Attentat auf Trump Ein hässlicher Wahlkampf wird noch hässlicher – doch war das die Vorentscheidung?

Stefan Michel

14.7.2024

Das Bild der US-Wahlen 2024: Trump reckt die Faust, kurz nachdem die Kugel des Attentäters ihn am Ohr getroffen hat. 
Das Bild der US-Wahlen 2024: Trump reckt die Faust, kurz nachdem die Kugel des Attentäters ihn am Ohr getroffen hat. 
IMAGO/SOPA Images

Verhilft das gescheiterte Attentat Donald Trump zur Wahl? Viele sehen ihn nun noch stärker im Vorteil. Einzelne erkennen in der Diskussion um Waffengewalt aber ein Problem für das Lager des Herausforderers.

Stefan Michel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Bilder von Trump unmittelbar nach dem gescheiterten Anschlag auf ihn als vor Entschlossenheit und Widerstandskraft strotzdenden Kämpfer.
  • Die Demokraten müssen ihre Angriffe auf den Herausforder Joe Bidens vorerst einstellen und vermutlich noch länger dosieren.
  • Anhänger Trumps hingegen halten sich mit Vorwürfen an das Lager von Präsident Biden nicht zurück.
  • Die Geschichte zeigt ein gespaltenes Bild: Präsident Reagans Beliebtheit stieg nach einem Anschlag auf ihn. Theodore Roosevelt hingegen, verlor die Wahl, obwohl er nach Schüssen auf ihn blutend eine Rede hielt.

Das Bild ist bereits Stunden nach seiner Veröffentlichung eine Ikone: Mit Blut im Gesicht blickt Donald Trump in Richtung der Kamera und reckt seine Faust. «Fight, fight, fight!», soll er seine Anhänger und Mitarbeitenden angewiesen haben. Das Bild wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zum Symbol für die US-Präsidentschaftswahlen 2024. Und ein hässliches Rennen um das höchste Amt im Staat ist noch hässlicher geworden.

Die Frage, die sich nun viele stellen: Wie beeinflussen die Schüsse auf Trump den Wahlkampf und den Ausgang der Wahl am 5. November?

Am häufigsten wird in den Stunden nach dem Attentat der Angriff auf den republikanischen Präsidenten Reagan 1981 als historische Parallele herangezogen. Dieser war zu jenem Zeitpunkt aber bereits im Amt – nachdem er den demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter in den Wahlen geschlagen hatte. Der Anteil der Menschen, die seiner Politik zustimmten, stieg von 60 – bereits ein hoher Wert – auf 68 Prozent

Präsident Reagan als historisches Vorbild

Reagan verbrachte nach den Schüssen, die ihn an Arm, Rippen und Lunge verletzt hatten, 12 Tage im Spital. Das Attentat hat dem Republikaner geholfen, seine radikalen wirtschaftspolitischen Reformen gegen den demokratisch dominierten Kongress durchzusetzen, schreibt ein Buchautor auf «CNN». 

Das Bild Trumps, der auch verwundet Kampfgeist zeigt, hebt ihn noch stärker ab von Präsident Biden, dessen Schwächen, Gebrechen und Fehlleistungen seit der TV-Debatte im Mittelpunkt der Berichterstattung über ihn stehen.

Die Biden-Kampagne hat kurz nach dem Anschlag auf Donald Trump bekannt gegeben, dass sie «alle ausgehenden Kommunikations-Massnahmen pausiere» und TV-Spots so schnell als möglich stoppe. Die Absicht ist klar: Harte Vorwürfe an die Adresse Trumps sollen nicht den Eindruck erwecken, das republikanische Lager befürworte die Attacke in irgendeiner Form.

Biden telefonierte zudem mit Trump, um ihn sein Mitgefühl auszudrücken, diverse weitere einflussreiche Demokraten wie Nancy Pelosi oder Barrack Obama  äusserten öffentlich ihr Entsetzen über die Gewalt gegen den Kandidaten Trump. 

«Er hat die Wahl soeben gewonnen»

Derweil ist sich der Abgeordnete Derrick Van Orden, Vertreter des Bundesstaats Wisconsin im Magazin «Politico» sicher: «Präsident Trump hat diese Attacke überlebt – er hat die Wahl soeben gewonnen». 

Das Attentat bringt die Demokraten noch tiefer in die Defensive. Sie müssen ihre Angriffe auf Trump fürs erste einstellen und wohl noch länger dosieren. Derweil können Republikaner die Position vertreten, die Biden-Kampagne habe die Stimmung kreiert, die zur Gewalt gegen ihren Kandidaten geführt habe. Einige taten dies, bevor bekannt war, dass der Schütze der Republikanischen Partei nahestand. Doch änderte diese Neuigkeit bislang nichts an den Positionen. 

Mike Collins, Abgeordneter des Bundesstaates Georgia etwa, schreibt auf X: «Biden gab den Befehl». Mike Lee, Senator aus Utah verlangt, dass alle Klagen gegen Trump fallen gelassen werden. Senator JD Vance aus Ohio, der als möglicher Trump-Vize gehandelt wird, schreibt auf X: «Die zentrale Prämisse der Biden-Kampagne ist, dass Präsident Donald Trump ein autoritärer Faschist ist, der um jeden Preis gestoppt werden muss.»

Trump selber dankt dem Geheimdienst und bekundet den Angehörigen des tödlich getroffenen Besuchers seiner Wahlkampfveranstaltung sein Beileid. Schon in den Wochen seit der TV-Debatte hat er sich auffällig zurückgehalten. Auch jetzt reagiert er nicht impulsiv, wie man das von ihm gewohnt ist. Die scharfen Voten überlässt er anderen.

Waffenrechte: Die Achillesferse der Republikaner

Nur eine Streitfrage im Zusammenhang mit dem Attentat könnte sich negativ auf Trumps Wahlkampf auswirken: die Waffenrechte. Trump ist der Kandidat derjenigen, die möglichst freien Zugang zu Waffen fordern. James Alan Fox, Professor für Kriminologie an der Northeastern University in Boston erwartet, dass dieser Zwischenfall Waffengewalt zu einem der Hauptthemen in Trumps Wahlkampf macht.

Es gehört zu den Mechanismen der US-Politik, dass nach aufsehenerregenden Verbrechen mit Schusswaffen strengere Regeln gefordert werden. Diese sind ein Anliegen der Demokraten, während Republikaner diese kritisch sehen und auf den zweiten Verfassungszusatz verweisen, der das Recht garantiert, dass Menschen in den USA Waffen besitzen und tragen dürfen. 

Ein weiterer Professor der Northeastern University, der Politikwissenschaftler Costas Panagopoulos, sagt auf der Nachrichten-Seite der Uni, das Attentat könne Trump schaden, «weil viele glauben, dass er das Feuer der politischen Gewalt und der Spaltung zum politischen Vorteil geschürt und die Polarisierung in Amerika mit aufrührerischer Rhetorik verschärft hat».

Präsident Reagans Pressesprecher James Brady wurde beim Attentat auf den Präsidenten am Kopf getroffen und war danach partiell gelähmt. Er wurde zu einem wichtigen Fürsprecher für schärfere Waffengesetze. Die «Brady Bill» verbietet es Personen, die für verschiedene Verbrechen verurteilt worden sind, Handfeuerwaffen zu besitzen oder mit sich zu führen. Der «Brady Handgun Violence Prevention Act» (Brady Handfeuerwaffen-Gewalt-Präventionsgesetz) genannte Artikel wurde unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton 1993 in Kraft gesetzt. 

 Sekunden nach den Schüssen auf Präsident Ronald Reagan: Sicherheitsbeamte kümmern sich um den am Boden liegenden Pressesprecher James Brady (hinten). Reagan war getroffen sofort in die Limousine gestossen worden.
 Sekunden nach den Schüssen auf Präsident Ronald Reagan: Sicherheitsbeamte kümmern sich um den am Boden liegenden Pressesprecher James Brady (hinten). Reagan war getroffen sofort in die Limousine gestossen worden.
KEYSTONE

Missglücktes Attentat garantiert keine Wahl

Zuletzt gibt es ein historisches Beispiel dafür, dass ein politischer Mordversuch keinen Wahlsieg garantiert: Theodore Roosevelt wurde 1912  unmittelbar vor einer Wahlkampfrede von einem Schuss getroffen. Sein stählernes Brillenetui und das 50-seitige Manuskript seiner Rede bremsten die Kugel, sodass sie zwar in seinem Brustkorb stecken blieb, ihn aber nicht schwer verletzte. Roosevelt weigerte sich, den Anlass abzusagen und hielt danach eine 90 Minuten dauernde Rede, während sich sein Hemd mit Blut vollsog.

Trotz dieser eindrücklichen Demonstration von Entschlossenheit und Widerstandskraft verlor Roosevelt die Präsidentschaftswahl gegen Woodrow Wilson. 

Trotzdem findet sich in der aktuellen Berichterstattung und Einordnung niemand, der oder die Bidens Chancen auf Wiederwahl nach dem Anschlag auf Trump steigen sieht.