Israel verlegt Truppen Ein Krieg mit der Hisbollah wird immer wahrscheinlicher

Von Julia Frankel, AP

20.9.2024 - 04:30

Explosionen im Libanon: Israel kündigt neue Kriegsphase an

Explosionen im Libanon: Israel kündigt neue Kriegsphase an

Erneute Explosionswelle im Libanon. Wieder sind es elektronische Kommunikationsgeräte. Dabei werden nach Behördenangaben am Mittwochnachmittag 20 Menschen getötet und mehr als 450 weitere verletzt. Die Hisbollah macht Israel für die Explosionen verantwortlich und schwört Vergeltung.

19.09.2024

Seit Monaten warnen Diplomaten aus aller Welt vor einem Flächenbrand im Nahen Osten. Nach den Explosionen im Libanon und in Syrien in dieser Woche scheint eine weitere Eskalation fast unausweichlich.

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  • Mindestens 37 Personen sind am 17. und 18. September im Libanon und in Syrien durch explodierende Kommunikationsmittel ums Leben gekommen. Tausende wurden verletzt.
  • Eine solche Attacke führt ein Land nicht aus, wenn es keinen Krieg führen will, so ein pensionierter Brigadegeneral aus Israel.
  • Dass Israel die Hisbollah angreifen will, suggeriert auch ein Truppen-Aufmarsch an der Grenze.
  • Israels Verteidigungsminister hat den Beginn einer «neuen Phase» des Krieges eingeläutet.

Ein Krieg zwischen Israel und der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah scheint in diesen Tagen immer wahrscheinlicher zu werden.

Israels Verteidigungsminister Joav Galant hat eine «neue Phase» des Krieges angekündigt. Bei einem Angriff im Libanon, der teils auch Syrien betraf, löste Israel in dieser Woche offenbar die Explosion Tausender von der Hisbollah genutzter Pager aus – und tags darauf mutmasslich die Explosion von Funkgeräten und anderer Elektronik.

Bei der Aktion am Dienstag starben nach bisherigen Erkenntnissen mindestens zwölf Menschen, Tausende wurden verletzt. Am Mittwoch sollen mindestens 20 Menschen getötet und etwa 450 weitere verletzt worden sein. Inzwischen ist von insgesamt 37 Toten die Rede.

Die Hoffnung, den Konflikt diplomatisch zu lösen, schwindet zusehends. Denn Israel macht immer deutlicher, dass es den Status quo im Norden des Landes, an der Grenze zum Libanon, verändern will. Dort liefern sich israelische Soldaten seit kurz nach dem Ausbruch des Kriegs im Gazastreifen im Oktober mit Hisbollah-Kämpfern Gefechte.

Anzeichen für eine Ausweitung des Krieges

In den vergangenen Tagen hat Israel eine erhebliche Streitmacht an die nördliche Grenze verlegt. Israelische Regierungsvertreter haben ihre Rhetorik verschärft. Und das Sicherheitskabinett des Landes hat die Rückkehr Tausender durch die Gefechte vertriebener Israelis in ihre Häuser im Norden zu einem offiziellen Kriegsziel erklärt.

Sorge vor weiterem Krieg im Nahen Osten wächst

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Die Anzeichen für einen möglicherweise bevorstehenden grösseren Krieg zwischen Israel und der libanesischen Schiitenmiliz nehmen zu. Israels Sicherheitskabinett erklärte in der Nacht die Rückkehr der Bewohner in den Norden des Landes zu einem der Ziele des Krieges gegen die mit der Hisbollah verbündete Hamas im Gazastreifen.

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Es gibt also deutliche Anzeichen dafür, dass Israel den Krieg auf den Libanon auszuweiten gedenkt. Trotz der beinahe täglichen Gefechte zwischen Israel und der Hisbollah haben beide Seiten eine solche Eskalation bislang vermieden. Das scheint nach dem 17. und 18.- September nicht mehr zu gelten.

Ein solches Vorgehen – Tausende Menschen anzugreifen – wähle man nicht in der Annahme, dass es nicht zu einem Krieg kommen werde, sagte Amir Avivi, ein israelischer Brigadegeneral im Ruhestand, der das israelische Verteidigungs- und Sicherheitsforum leitet, eine Gruppe ehemaliger Militärkommandanten, die nicht für Zurückhaltung bekannt sind.

Israel verlegt 98. Armeedivision an die Grenze

«Warum haben wir das elf Monate lang nicht getan?», fragt Avivi. «Weil wir noch nicht bereit waren, in den Krieg zu ziehen. Was passiert jetzt? Israel ist bereit für den Krieg», sagte er. Mit der Verlangsamung des Kampfgeschehens im Gazastreifen hat Israel an der Grenze zum Libanon aufgerüstet.

In dieser Woche traf die schlagkräftige 98. Armeedivision dort ein, die an einigen der heftigsten Kämpfe im Gazastreifen beteiligt war. Es wird vermutet, dass ihr Tausende Soldaten angehören, darunter Fallschirmjäger-Infanterieeinheiten, Artillerie sowie Elite-Kommandotruppen, die für den Einsatz hinter feindlichen Linien ausgebildet sind.

Ihre Entsendung wurde von einer Gewährsperson bestätigt, die über den Vorgang im Bilde ist und anonym bleiben wollte. Das Militär hat zudem erklärt, es habe in dieser Woche entlang der Grenze eine Reihe von Übungen abgehalten. «Die Mission ist klar», sagte Generalmajor Ori Gordin, der das israelische Nordkommando anführt. «Wir sind entschlossen, die Sicherheitsrealität so schnell wie möglich zu ändern.»

«Neue Phase« des Krieges

Begleitet wurden die Militärbewegungen von einer verschärften Rhetorik in der Führung des Landes. Galant verkündete am Mittwochabend den Beginn einer «neuen Phase» des Krieges, in der sich der Fokus zunehmend auf die Hisbollah verlagert. «Der Schwerpunkt verlagert sich nach Norden, indem Ressourcen und Kräfte umgeleitet werden.»

Tags zuvor hatte das israelische Sicherheitskabinett die Rückkehr der aus dem Norden vertriebenen Einwohner zum Kriegsziel erklärt. Nach einem Treffen mit Sicherheitsvertretern am Mittwoch bekräftigte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dieses Vorhaben.

Nach Angaben einer Gewährsperson fruchteten auch offenbar Warnungen des US-Gesandten Amos Hochstein an Netanjahu nicht, dass eine Intensivierung des Konflikts mit der Hisbollah die Rückkehr israelischer Zivilisten erschweren könnte. Israelische Medien berichteten, die Regierung habe noch nicht darüber befunden, ob eine Grossoffensive im Libanon gestartet werden soll.

«Krieg steht unmittelbar bevor»

Vieles, so scheint es, hängt von der Reaktion der Hisbollah auf die jüngsten Entwicklungen ab. Für den heutigen Donnerstag wird eine Rede von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah erwartet. Die öffentliche Meinung über eine härtere Gangart gegenüber der Miliz dürfte der israelischen Regierung indes Rückendeckung geben, sollte es zu einer weiteren Eskalation kommen.

In Libanons Hauptstadt Beirut tragen am 19. September Hisbollah-Mitglieder Opfer der jüngsten Attacke zu Grabe.
In Libanons Hauptstadt Beirut tragen am 19. September Hisbollah-Mitglieder Opfer der jüngsten Attacke zu Grabe.
Bild: Keystone

In einer Umfrage des Israelischen Demokratie-Instituts, einer Jerusalemer Denkfabrik, antworteten Ende August 67 Prozent der jüdischen Befragten, Israel solle seine Reaktion auf die Angriffe der Hisbollah verstärken.

«Es gibt eine Menge Druck aus der Gesellschaft, in den Krieg zu ziehen und zu gewinnen», sagte Avivi. «Sofern die Hisbollah nicht morgen früh sagt: ‹Okay, wir haben die Botschaft verstanden. Wir ziehen uns aus dem Südlibanon zurück›, steht der Krieg unmittelbar bevor.»

Krieg wäre für beide Seiten verheerend

Es ist indes nahezu ausgemacht, dass ein solcher Krieg verheerende Folgen für beide Seiten hätte. Schon jetzt sind im Libanon im Zuge der Auseinandersetzungen seit dem 8. Oktober, dem Tag nach dem Beginn des von der Hamas angeführten Terrorangriffs auf Israel, mehr als 500 Menschen bei israelischen Angriffen getötet worden, die meisten davon Kämpfer der Hisbollah und mit ihr verbündeter Gruppen.

Es sind aber auch mehr als 100 Zivilisten darunter. Im Norden Israels kamen mindestens 23 Soldaten und 26 Zivilisten bei Angriffen aus dem Libanon ums Leben.

Rauch steigt im Norden Israels auf, nachdem am 18. September Raketen aus dem Libanon abgefeuert wurden.
Rauch steigt im Norden Israels auf, nachdem am 18. September Raketen aus dem Libanon abgefeuert wurden.
Bild: Keystone

Seit dem letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 hat die Miliz ihre Fähigkeiten ausgebaut. Sie verfügt inzwischen über schätzungsweise 150'000 Raketen, von denen einige über Lenksysteme verfügen sollen. Auch die Drohnenflotte der Hisbollah ist nicht zu unterschätzen.

Die Miliz könnte in der Lage sein, im Kriegsfall Ziele in ganz Israel anzugreifen, das Alltagsleben zum Stillstand zu bringen und Hunderttausende Menschen zur Flucht zu zwingen.

Von Julia Frankel, AP