – wie im Irak oder Libanon. Mit Syrien gab es immer sehr enge Beziehungen, und auch 2011 stellte man sich auf die Seite Syriens.
Und wie ist die Lage jetzt?
Jetzt haben wir die Situation, dass Saudi-Arabien glaubt, diesen Einfluss stoppen zu müssen. Der Iran hat den Arabischen Frühling stets begrüsst, weil er ähnlich der Islamischen Revolution sei – aber dann eingesehen, dass es seinem nationalen Interesse widerspricht, wenn man das auch in Syrien tut. Seit 2011 und gerade auch dem Regimewechsel in Ägypten 2013 haben wir also die Situation, dass jeder Akteur seine nationale Macht maximal ausreizen will – zur Not auch mit Gewalt.
Wo soll das enden?
Seit Sommer 2021 habe ich den Eindruck, dass man eingesehen hat, dass man mit dieser Art von Gewalt seine Ziele nicht erreicht. Man erkennt das daran, dass zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate Brücken in die Türkei schlagen. Oder an Ägypten, das wieder Beziehungen zu Katar aufbaut. Gleichzeitig hat Saudi-Arabien geheime Verhandlungen mit dem Iran aufgenommen.
Und die Türkei?
Auch die Türkei hatte starke Positionen gegenüber Ägypten und Saudi-Arabien eingenommen. Jetzt sieht man, dass Ankara seine Haltung geändert hat. Man hat die Muslimbrüder-Journalisten gestoppt, die in der Türkei gearbeitet und die Regierung in Kairo angegriffen haben. Beim Mord Jamal Khashoggi haben sie den Fall an Saudi-Arabien übergeben, in dessen Jurisdiktion er jetzt liegt. All das legt nahe, dass in den regionalen Beziehungen dieser Länder eine neue Ära angebrochen ist: Gewalt scheint nicht mehr so wirksam zu sein – lasst uns zu einer pragmatischen Aussenpolitik zurückkehren und versuchen, Lösungen zu finden.
Trügt der Eindruck, dass die Beziehungen in der Region volatiler und schnelllebiger geworden sind als etwa in den 80ern?
Ich beschäftige mich seit dem Beginn meiner wissenschaftlichen Karriere mit der Region: Immer wieder sprechen wir von einer volatilen Situation, aber denken sie an den Libanonkrieg und Beirut in den 80ern. Im selben Jahrzehnt ist der Erste Golfkrieg zwischen dem Iran und Irak. Wir haben in jeder Dekade solche Probleme.
Hat seit dem Tod Khashoggis eine Form von Liberalisierung in Saudi-Arabien stattgefunden?
Es gab sicherlich Veränderungen und eine Liberalisierung in dem Sinne, dass die soziale Kontrolle gelockert worden ist, was die Religionspolizei und die islamische Ordnung angeht. Man sieht heute buchstäblich ein anderes Saudi-Arabien als noch 2015. Frauen sind ohne Kopftuch unterwegs, die Geschlechter mischen sich öffentlich und es gibt ein grösseres Unterhaltungsangebot oder Partys. Das sind Dinge, von denen man noch vor Kurzem dachte, sie seien unmöglich. Es ist eine Liberalisierung mit dem Fokus auf Konsum und Entertainment.
Aber?
Das gleicht das Fehlen der Garantie von Grundrechten nicht aus: Es sind keine demokratischen Reformen. Noch heute ist es nicht möglich, seine politische Meinung auszudrücken, ohne umgehend bestraft zu werden. Bis heute werden jene Leute, die nicht für den Sturz der Regierung, aber für Reformen im Königreich kämpfen, im Gefängnis landen oder brutal zum Schweigen gebracht werden. Die Situation der Menschenrechte bleibt recht schlecht.