G20-Gipfel auf BaliEine zerstrittene Welt trifft sich im Paradies
Von Michael Fischer, Ansgar Haase und Julia Naue, dpa
15.11.2022 - 00:00
Kurz erklärt: Darum geht es für die Teilnehmer beim G20-Gipfel
Beim G20-Gipfel auf Bali werden die wichtigsten Probleme der Welt besprochen. Doch mit Russlands Präsident Wladimir Putin fehlt der Verantwortliche für die derzeit grösste Krise.
14.11.2022
Die Kulisse: eine Ferienidylle. Die Themen: Krieg, Hunger und Inflation. Die Führer der bedeutendsten Wirtschaftsnationen beraten am G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali ab heute über Krisen.
Von Michael Fischer, Ansgar Haase und Julia Naue, dpa
15.11.2022, 00:00
DPA, gbi
Das Wort «Krieg» findet sich auf der Tagesordnung des G20-Gipfels auf der indonesischen Insel Bali nicht. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, für viele der Teilnehmer*innen das wichtigste Thema überhaupt, wird hinter dem Punkt «Ernährungs- und Energiesicherheit» versteckt. Gleich in der ersten Arbeitssitzung wird darüber geredet.
Mit US-Präsident Joe Biden, dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sitzt dann auch der russische Aussenminister Sergej Lawrow am Tisch, der Präsident Wladimir Putin vertritt. Ob am Ende etwas dabei herauskommt, ist offen.
Wer gehört zur «Gruppe der 20»?
Die Staaten der Europäischen Union sowie 19 führende Wirtschaftsmächte aller Kontinente: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei und die USA. Zusammen repräsentieren sie knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung, stehen für vier Fünftel der weltweiten Wirtschaftskraft und betreiben drei Viertel des Welthandels.
Warum gibt es die Gipfel überhaupt?
Die G20 wurde 1999 zur internationalen Abstimmung in Finanz- und Wirtschaftsfragen gegründet. Zunächst trafen sich nur die Finanzminister und Notenbankchefs. 2008 wurden die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ins Leben gerufen, um die damalige Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Inzwischen beschäftigt sich die G20 aber auch mit vielen anderen globalen Themen von der Terrorbekämpfung über den Klimaschutz bis zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Und nun auch mit einem Krieg in Europa.
In den Anfangsjahren liess sich einigermassen ausblenden, wie unterschiedlich die Gemeinschaft eigentlich ist: Zusammen mit demokratisch gewählten Staats- und Regierungschefs sitzen dort seit jeher auch Könige und Autokraten zusammen. Heute ist deutlich wie nie, welch unterschiedliche Sicht sie auf Demokratie, Völkerrecht und Menschenrechte haben.
Warum ausgerechnet Bali?
Darüber entscheidet stets der Gastgeber. Logistische Fragen spielen bei der Wahl des Veranstaltungsorts eine Rolle: Gibt es genug Hotelzimmer? Ist ein grösserer Flughafen in der Nähe? Kann das Veranstaltungsgelände gut abgeschirmt werden? Für die indonesische Regierung, die wohl noch nie so viel Polit-Prominenz zu Gast hatte, dürfte es aber auch darum gehen, sich von der besten Seite zu präsentieren. Sie nutzt den luxuriösen Ferienort Nusa Dua im Süden der «Insel der Götter» schon lange als Konferenzort.
Sind alle Staats- und Regierungschefs dabei?
Nein. Der russische Präsident Wladimir Putin hat knapp eine Woche vor Beginn des Gipfels abgesagt – nach einer Niederlagenserie im Angriffskrieg gegen die Ukraine, die vergangene Woche im Abzug aus der strategisch wichtigen Stadt Cherson gipfelte. Putin hat stattdessen seinen Aussenminister Sergej Lawrow geschickt, der bereits am Sonntag auf Bali eintraf. Ausserdem nicht dabei: Der mexikanische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador, der sich ebenfalls von seinem Aussenminister vertreten lässt. Unklar war zuletzt noch, ob sich der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro trotz seiner Abwahl beim G20-Gipfel blicken lässt.
Ja. Der Gastgeber hat die Möglichkeit, Gastländer einzuladen. Die Wahl des indonesischen Präsidenten Joko Widodo fiel unter anderem auf die Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj wird aber nur per Videoschalte teilnehmen.
Warum setzt sich der Westen überhaupt mit Vertretern des Kreml an einen Tisch?
Die westlichen Länder wollen demonstrieren, dass sie die verbale Auseinandersetzung mit Russland nicht scheuen. Man werde es nicht zulassen, dass das G20-Mitglied Russland das wichtige Forum für globale Fragen und Probleme zerstöre, lautet die Devise. Stattdessen will man Russland aufzeigen, dass es international weitestgehend isoliert ist.
Welche Verbündeten hat Russland in den G20?
Vor allem China. Aber auch Indien und Südafrika haben in der UNO-Vollversammlung nicht für eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gestimmt, sondern sich enthalten. An der Bevölkerungszahl gemessen ist diese Fraktion in der G20 sogar grösser als die derjenigen, die den Einmarsch verurteilt haben.
Wird es eine gemeinsame Abschlusserklärung geben?
Das ist offen. Bei umstrittenen Themen wird derzeit darüber verhandelt, ob die unterschiedlichen Sichtweisen gegeneinandergestellt werden könnten. So könnte zum Beispiel festgehalten werden, dass zahlreiche G20-Mitglieder Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine als illegal ansehen und ihn verurteilen. Anschliessend würde dann die Sichtweise Russlands vermerkt. Eine Erklärung ohne Zustimmung Russlands zu veröffentlichen – also ein 19 zu 1 – wäre aus westlicher Sicht wünschenswert, bei Russlands Verbündeten aber eher nicht durchsetzbar.
Wer oder was könnte am Gipfel noch eine Rolle spielen?
Jemand, der etliche tausend Kilometer entfernt ist: Ex-Präsident Donald Trump hat für Dienstag – dem ersten G20-Tag – eine «sehr grosse Mitteilung» angekündigt. Der 76-jährige Republikaner dürfte an diesem Tag eine Kandidatur für die Präsidentenwahl 2024 öffentlich machen. Das wird auf Bali nicht nur Biden und seine Delegation interessieren.